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Blick auf die Teltower Andreaskirche vom Schönower Ufer aus

© Bernhard Wiens

Schinkel-Wettbewerb 2016: Jeder macht Seins zwischen Teltow und Zehlendorf

Der gerade entschiedene Schinkel-Wettbewerb rückt die Stadtränder ins Blickfeld. Die Teilnehmer sollten dem Neben- und Gegeneinander von Siedlungs- und Verwaltungsstrukturen abhelfen.

„Zwischenstadt“ nennen es die Stadtforscher. Die Zone nördlich und südlich des Teltowkanals, zerschnitten von Landes- und Verwaltungsgrenzen, ist ein Patchwork aus unterschiedlichen Siedlungs-, Industrie- und Landschaftsfragmenten. Der Kanal, einst eine Wirtschaftsader, stellt eine Barriere dar, die noch Wundmale trägt vom scharfen Einschnitt durch die Mauer. Zehlendorf wie Teltow kehren dem Wasser den Rücken zu. Ein gemeinsamer Entwicklungstakt ist noch nicht gefunden. Jeder macht Seins, sagen mit der Regionalpolitik Vertraute. Es ist nicht einmal verwunderlich, wenn sich die Lokalpolitik lieber um das Wohnzimmer, also die Ortskerne, kümmert, als um die peripheren Räume.

Einladende „Stadteingänge“ sind nicht mehr sichtbar, wenn die Ränder zum Siedlungsbrei zerfasern. In solchen „Nicht-Orten“ verliert sich der südliche Teltower Damm. Statt ihn durch den noch vorhandenen Landschaftsraum des Kanals abzufedern, verkanten ihn neue Super- und Baustoffmärkte. Auf der Teltower Seite geht es mit einem Kreuzungs- und Kreiselsystem weiter. Das Gebiet ist für den Autoverkehr „übererschlossen.“ Fußgänger müssen Spießruten laufen, und der S-Bahnhof liegt gefühlt in weiter Ferne.

Der vom Berliner Architekten- und Ingenieur-Verein international ausgelobte Ideenwettbewerb für den Nachwuchs in den planenden Zünften fand zum 161. Mal statt. Die Gewinner des Hauptpreises, Tatjana Busch und Elisabeth Stieger, stellten sich dem Problem der Stadteingänge und entwarfen ein Gesamtkonzept zur Annäherung der getrennten Nachbarn.

Im Entwurf der beiden Studentinnen der TU Berlin werden die Zufahrten zur Knesebeckbrücke beidseitig von länglichen keilförmigen Streifen begleitet, die zum Kanalufer abgetreppt sind. An diesen „Brückenplatz“ schließen weitere Platzfolgen an, bis über einen Boulevard der Bahnhof Teltow-Stadt erreicht wird, der nun seinerseits als Stadteingang zu erleben ist. Die Kreisel, die eine reine Mobilitätsfunktion für den Autoverkehr haben, werden aufgehoben.

Jacob Mau, Helena Steinbrenner und Lianne Vreugdenhil von der Berliner Beuth Hochschule zeigen die Teltow-Werft als eine Enklave, in eine ehemalige Fabrikhalle setzen sie Holzboxen für klösterliche Einkehr
Jacob Mau, Helena Steinbrenner und Lianne Vreugdenhil von der Berliner Beuth Hochschule zeigen die Teltow-Werft als eine Enklave, in eine ehemalige Fabrikhalle setzen sie Holzboxen für klösterliche Einkehr

© Jacob Mau, Helena Steinbrenner, Lianne Vreugdenhil

Als die beiden Studentinnen mit ihren Fahrrädern vom S-Bahnhof aus das Terrain erstmals sondieren wollten, fragten sie sich: Wo ist das Wasser? Eine weitere Frage schließt sich an: Wo ist die Altstadt? Der Besucher steht kurz davor und sieht sie nicht. Sie wird von den in Ost-West-Richtung verlaufenden Hauptstraßen in die Zange genommen. Abgesehen vom Ruhlsdorfer Platz, der nach dem Entwurfskonzept „fußläufig erlebbar“ wird und ein Scharnier zwischen der Altstadt und der vorsichtig ergänzten Wohnbebauung im Osten darstellt, kam den beiden eine im wörtlichen Sinn übergreifende Idee, welche auch die Schönower Seite umfasst. Sie überziehen das Gebiet mit etlichen Stegen, die in Nord-Süd-Richtung verlaufen und jeweils bis an die Uferzone reichen, ohne diese oder die Kanalwege zu stören.

Damit brechen die Verfasserinnen die Ost-West-Orientierung insbesondere Teltows. Aber auch der Schönower Landschaftsraum wird dadurch besser erschlossen, etwa von der Kleingartenanlage oder von Alt-Schönow aus. „Steg“ ist ihr Oberbegriff für Stichwege, die in Plateaus enden können, aber auch Achsen, die sich zu Plätzen oder Parks weiten.

Zusammen mit den hergebrachten Ost-West-Verläufen bildet sich ein Freiraumgerüst, dem die Idee des Zusammenwachsens durchaus im Sinne von Willy Brandt zugrunde liegt. Das wird auch durch andere Mittel als nur durch Brücken erreicht. Dieser Entwurf ist sich jedoch mit den anderen prämierten und mit den Stadtplanern und Politikern auf beiden Seiten einig, dass an der westlichen Seite des Wettbewerbsgebiets, an der Grenze zu Kleinmachnow, eine Fußgängerbrücke in Verlängerung der Sachtlebenstraße geschlagen werden soll. Ein alter Brückenkopf ist noch vorhanden.

Eine Idee: Moderne Architektur "anzukleben"

An dieser Stelle ist der Kanalweg unterbrochen, wie als Hinweis darauf, dass der Grüne Hauptweg, als welcher der Teltowkanal in seiner Gesamtlänge ausgewiesen ist, noch lange nicht realisiert ist. Der Stolperstein ist die Teltow-Werft, und sie war ein Vertiefungsgebiet für die Wettbewerbsbeiträger. Die Werft ging um 1924 aus dem Bauhof für den Kanal hervor. Auf dem Gelände, inzwischen zu Zehlendorf gehörend, befand sich ein Lokschuppen und ein Elektrizitätswerk für den Treidelbetrieb. Heute ist das Ensemble denkmalgeschützt, darf aber baulich ergänzt werden.

Das regte die Gestaltungsphantasie mehrerer der prämierten Teams an. Die Dächer der vorhandenen Industriehallen gaben einer Gruppe die Norm und Form vor, moderne Architektur „anzukleben“. Ateliers, Gastronomie und Manufakturen sind die Nutzungen, welche Studenten zuerst in den Sinn kommen. Aber es reicht weiter bis zu einem „Saftladen“, und das ist sehr konkret gemeint.

Die benachbarten Kleingärtner könnten ihre Früchte abgeben, und den Senioren des angrenzenden Wohnstifts würde der Saft angeboten. Ein generationsübergreifendes Konzept ist sogar im Bebauungsplan niedergelegt, aber leider hat der Bezirk bzw. Eigentümer bisher mit Investoren kein Glück gehabt.

Jacob Mau, Helena Steinbrenner und Lianne Vreugdenhil von der Berliner Beuth Hochschule gehen bei der Werft im Unterschied zu konkurrierenden Teams weniger von der Öffnung des Geländes samt Hafenbecken aus, sondern eher vom Gedanken einer Enklave. In eine ehemalige Fabrikhalle setzen sie Holzboxen, um klösterliche Einkehr halten zu können. Die Idee ist hochaktuell, wenn sie nicht gerade so marginal wie in den Tempelhofer Hangars für Flüchtlinge umgesetzt wird.

Nachverdichtungsvorschlag für die Teltow-Werft, Ähnlichkeiten mit holländischer Architektur sind rein zufällig
Nachverdichtungsvorschlag für die Teltow-Werft, Ähnlichkeiten mit holländischer Architektur sind rein zufällig

© Entwurf/Foto: Jacob Mau/Helena Steinbrenner/Lianne Vreugdenhil

Unter den übergreifenden Ideen finden sich etliche Entwürfe, die das Unterschiedliche der Großräume unterstreichen, Die weiche Auenlandschaft der Schönower Wiesen und die harte Urbanität im Süden begegnen sich. So könnte das Teltower Zeppelinufer zu einem neuen Zentrum ausgebildet werden, zu einem gemischten Quartier mit Markthalle und Theater, dessen Bühne auf dem Wasser schwimmt. Das Ufer würde im wörtlichen Sinn zur Stadtbühne. Diese Entwürfe verlangen als verbindendem Element nach neuen Rad- und Fußgängerbrücken.

Was boten die Studenten sonst noch? In der Sektion „Freie Kunst“ schlägt Amelie Fehrenbach, Architekturstudentin aus Konstanz, vor, Teltower Häuser verschiedener Bauperioden mit dem Kran hochzuhieven und über den Teltowkanal nach Mailand, Paris oder San Francisco zu verschiffen. Dort werden sie in Baulücken gesetzt und laden sich mit Urbanität auf, die sie nach ihrer Rückkehr auf ihre Heimatstadt abstrahlen. Verrückt? Aber wenn das Unmögliche nicht gedacht wird, kann auch das Mögliche nicht realisiert werden, Und Fehrenbachs Arbeit liegt die realistische Diagnose zugrunde, dass die Stadt wie auch die gesamte Wettbewerbsregion zerfranst und fragmentiert ist. „Verinselung“ nennen es die Stadtforscher.

Ein „versteckter Ort“ in Schönow
Ein „versteckter Ort“ in Schönow

© Bernhard Wiens

Ein anderes Team entwarf für die Mitte des Kanals einen filigranen Turm, der nur schwimmend oder per Boot zu erreichen ist. Sie betitelten ihren Beitrag lieber gleich mit „Follies“; Narreteien. In englischen Landschaftsparks, aber auch in der Romantik waren das exzentrische Architekturen wie Grotten, Türme und Ruinen als Blickfang, aber ohne Funktion. Auf der Grenzlinie hätte der Turm aber doch eine Funktion. Er soll den Raum als Ganzes symbolisch herstellen. Diese Gruppe verzichtet gänzlich auf neue Brücken, denn Brücken sind zugleich Einschnitte. Die Studenten stöberten stattdessen „versteckte Sehnsuchtsorte“ auf wie ein brachgefallenes Klärwerk am alten Industriegürtel von Schönow. Sie halten sich an das Vorgefundene, das sie bestenfalls durch Fahrradwege erschließen.

Der Schinkel-Wettbewerb ist kein Realisierungswettbewerb. Er bietet Lösungsansätze. Der profunde Ortskenner Klaus-Peter Laschinsky und der Jury-Sprecher Cyrus Zahiri sagen übereinstimmend: Sachliche Lösungen sind nur möglich, wenn beide Seiten sich nachbarschaftlich verhalten.

Die prämierten Wettbewerbsbeiträge können vom 12. - 23. März 2016 im Foyer des UdK-Hauptgebäudes, Hardenbergstr. 33, 10623 Berlin, besichtigt werden. Eine illustrierte Broschüre mit den diesjährigen Wettbewerbsergebnissen kann hier angefordert werden.

Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels. Folgen Sie der Redaktion auch auf Twitter.

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