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Im Winter wirkt die Anlage trostlos, aber im Sommer sei es hier sehr schön, sagt Anneliese I.

© Raack

Sanierung für Flüchtlinge in Berlin-Zehlendorf: Heckeshorn-Bewohner sollen raus - "für mich der Horror"

Das ehemalige Schwesternwohnheim am Heckeshorn gammelt vor sich hin, soll aber bald für Flüchtlinge saniert werden. Der Tagesspiegel-Zehlendorf hat eine Dame getroffen, die nun ihr Zuhause aufgeben soll.

Arm in Arm stehen Mutter und Tochter im feinen Nieselregen vor dem düsteren Gebäude. „Das ist unser Zuhause“, sagt Mutter Anneliese I. wie zu sich selbst, ein wenig so, wie man vielleicht über einen Verwandten spricht, der trotz aller Ecken und Kanten zur Familie gehört.

Denn mehr als an ein wohnliches Zuhause erinnert das ehemalige Schwesternwohnheim der früheren Lungenklinik Am Heckeshorn an eine Reihe von Baracken: An mehreren Stellen unterhalb der Dachrinne klaffen Löcher, groß wie Pflastersteine, über mehrere Meter roher Beton unterhalb des Daches, teils grün vermoost. Neben dem Weg ein meterhohes Dickicht aus Beerenhecken. Grellweiß klaffen im dunkelbraunen Putz noch die Spuren, die Efeuranken einst hineingefressen haben. Vor ein paar Jahren müssen sie herausgerissen worden sein, seither ist offensichtlich nichts passiert.

Kaum vorstellbar, dass dort noch jemand wohnt.

Frau I. wohnt hier seit 25 Jahren¸ ihre beiden Töchter sind hier aufgewachsen. Als Krankenschwester hatte sie in der damaligen städtischen Emil-von Behring-Klinik am Heckeshorn gearbeitet. 1990 waren die beiden Gebäude an der Straße Zum Heckeshorn zu Dienstwohnungen umgebaut worden. Die damals vierköpfige Familie I. mit zwei kleinen Töchtern zieht in eine Dreizimmerwohnung. „Meine Töchter sind nach der Schule immer gleich in den Wald los gestiefelt, ohne dass man Angst haben musste, dass was passiert.“ Tochter Lea nickt: „Ich bin mitten im Wald groß geworden, wir haben Igel und Eichhörnchen groß gezogen. Das war für mich als Kind schön gewesen. Mama hat alles richtig gemacht.“

Doch nun soll Anneliese I. umziehen, wenn es nach ihrer Vermieterin, der Berliner Immobilien Management GmbH (BIM), geht. Um keine Schwierigkeiten mit der Vermieterseite zu bekommen, möchte sie nicht mit vollem Namen genannt und nicht fotografiert werden. In der Wohnung ihrer Tochter hält Frau I. das Schreiben in den Händen, das sie Anfang Januar erhalten hat. "Wie Sie sicher durch die öffentliche Berichterstattung schon erfahren haben“, liest sie vor, „sollen die leer stehenden Wohnungen nach der Instandsetzung Flüchtlingsfamilien zur Verfügung gestellt werden. Die Planung sieht vor, dass die Baumaßnahmen frühestens Mitte 2016 beginnen sollen.“

Als der Brief Anfang Januar von der Verwaltung eintrifft, ist Anneliese I. gerade in ihrer bayerischen Heimat. Ein Todesfall in der Familie. Und dann auch noch das: „Eigentlich habe ich dafür keinen Kopf frei", sagt Anneliese I, und blickt vor sich auf den Tisch. „Das zieht mir komplett die Füße weg.“

Lea fasst sie am Arm. „Es fühlt sich an, als hätte Mama kein Zuhause mehr.“ Innerhalb von 14 Tagen sollte sich Frau I. zu dem Schreiben äußern. Das tut weh, sagt Anneliese I.: "Jahrelang wurde hier nichts gemacht. Nun soll ich schnell raus und alles wird hergerichtet."

Im Obergeschoss: Ein Strahlenkranz aus grauem Schimmel

Herzurichten wäre eine ganze Menge: Wie groß der Sanierungsbedarf im ehemaligen Schwesternwohnheim ist, zeigt sich auch im Treppenhaus: Der Linoleumboden ist lieblos mit hellgrauen und sperrholzbeigen Quadraten geflickt, im Obergeschoss ziert ein strahlenförmiger Kranz aus grauem Schimmel, etwa ein Meter im Durchmesser, die Decke. Eine Plastikwanne darunter ist halbvoll mit Wasser. Daneben flöckchenweise Putz von der Decke.

Im Februarregen haben das Gebäude und das ganze Gelände etwas sehr Morbides. Auch Anneliese I. scheint das zu denken und sagt beinahe entschuldigend: „Im Sommer ist es hier sehr schön.“ Sonst hätte sie es hier sicher nicht so lange ausgehalten. „Bei jedem Wassertest haben wir Legionellen im Wasser. Zwar haben wir Filter in der Dusche, aber die werden auch nur auf Anfrage hin mal ausgetauscht. Drei- bis viermal in Jahr fällt das Warmwasser aus, die Leitungen sind anscheinend kaputt. Immer mal wieder muss eine Pumpe repariert werden, und das dauert dann schon mal.“

Mitte oben deutlich zu sehen: Ein Loch unterhalb der Dachrinne. Davor hat einer der wenigen Bewohner Meisenknödel aufgehängt - die Lage des Wohnheims mitten in der Natur scheinen die letzten Bewohner zu schätzen
Mitte oben deutlich zu sehen: Ein Loch unterhalb der Dachrinne. Davor hat einer der wenigen Bewohner Meisenknödel aufgehängt - die Lage des Wohnheims mitten in der Natur scheinen die letzten Bewohner zu schätzen

© Raack

Trotzdem: „Wegzuziehen wäre für mich der Horror. Dafür pfeife ich auch auf Legionellen und die gefühlte Einsturzgefahr.“

Frau I ist Ende Fünfzig und sie hätte hier auch ihren Lebensabend verbracht, trotz aller Mängel. Wenigstens sei die Miete seit Jahren nicht erhöht worden, schließlich verdiene sie als Krankenschwester nicht üppig.

Die Verwaltung hat Frau I. angeboten, dass sie ins Nebengebäude zieht: Aus der Dreizimmerwohnung in eine Einzimmerwohnung. Im Raum steht auch die Möglichkeit, die Einzimmerwohnungen dort so zusammenzulegen, dass eine Dreizimmerwohnung entsteht. Dieser Lösung wäre sie grundsätzlich nicht abgeneigt. Aber es scheint, als wolle sie die anstehende Veränderung gar nicht an sich heran lassen. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie das funktionieren soll - wie die Nasszellen und die einzelnen Küchen aus drei Einzelwohnungen zusammengelegt und ausgebaut werden sollen.“ Anneliese I. möchte am liebsten, dass alles so bleibt wie bisher.

Denn Lebensmittelpunkt von Familie I. war und ist: Wannsee. Seit Anneliese I. 1976 für die Ausbildung nach Wannsee kam, hat sie - mit nur zwei Jahren Unterbrechung in Zehlendorf Mitte - immer in Wannsee gelebt. Sie liebt es, hier die Eichhörnchen und Rehe aus dem Fenster zu beobachten.

Schon von außen zu sehen: Die Wohnungen im Obergeschoss sind feucht, sagt auch Bewohnerin Anneliese I.
Schon von außen zu sehen: Die Wohnungen im Obergeschoss sind feucht, sagt auch Bewohnerin Anneliese I.

© Raack

Tochter Lea wohnt heute auch wieder auf dem Areal, etwa 300 Meter von der Wohnung der Mutter entfernt. Es klingt wie Bullerbü am Rande von Berlin: Alle Freunde wohnen hier, der Kindergarten und die Grundschule um die Ecke – die sechsjährige Enkelin von Anneliese I. besuchte denselben Kindergarten und ist nun auf derselben Schule wie vor zwanzig Jahren ihre Mutter Lea.

Eigentlich wollten Anneliese und Lea bald eine Mehrgenerationenwohnung suchen, hier auf dem Gelände, um die kleine Enkelin gemeinsam betreuen zu können. Schließlich arbeiten beide im Schichtdienst. Ohne Oma laufe nichts, sagt die alleinerziehende Lea I. „Wir sind gemeinsam gut organisiert. Aber das funktioniert nur, weil wir so nah beieinander wohnen.“

Am Telefon habe die Verwaltung Lea I. gesagt, dass ihre Mutter nach den Sanierungsmaßnahmen nicht mehr in ihre Wohnung zurück kommen könne. Anneliese I. umschließt mit ihren Händen die Teetasse, als suche sie nach Halt. Tochter Lea sagt: „Die Hausverwaltung konnte uns nicht sagen, was passieren wird. Aber wir kennen ja die Bebauungspläne: Auch das Nachbarhaus ist für Flüchtlinge frei gegeben.“

Aus der Nähe betrachtet offenbart sich der ganze Schaden
Aus der Nähe betrachtet offenbart sich der ganze Schaden

© Raack

Einer ihrer Nachbarn hat gleich im Dezember, als die ersten Flüchtlinge ins Bettenhaus nebenan zogen, Kameras aufgestellt. Das finden die I.s übertrieben. „Wenn bei uns Krieg wäre, würde ich auch ein besseres Leben wollen", sagt Lea I. Aber mitten unter Flüchtlingen leben, das möchten sie nicht. „Dass man den Leuten Wohnraum geben muss, das ist doch klar. Und ich habe wirklich nichts gegen die Menschen“, stellt Anneliese I. richtig. Gerade in Wannsee sei die Situation gut, auch mit den Schulen funktioniere es. "Deshalb verstehe ich nicht, warum das nicht so bleiben kann, warum man da was drauf setzen muss, das eben nicht klappt“, sagt Lea I.

Und dann meint sie kämpferisch: „Wenn unser Umfeld hier zuhause komplett verändert ist, fühlen wir uns nicht mehr wohl. Deshalb haben wir Mamas Umzug nach nebenan als Option für unsere Familie abgewählt. Das haben wir denen auch geschrieben, und nun warten wir ab.“

Vor den TBC-Kranken oder Diabetikern, die im Bettenhaus untergebracht sind, habe sie ja keine Angst, meint dann Anneliese I. Viel gefährlicher sei doch die Gefährdung von außen, die von radikalen Nazis ausgehe, die Flüchtlingsheime in die Luft jagen. „Wir sitzen dann mittendrin. Wer kümmert sich um uns, wenn jetzt schon kaum Kontakt möglich ist? Und ob uns Freunde dann vor lauter Security noch einfach so besuchen können - das sind Fragen, die uns keiner beantworten kann“, sprudelt es aus ihr heraus.

Die BIM will eine transparente Lösung

Eine Antwort versucht Christian Breitkreutz, Leiter Kommunikation und Marketing bei der BIM, am Telefon: „Es ist verständlich, dass da Ängste entstehen vor einer Veränderung, wenn man 25 Jahre wo lebt. Aber wir wollen keine Entscheidung über die Köpfe hinweg. Die Bewohner können umziehen, das ist keine Pflicht. Aber wir hoffen natürlich auf die Kooperation von Seiten der Mieter.“

Zuerst werde das Nachbarhaus von Frau I. saniert, so dass sie dann dort in einer sanierten Wohnung bleiben könne. „Es darf kein Sozialneid entstehen, daher werden nun alle Wohnungen in den für Flüchtlinge frei gegebenen Gebäuden hergerichtet; keine Luxussanierung zwar, aber dafür erhöhen wir auch nicht die Mieten.“ Die Belegung mit Flüchtlingsfamilien erfolge dann über das Lageso, da habe die BIM keinen Einfluss. Aber in den nächsten Tagen werde sich die Verwaltung mit den Mietern treffen und sich um eine gemeinsame Lösung bemühen.

Anneliese I. sagt, sie müsse nun mal zur Ruhe kommen und überlegen, was sie möchte. „In Wannsee jedenfalls können wir dann kaum bleiben, das ist für uns alles nicht bezahlbar. Und was hier angeboten wird, macht auch für uns keinen Sinn: Wir brauchen keine Marmorböden, sondern einfach vier Zimmer für uns als Familie. Mehr wollen wir doch gar nicht."

Die Autorin schreibt für den Tagesspiegel und für Tagesspiegel Zehlendorf, das digitale Stadtteil- und Debattenportal aus dem Berliner Südwesten, auf dem dieser Text erscheint.

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