zum Hauptinhalt
Der nächste Rushhour-Gottesdienst findet hier in der Kirche Schönow-Buschgraben in Zehlendorf statt

© Anett Kirchner

Rushhour-Gottesdienste im Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf: Irgendwann ist gut mit Gutsein

Rushhour-Gottesdienste, so nennt sich ein neues Angebot des Kirchenkreises Teltow-Zehlendorf. Es richtet sich an Menschen in der "Rushhour" ihres Lebens - also an Eltern, Berufstätige und Engagierte. Eine moderne Form des Gottesdienstes mit traditionellen Liturgien.

Das klingt wie in der Politik oder in der Verwaltung: Jesus erklärt sich für nicht zuständig. Denn er hat Urlaub, will sich von seinem „stressigen Alltag“ erholen und zieht sich nach Tyrus zurück, etwa vier Tagesreisen von Galiläa. Doch dort fleht ihn eine einheimische Frau um Hilfe an. Jesus ignoriert sie - zunächst. Von dieser biblischen Begebenheit erzählt Dirk Palm in einer Predigt. Er ist ein so genannter Prädikant, ein offizieller Hilfsprediger im Evangelischen Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf. Diese besagte Predigt hatte er für einen besonderen Gottesdienst vorbereitet: für einen „Rushhour-Gottesdienst“. Das ist ein neues Angebot, das sich speziell an Eltern, Berufstätige, Zeitsuchende und Engagierte richtet – eben an Menschen in der Rushhour ihres Lebens.

„Ich finde, wir sollten es uns mit der Jesus-Kritik hier nicht leicht machen“, sagt Dirk Palm und nimmt noch einmal Bezug auf seinen Predigttext. Denn: Seien wir nicht alle, gestresst von unseren vielen Aufgaben und Rollen, ständig in der Situation, in der Jesus sich hier befindet? Nach langer, harter Arbeit: Endlich Urlaub. „Ich kann mich gut in ihn hineinversetzen: Irgendwann ist es mal gut mit dem Gutsein.“ Irgendwann habe man das Gefühl: Jetzt bin ich mal dran, wenn ich schon tagein, tagaus für andere da bin.

Als Rushhour des Lebens wird im Allgemeinen die Lebensphase eines Menschen vom Abschluss der Berufsausbildung bis zu seiner Lebensmitte bezeichnet - etwa zwischen 30 und 50 Jahren. Und genau in dieser Phase befand sich Jesus, und genau in dieser Phase befinden sich derzeit auch Indra Wiesinger und Dirk Palm, die Initiatoren der Rushhour-Gottesdienste.

Indra Wiesinger und Dirk Palm haben die Rushhour-Gottesdienste initiiert
Indra Wiesinger und Dirk Palm haben die Rushhour-Gottesdienste initiiert

© Anett Kirchner

Beide wohnen mit ihren Familien in Zehlendorf, sind 49 und 45 Jahre alt, haben jeweils vier Kinder und sind berufstätig. Indra Wiesinger arbeitet als Diakonieschwester. Dirk Palm ist Buchverleger. Ihr Alltag? Termine, Termine, Termine. Auch im Interview muss alles sehr schnell gehen. Fragen stellen, antworten, ein Foto machen: Dirk Palm wirkt angespannt, schaut auf die Uhr und verrät etwas verlegen, dass er schon bald den nächsten Termin habe.

„Weil ich genau weiß, wie das ist, hatten wir die Idee zu diesen Gottesdiensten“, erklärt er. Ihm sei es wichtig, dass er eigene Erfahrungen einbringe. Er wolle nicht über etwas sprechen, das ihm unbekannt sei - wie zum Beispiel einem Blinden die Farbe. Familien seien heutzutage in der Woche meist zerrissen, verbrächten wenig Zeit zusammen, oft nicht einmal zu den Mahlzeiten. Die neue Gottesdienst-Reihe soll sich diesen Menschen widmen und auch jene willkommen heißen, die der Kirche bisweilen distanziert gegenüber stehen. Anstatt dass sie sich anonym in die Bankreihe einer Kirche setzten, werde hier jeder Einzelne angesprochen: „Du bist gemeint. Schön, dass Du da bist.“

Eine moderne Form des Gottesdienstes mit traditionellen Liturgien also – vier Mal im Jahr, jeweils sonntags um 10.30 Uhr in einer anderen Gemeinde des Kirchenkreises. Bevor es losgeht, gibt es eine Tasse Kaffee, ein Stück Obst und ein Minifrühstück für die Kinder. Dann, zum Warmwerden, wird gesungen; mit einer Erklärung zu jedem Lied.

Indra Wiesinger, hier mit einer Szene nach dem Godly Play-Konzept, beginnt die Bibelstunde immer mit einer Bibelgeschichte, anschaulich erzählt mit Holzfiguren und Requisiten
Indra Wiesinger, hier mit einer Szene nach dem Godly Play-Konzept, beginnt die Bibelstunde immer mit einer Bibelgeschichte, anschaulich erzählt mit Holzfiguren und Requisiten

© Anett Kirchner

Den Gottesdienst für die Erwachsenen übernimmt Dirk Palm. Für die Kinder ist in der Zwischenzeit Indra Wiesinger da. Sie beginnt immer mit einer Geschichte aus der Bibel, anschaulich erzählt mit Holzfiguren und Requisiten. Dabei sitzen alle Kinder auf dem Boden im Kreis. Ein Junge kann sich kaum halten vor Neugier, rutscht näher und näher an die Diakonin heran. Er will die Holzfiguren genau erkunden. „Du musst zurückrutschen, sonst sehen die anderen nichts“, versucht sie zu erklären. Doch nein. Er bevorzugt den Platz vor allen anderen und schaut gebannt auf die Holzfiguren.

An diesem Vormittag im Gemeindehaus der Zehlendorfer Kirchengemeinde Zur Heimat ist während des Interviews eine Kita-Gruppe bei Indra Wiesinger zu Gast. Sie nutzt eine bestimmte Erzählmethode, die sich Godly Play nennt. Das ist ein spezielles Konzept der religiösen Bildung für Kinder, verbunden mit den pädagogischen Ansätzen von Maria Montessori. Dabei werden die Kleinen ermutigt, selbst zu theologisieren; spielend, hörend und redend. „Und am Ende kommen wir noch einmal zusammen, zünden eine Kerze an und beten gemeinsam“, erklärt die Diakonin. Ähnlich werde es dann auch bei den Rushhour-Gottesdiensten laufen.

Godly Play" heißt eine Form religiöser Bildung für Kinder und Erwachsene, die u.a. auf eine lebendige Beziehung zur Botschaft der Bibel und auf persönliches spirituelles Wachstum zielt
Godly Play" heißt eine Form religiöser Bildung für Kinder und Erwachsene, die u.a. auf eine lebendige Beziehung zur Botschaft der Bibel und auf persönliches spirituelles Wachstum zielt

© Anett Kirchner

Und welche Lehre zieht Dirk Palm in seiner Predigt? „Mir ist es schon oft so gegangen, dass ich Gott um etwas gebeten habe, und es ist nicht in Erfüllung gegangen. Manchmal hatte ich das Gefühl: Gott schweigt. Viele bringt das zu dem Schluss: Es gibt ihn nicht. Aber diese Frau, die Jesus drei Mal um Hilfe bittet, zeigt, wie Glauben wirklich funktioniert: Wenn wir dranbleiben, wenn wir uns wirklich durchringen, einmal zuzugeben, dass nicht wir es sind, die das Leben steuern, dann zeigt uns Jesus einen Weg.“

Zwei Rushhour-Gottesdienste haben bisher stattgefunden. Indra Wiesinger und Dirk Palm waren mit der Resonanz zufrieden. Jeweils rund 100 Gäste haben sie gezählt. Im Vergleich viel, denn gewöhnlich raffen sich wenige Christen sonntags auf und finden den Weg in die Kirche. „Wir hören oft: Ich brauche mal meine Ruhe“, sagen sie. Der nächste Rushhour-Gottesdienst findet am Sonntag, den 22. Mai, um 10.30 Uhr, in der Kirche Schönow-Buschgraben statt.

Der nächste Rushhour-Gottesdienst findet am Sonntag, den 22. Mai, um 10.30 Uhr, in der Kirche Schönow-Buschgraben statt.

Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels. Folgen Sie der Redaktion auch auf Twitter.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false