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Patric Neeser, Wirt vom Weihenstephaner am Hackeschen Markt, will mit seinen Mitstreitern in Zehlendorf die Bezirkspolitik künftig mitbestimmen.

© ale

Neue Wählergruppe bei Wahlen 2016 in Berlin: Bürgerunion fordert etablierte Parteien heraus

Sie sind enttäuscht von der Bezirkspolitik, beklagen "Arroganz" und "Gleichgültigkeit" im Umgang mit ihren Sorgen als Bürger. Jetzt will eine neue Wählergemeinschaft ins Rathaus von Steglitz-Zehlendorf einziehen. Für den Anfang.

Aus einer Bürgerinitiative heraus könnte sich in Steglitz-Zehlendorf im kommenden Wahljahr eine ernsthafte Konkurrenz für die etablierten Parteien im Bezirk entwickeln, vor allem aber für die schwarz-grüne Zählgemeinschaft im Rathaus. Das Unternehmerehepaar Cornelia (39) und Patric Neeser (38) will gemeinsam mit weiteren Mitstreitern die Wählergemeinschaft „Bürgerunion“ gründen, die dann um den Einzug ins Bezirksparlament kämpfen wird. Vorerst ist geplant, das Engagement auf den Bezirk zu beschränken. Das könne sich bei großem Zulauf aber noch ändern.

In einem Schreiben an den Landeswahlleiter heißt es zur Begründung: „Diese Bürgerunion plant, die durch das Bezirksamt mangelhaft organisierte bzw. unterlassene Bürgerbeteiligung in den Mittelpunkt ihrer politischen Arbeit zu stellen.“

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel zeigte sich Patric Neeser „entsetzt“ über die „Gleichgültigkeit“ und „Arroganz“ die ihm und anderen Bürgern im Bezirk aus dem Bezirksamt entgegenschlage. Er glaube, dieses Verhalten sei ein genereller Charakter der Berliner Politik.

Ursprünglich hatte der gebürtige Bayer, der mit seiner Familie in Zehlendorf lebt, eine Bürgerinitiative gegründet, um mehr Mitsprache bei einem geplanten Bau eines Rugby-Spielfeldes mit Tribüne auf dem Gelände der Wilma-Rudolph-Schule in Dahlem zu erreichen. Die Anwohner fürchten vor allem eine chaotische und gefährliche Verkehrssituation, weniger den Lärm, sollte das Bezirksamt seine Pläne durchsetzen.

Die „Art und Weise“, sagt Patric Neeser, wie vor allem die zuständige Stadträtin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) und der Fraktionsvorsitzende der CDU in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), Torsten Hippe, „mit unseren Sorgen umgegangen sind, haben mich, meine Frau und unsere Mitstreiter völlig ratlos zurückgelassen“.

Richter-Kotowski habe in einem persönlichen Gespräch Informationen „vorgegaukelt“, die es noch gar nicht gab. „Und Herr Hippe hat mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass ihn unser Anliegen nicht interessiert.“ Diese „Geringschätzung“ sei eine der „Hauptgründe für unsere Überlegungen“.

In Dahlem wird ums Ei gestritten. Das Bezirksamt möchte gerne auf dem Gelände der Wilma-Rudolf-Schule dem sportlich sehr erfolgreichen Berliner Rugby Club eine größere Spielstätte ermöglichen. Viele Anwohner haben vor allem bedenken wegen der schwierigen Verkehrssituation in den engen Straßen hinter der ehemaligen Truman Plaza.
In Dahlem wird ums Ei gestritten. Das Bezirksamt möchte gerne auf dem Gelände der Wilma-Rudolf-Schule dem sportlich sehr erfolgreichen Berliner Rugby Club eine größere Spielstätte ermöglichen. Viele Anwohner haben vor allem bedenken wegen der schwierigen Verkehrssituation in den engen Straßen hinter der ehemaligen Truman Plaza.

© Imago

In vielen Gesprächen mit Freunden, anderen Familien und vielen Bürgern, die nicht nur in Dahlem wohnen, seien schließlich immer häufiger Erfahrungen ausgetauscht worden, die sich ähnelten. Neeser: „Vom verordneten Hundeverbot am Schlachtensee über den Zustand der Schulen bis hin zu mangelnder Sicherheit für Kinder an bestimmten Straßen. Immer wieder werden die Anliegen der Bürger nicht wirklich ernstgenommen.“

"In Berlin ist vielen immer alles egal. Das ist schade."

Tatsächlich sind in Steglitz-Zehlendorf in den letzten Jahren immer häufiger Konflikte zwischen Bürgern und der Verwaltung im Bezirksamt ausgebrochen. Das prominenteste Beispiel ist der Streit um ein generelles Hundeverbot an der Krummen Lanke und am Schlachtensee. Ausgerechnet die Grünen hatten sich hier jedem Kompromiss verschlossen, „Bürgerbeteiligung war hier überhaupt nicht erwünscht“, sagt einer aus dem künftigen Kreis der Bürgerunion.

Ein anderes Beispiel für das "Versagen der bezirklichen Kommunikation", wie Neeser beklagt, sei der Umgang mit der katastrophalen baulichen Situation der Schulen und Sportplätze. Zigfach haben Elternvertreter sie aufgelistet, Briefe geschrieben, gemahnt und gefordert. Der mittlerweile legendäre Adventskalender „Einstürzende Schulbauten“ des Bezirkselternausschusses ist zum Mahnmal für die Zustände im Bezirk geworden. Ein Schuldirektor eines Gymnasiums hat aufgrund dieser Konflikte im Winter 2014 einen Herzinfarkt bekommen.

Neeser formuliert es so: „Es geht um Transparenz, Glaubwürdigkeit und Wertschätzung – Kompromisse im Konkreten kann man dann ja immer finden.“ Stattdessen, wird beklagt, ziehen sich die Verantwortlichen gerne auf formale Positionen zurück: kein Geld, kein Handlungsspielraum.

Patric Neesers Ehefrau Cornelia, selbständige Unternehmensberaterin und erfahren im Umgang mit Zielkonflikten, sagt: „Es geht uns nicht um das Ergebnis politischer Entscheidungen, sondern um die vorgelagerten, von den Mehrheitsfraktionen offensichtlich bewusst undurchsichtig  gesteuerten Abläufe politischer Prozesse.“

Es geht ihnen auch um Respekt und Wertschätzung

Die Bürgerunion will nach eigener Aussage „keine Angst verbreiten, um bestimmte politische Projekte zu verhindern“. Patric Neeser fügt hinzu: „Wir wollen mithelfen, Politik besser zu machen. Deshalb werden wir antreten und dann auch konstruktiv mitarbeiten.“ Eine Forderung sei es, „mehr Transparenz für die parlamentarische Arbeit der BVV zu erreichen“. Es gehe aber auch um gegenseitigen Respekt im Verhältnis von Politik, Verwaltung und Bürgern.

Patric Neeser ist gebürtiger Würzburger und in Bayern aufgewachsen, ehe er eine internationale Hotelkarriere einschlug und vor allem im gastronomischen Bereich arbeitete. Er und seine Frau betreiben das Restaurant Weihenstephaner am Hackeschen Markt in Mitte. Neeser sagt mit einem Schmunzeln von sich selbst: „Blöd an Berlin finde ich vor allem, dass ich hier nicht die CSU wählen kann.“ Aber es stört ihn noch etwas anderes, das wirklich wesentlich für ihn ist: „In Berlin ist vielen immer alles egal. Die Taktik lautet: wird schon werden. Ich vermisse hier Verantwortungsgefühl, niemand fühlt sich mal an der Ehre gepackt. Das ist schade, weil so kein Vertrauen wachsen kann.“

Gerade erst hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass die juristische Argumentation des Bezirksamts und der Senatsverwaltung für ein generelles Hundeverbot nicht rechtens ist. Die Grünen wollen weiterhin das Verbot, die CDU will eine saisonale Lösung. Das Thema wurde weit über den Bezirk hinaus so brisant und heftig diskutiert, weil vor allem die Grünen gesagt hatten, man führe zwar Gespräche, Kompromisse werde es aber nicht geben.
Gerade erst hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass die juristische Argumentation des Bezirksamts und der Senatsverwaltung für ein generelles Hundeverbot nicht rechtens ist. Die Grünen wollen weiterhin das Verbot, die CDU will eine saisonale Lösung. Das Thema wurde weit über den Bezirk hinaus so brisant und heftig diskutiert, weil vor allem die Grünen gesagt hatten, man führe zwar Gespräche, Kompromisse werde es aber nicht geben.

© Thilo Rückeis

Die Mitstreiter der Bürgerunion kommen überwiegend aus dem bürgerlichen Lager - Lehrer, Unternehmer, Gastronome, Rechtsanwälte, Marketingexperten. Aber die künftige Wählergemeinschaft will offen sein für alle Bürger und Schichten. „Es geht uns nicht um Fragen von links, rechts oder mitte, wir wollen ja nicht die Politik im Bund verändern, sondern mehr Bürgerbeteiligung in unseren Kiezen im Bezirk erreichen.“

185 Unterschriften reichen für eine erfolgreiche Gründung

In den ersten Monaten des neuen Jahres wird der harte Kern der künftigen Wählergemeinschaft sich konstituieren, einen Vorstand und einen bezirklichen Spitzenkandidaten wählen. Gleichzeitig will man möglichst viele Mitglieder gewinnen. Wenn die formalen Bedingungen erfüllt sind und das Bezirkswahlamt die Vordrucke für die notwendigen Unterstützerunterschriften verschickt hat, fehlen 185 gültige Unterschriften, um im Herbst antreten zu dürfen, die spätestens bis zum 12. Juli 2016 eingereicht sein müssen. Um ins Rathaus einzuziehen, müsste die Bürgerunion mindestens drei Prozent der Stimmen im Bezirk gewinnen.

Patric Neeser ist optimistisch: „Wir haben schon Zusagen von Menschen, die uns helfen wollen, finanziell und bei der praktischen Arbeit.“

"Wir sind keine Pöbler, wir meinen es nur ernst"

Die Bürgerunion wird mit ihrem Auftauchen ungewollt auch an eine andere, sehr erfolgreiche Initiative erinnern: an die „Wählergemeinschaft Unabhängiger Bürger“ (WUB). Die WUB stellte zeitweise zwei Stadträte im Zehlendorfer Rathaus. 1975 kandidierten die „Bürger“ erstmals für die BVV, um den Bau eines Straßentunnels zu verhindern und wurden zu einer festen Größe im Rathaus. 1992 schaffte die WUB noch 17,7 Prozentpunkte, 1999 waren es noch 3,2, am 30. April 2002 löste sich die WUB auf.

Die Bürgerunion will ins Rathaus Zehlendorf und in die Bezirksverordnetenversammlung einziehen bei den kommenden Wahlen im nächsten Jahr.
Die Bürgerunion will ins Rathaus Zehlendorf und in die Bezirksverordnetenversammlung einziehen bei den kommenden Wahlen im nächsten Jahr.

© Thilo Rückeis

Zurzeit gibt es in der BVV vier Parteien: CDU, Grüne, SPD und Piraten. Die Zählgemeinschaft aus Grün und Schwarz arbeitet seit Jahren sehr effektiv und harmonisch zusammen, und sie gilt als Vorbild für ein mögliches schwarz-grünes Bündnis auf Senatsebene. Die Sozialdemokraten werden auch im kommenden Wahljahr so gut wie keine Chance haben, an den Mehrheitsverhältnissen im Bezirk etwas zu verändern. Die Bürgerunion wird wohl automatisch vor allem für die schwarz-grüne Wählerklientel in Zehlendorf interessant werden. Das könnte den Rahmen für neue Allianzen erheblich verändern.

Patric Neeser weiß im Augenblick noch nicht, wie es wäre, wenn die Arbeit als Verordneter noch auf ihn oder andere zukommen würde. Arbeit habe er aber noch nie gescheut. Viel mehr treibt ihn eine andere Sorge um: „Wir möchten niemanden verschrecken, nicht als die Pöbler dastehen. Wir meinen es nur ernst.“

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel und hat den Tagesspiegel-Zehlendorf  konzipiert, auf dem dieser Text erscheint.

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