zum Hauptinhalt
Klassik-Open-Air mal anders. Vor kurzem spielte das Duo „Nachklang 1700“ (Friederike Däublin und Andreas Vetter) auf dem Südwestkirchhof.

© Anett Kirchner

Stahnsdorfer Begräbnisstätte im Zehlendorfer Umland: Kultur auf dem Friedhof

Der Südwestkirchhof ist eine Berliner Institution, obwohl er im brandenburgischen Stahnsdorf liegt. Hier sind viele Menschen aus dem Südwesten der Stadt beigesetzt, darunter einige Prominente. Ungewöhnlich ist die kulturelle Nutzung. Am 23. August gibt es eine Benefizveranstaltung, um wertvolle Teile der Anlage zu erhalten.

Den letzten Gang auf dieser Erde so angemessen wie möglich zu gestalten, wünschen sich viele Menschen. Ein Grab im Grünen, ruhig und idyllisch gelegen. Eichhörnchen hüpfen von Baum zu Baum. Leise raschelt es im Unterholz. Vielleicht eine Amsel? Angehörige der Toten sollen nicht weinen, sich eher über die gemeinsam gelebte Zeit freuen. Ein solcher Ort ist der Südwestkirchhof Stahnsdorf – Friedhof, Park und zugleich Freiluftmuseum. Er wurde 1909 von der Evangelischen Kirche für die Verstorbenen des Berliner Südwestens angelegt. Hier fanden Politiker, Wissenschaftler und vor allem Künstler ihre letzte Ruhe: Maler, Musiker, Schriftsteller, Dichter und Filmemacher.

Um ihnen zu Gedenken und den kulturhistorischen Wert des Friedhofes deutlich zu machen, findet am 23. August ab 18 Uhr eine Kulturnacht statt. Gräber, Mausoleen, Grabdenkmale und die Kapelle werden zu Bühnen. Auf dem rund 200 Hektar großen Gelände präsentieren sich 140 Künstler an 25 verschiedenen Spielstätten. Konzerte, Tanzperformances, Filme, Lesungen und Ausstellungen stehen auf dem Programm. „Das ist deutschlandweit einzigartig“, sagt Olaf Ihlefeldt, der Leiter des Friedhofs.

Seit Jahren organisiert er dort Kulturveranstaltungen. Nicht jedem gefällt das, Skeptiker befürchten eine Entfremdung des Friedhofs und die Störung der Totenruhe.

Picknickfreunde, Radler und Hundehalter sind auf der Anlage willkommen

„Ich möchte jedoch einen lebendigen Ort schaffen, einen Ort der Begegnung und des Lebens“, sagt Ihlefeldt. Es sei doch wunderbar, wenn Menschen den Toten Gesellschaft leisten und ihnen damit ihre Ehre erweisen. „Ich habe da eine lebendige Art des Totengedenkens.“ Deshalb ist auf dem Südwestkirchhof auch vieles erlaubt, zum Beispiel Picknick, Fahrradfahren und mit dem Hund spazieren.

„Es wäre schade, wenn die Menschen nur weinend über diesen Friedhof laufen, denn den Toten geht es bei uns gut!“ Für Ihlefeldt ist der Kirchhof mehr als ein Arbeitsplatz. Er wohnt sogar mit seiner Familie auf dem Gelände. 1991 wurde der heute 46-Jährige mit gerade erst 22 Jahren der jüngste deutsche Friedhofsleiter.  

Die S-Bahn brachte Angehörige nach Stahnsdorf – und nachts auch Särge

Der Südwestkirchhof gehört der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Obwohl er in Brandenburg liegt, ist er ein Berliner Friedhof. Als Anfang des 20. Jahrhunderts im Südwesten der Stadt der Platz für Bestattungen ausging, wurde in Stahnsdorf ein Zentralfriedhof für 21 Kirchengemeinden angelegt. Die Kirche baute eine S-Bahn von Wannsee nach Stahnsdorf, die Witwenexpress oder Leichenbahn genannt wurde. Denn in den Waggons kamen – meist nachts – auch die Särge. Der Bahnbetrieb endete 1961.

Weil der Südwestkirchhof landschaftlich gestaltet wurde, ist er ein beliebtes Ausflugsziel. Gartenoberingenieur Louis Meyer hatte typisch den märkischen Bauernwald mit hohen Bäumen und wenig Unterholz integriert. Zur Orientierung schuf er Sichtachsen. Eine führt zur Friedhofskapelle, die im Stil einer norwegischen Stabholzkirche erbaut wurde.

Formensprache auf dem Friedhof. Dieses expressionistische Grabmal auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof wurde vom Architekten Max Taut gestaltet.
Formensprache auf dem Friedhof. Dieses expressionistische Grabmal auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof wurde vom Architekten Max Taut gestaltet.

© Anett Kirchner

„Die Grundidee war schon immer, das Thema Tod mit einer gewissen Leichtigkeit zu besetzen“, erklärt Olaf Ihlefeldt. Folglich habe man sich für die Synthese aus Architektur und Landschaft entschieden. Dass der Friedhof später auch kulturhistorisch wertvoll wurde, lag vor allem an wohlhabenden Berliner Familien. Bekannte Bildhauer wie Franz Seeck, Alfred Grenander und Max Taut gestalteten aufwendige Grabsteine. Beigesetzt wurden berühmte Persönlichkeiten wie Heinrich Zille, der Komponist Engelbert Humperdinck und die Siemens-Familie.

Kupferdiebe plündern Mausoleen

Weil 1938 die Nazis etwa 15 000 Umbettungen von Berlin nach Stahnsdorf beschlossen, sind einige Grabmale älter als der Friedhof. Zu DDR-Zeiten wurde der Kirchhof zwar genutzt, aber weite Teile verfielen. West-Berliner durften ihre Verstorbenen nur mit Genehmigung des Rats des Bezirks Potsdam beerdigen lassen. Anfang der 1990er Jahre fanden jährlich nur noch 80 Beisetzungen statt. Nach der Wende holte Ihlefeldt die Anlage aus ihrem Dornröschenschlaf. Inzwischen werden hier wieder bis zu 900 Verstorbene im Jahr beigesetzt.  

Den wildromantischen Waldcharakter und die historischen Grabmale zu erhalten, ist jedoch teuer. Außerdem haben Kupfer-Diebe vieles beschädigt, allein im vergangenen Jahr gab es 14 Vorfälle. Unter anderem wurden wertvolle Dächer von Mausoleen gestohlen. „Wir brauchen jetzt etwa 140.000 Euro, um die Bauten zu sichern“, sagt Ihlefeldt.

Künstler treten ohne Gage auf und erinnern an beigesetzte Persönlichkeiten

Die Kulturnacht ist eine Benefizveranstaltung für die Pflege des Kulturguts. Alle Künstler treten ohne Gage auf. Jede Aufführung erinnert an eine Persönlichkeit, die auf dem Kirchhof beigesetzt ist. So wird beispielsweise der Film „Nosferatu“ von Friedrich Wilhelm Murnau gezeigt. Ute Beckert spielt Effi Briest und erinnert an Elisabeth von Ardenne, die das Vorbild der berühmten Romanfigur war. Peter Thomsen rezitiert den Hauptmann von Köpenick in Gedenken an Max Adalbert. Und in der Nähe des Humperdinck-Grabes wird das Duo „Musica e parole“ bekannte Melodien aus der Märchenoper Hänsel und Gretel präsentieren. Die Veranstalter rechnen mit etwa 4000 Gästen.

- Weitere Informationen unter www.suedwestkirchhof.de/kulturnacht-2014.html.

Die Autorin ist freie Journalistin und schreibt unter anderem für die Evangelische Wochenzeitung "dieKirche". Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false