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Von außen wirkt das ehemalige Frauengefängnis in Lichterfelde dank der blühenden Bäume schon beinahe lieblich. Nach dem Umbau im Herbst soll es insgesamt freundlicher wirken und Kulturschaffenden Raum bieten

© Maike Raack

Ehemaliges Frauengefängnis in Lichterfelde wird zum Ort für Kreative: Kunst im Knast

Das ehemalige Frauengefängnis in Lichterfelde hat einen neuen Besitzer. Kulturmanager Jochen Hahn hat Großes mit dem Gebäude vor: Nichts weniger als eine musisch-kreative Denkfabrik. Eine Ortsbegehung.

Ein Aufkleber ist noch da: Über der Stelle, wo mal eine Pritsche gestanden haben muss, klebt auf der metallenen Zellenlampe ein verblichenes Motiv aus dem Trickfilm „Cars“; nebenan, im Waschbecken der „böse Mädchen-Zelle“, wie Jochen Hahn die Isolierzelle nennt, liegt ein etwas abgegriffenes rundes Stück Seife.  

Ob es noch original vom letzten der hier schmachtenden „bösen Mädchen“ stammt, lässt Hahn unbeantwortet. Nur so viel, mit Blick auf den Zementsockel für die Bettstatt und das winzige Fenster unter der Decke: „Das muss hier drin wirklich unangenehm gewesen sein.“ Jochen Hahn bleibt lieber bei den Fakten der Gegenwart: „Unsere Hauptaufgabe ist im Moment, die Wasser- und Stromleitungen zu finden.“ Hahn ist Geschäftsführer der "Hahn Produktion, Gesellschaft für Theater, Management und Kulturaustausch" - und seit kurzem Besitzer des ehemaligen Frauengefängnisses in Lichterfelde; Anfang April hat er den Schlüssel von der Berliner Immobilien GmbH überreicht bekommen.

Von der Isolierzelle führt Hahn direkt in den Lichthof. Alle Zellentüren stehen weit offen. „Da hinten sehe ich schon ein Kammermusikensemble sitzen und musizieren“, sagt er. Das Auffangnetz für potentielle Selbstmörderinnen, das darüber gespannt ist, komme dann allerdings raus. „Wir wollen das Ambiente erheblich freundlicher gestalten. Aber der Gefängnischarakter soll schon erhalten bleiben“, sagt der 62-Jährige. Hahn hat Erfahrung darin, in die Jahre gekommene Liegenschaften in Kulturstätten zu verwandeln: Auch die mehr als 120 Jahre alte denkmalgeschützte Reithalle in München hat er restaurieren lassen; heute finden dort internationale Theater- und Opernaufführungen statt. Insgesamt mehr als drei Jahrzehnte hat der gebürtige Starnberger auf der ganzen Welt Veranstaltungen gemanagt, Kulturfestivals in Johannesburg, in Moskau und Peking ausgerichtet. „Jetzt mit Anfang 60 muss ich diese Festivalgeschichten nicht mehr machen."

Zur Ruhe kommt er trotzdem nicht, schließlich hat er auch mit dem ehemaligen Frauenknast mitten in Lichterfelde Großes vor. "Das wird eine musisch-kreative Denkfabrik", verspricht Hahn. „Ich kenne schon einige Musiker, die hier Unterricht geben möchten. Und in der ehemaligen Gefängnisküche wird Eventgastronomie stattfinden.“ Hahn spricht schnell, viele Visionen wollen umgesetzt werden. „Einmal im Monat wollen wir über drei Tage ein Ausstellungsevent machen, mit Kammermusikkonzerten, mit bildender Kunst, Theater, Literatur.“ Dafür kooperiert Hahn mit der Universität der Künste (UdK) und der Kunsthochschule Weißensee. "Im ersten Stock funktionieren wir die Zellen zu Ateliers und Proberäumen für Berliner Kunstschaffende um. Und im zweiten Stock kommen die Zwischenwände der Doppelzellen raus." Dort sollen dann Wohnateliers für internationale Künstler und Musiker entstehen.

Aber noch ist das alles Zukunftsmusik: Noch atmet der Bau in der Söhtstraße eine gewisse Schwere, auch wenn die Riegel an den Stahltüren zurückgeschoben sind und die Sonne durch die Fensterluken fällt. Noch entdecke er jeden Tag etwas Neues, sagt auch Hahn: „Zum Beispiel diesen Riss hier am Türrahmen. Mein Gott, wird das noch Arbeit, denke ich mir dann“, und fährt sich einmal mit der flachen Hand über das Gesicht.

Der Lichthof des ehemaligen Frauenknasts; ganz am Ende des Korridors soll nach Jochen Hahns Vorstellung bald ein Kammermusikensemble vor Publikum spielen
Der Lichthof des ehemaligen Frauenknasts; ganz am Ende des Korridors soll nach Jochen Hahns Vorstellung bald ein Kammermusikensemble vor Publikum spielen

© Maike Raack

Schließlich haften mehr als hundert Jahre Knastballast an dem Gebäude. Von 1906 an war das Gebäude als Haftanstalt für Frauen zeitgleich mit dem angrenzenden Amtsgericht Lichterfelde gebaut worden. „Die Damen saßen hier ein für Schwarzfahren, Betrug und Prostitution“, weiß Hahn. Die letzten etwa zwei Dutzend Insassinnen wurden 2010 in die Justizvollzugsanstalt nach Düppel verlegt. Aber schon in den Jahren des Leerstandes wurde das ehemalige Frauengefängnis als Filmkulisse genutzt. „George Clooney und Moritz Bleibtreu haben hier schon gedreht, demnächst dreht hier Tom Tykwer“, erzählt Hahn.

An diesem Frühlingstag dringen laue Luft und die Rufe der Schüler der benachbarten Schule durch die geöffneten Stahltüren in die dunklen Gänge. Hier eine Leiter, da ein Malereimer, Latten, Werkzeuge – es wird schon viel gewerkelt. Auch der Vorgarten ist umgegraben, viele junge Pflanzen strecken ihre Zweige in den blauen Himmel.

Bis zum Herbst will Hahn nun einen Denkmalpflegeplan für das Denkmalamt erstellen, denn das Gebäude steht von innen und außen unter strengen Denkmalschutzauflagen. Hahn rechnet nicht vor Herbst mit dem Baubeginn. Dann soll im Erdgeschoss anstelle der Pförtnerloge auch eine Kaffee- und Weinbar entstehen. „Selbstverständlich kommen dort auch die Gitter vor den Fenstern weg.“

Ein Virus in seiner Seele

Auf das ehemalige Gefängnis stieß Hahn bei einer Recherche für seine Frau, einer Professorin für Schauspiel an der UdK, die eine Kulisse für ein Filmprojekt zum Thema Mörder suchte. Sie fand schließlich einen anderen Drehort, aber Jochen Hahn hatte das ehemalige Zuchthaus nicht mehr losgelassen. „Das war ein Virus in meiner Seele“, sagt der heutige Eigentümer des Gebäudes. Dieser "Virus" ließ ihn auch die drei Jahre, die es bis zur Schlüsselübergabe dauerte, nicht los. "In einem Direktverfahren lief das, das musste alles wahnsinnig geprüft werden. Das dauert alles seine Zeit in Berlin", resümiert er diese Jahre des Wartens im Zeitraffer.

Das Grundstück hat Hahn schließlich innerhalb eines Erbbaurechtsvertrags für 39 Jahre gepachtet. Zum Preis möchte er sich nicht äußern, nur so viel: "Für Kultur ist es erschwinglich, aber der Erbbaurechtszins pro Monat ist beträchtlich, da ist man bei weit über einer Million, wenn man das auf die 39 Jahre hochrechnet."

Und wie das so ist, wenn einen ein Virus infiziert hat, dann hat man jeden Tag damit zu tun: Hahn ist im Moment täglich hier, sieht sich alles immer wieder genau an, führt interessierte Besucher durch "sein Gefängnis", wie er es fast zärtlich nennt. An diesem Tag stehen noch Treffen mit einem Architekten und mit einer Eventmanagerin an und auch ein Polizeikommissar des Bezirks hat sich für eine Besichtigung angekündigt.

„Mein Leben war Reisen, Reisen, Reisen. Ich war ja sieben Jahre in New York, auch in Moskau und in Peking, aber am spannendsten ist es in Berlin." Er fühle sich hier, gerade an diesem Ort, angekommen. Auch wenn er erst einmal alles, was er im Laufe des Lebens an Vermögen angesammelt habe, nun in sein Gefängnis stecken müsse. „Aber durch die Vermietung wird eines Tages wieder Geld rein kommen", hofft er. „Hier in meinem Gefängnis sollen sich nette kreative Menschen treffen, die hier arbeiten und zum Teil leben wollen.“

Auch wenn der Umbau wohl erst im Herbst beginnt: Die Metamorphose eines Ortes, der den einen höchstens Raum für das Bekleben ihrer Zellenlampe gab, zu einem Ort der künstlerischen Freiheit der anderen hat begonnen.

Der Text erscheint auf Tagesspiegel Steglitz-Zehlendorf, dem digitalen Stadtteil- und Debattenportal aus dem Südwesten. Folgen Sie der Redaktion Steglitz-Zehlendorf gerne auch auf Twitter.

Die Riegel sind geöffnet, in ein paar Monaten soll umgebaut werden und dann werden die Tore auch für ein kulturell interessiertes Publikum offenstehen
Die Riegel sind geöffnet, in ein paar Monaten soll umgebaut werden und dann werden die Tore auch für ein kulturell interessiertes Publikum offenstehen

© Raack

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