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Passend zu den Jahreszeiten sprechen die Flüchtlingskinder mit ihrem Lehrer einfache rhythmische Verse nach oder singen einfache Lieder -so kommt in seiner Willkommensklasse Scheu am Sprechen gar nicht erst auf, sagt Klaus Lutz

© Imago

Unterricht in einer Willkommensklasse: "Ein Gewinn für dieses Land"

Unser Leser unterrichtet seit einigen Monaten eine Willkommensklasse. Für den Tagesspiegel Zehlendorf hat er aufgeschrieben, wie er den Unterricht mit den Flüchtlingskindern gestaltet und erlebt.

Im vergangenen Advent haben meine Kinder Adventskalender geschenkt bekommen, solche einfachen, mit Schokolade gefüllt. Sie haben sich sehr gefreut – und den Inhalt gerne aufgefuttert. Dass man damit warten soll und dann noch jeden Tag nur eine essen soll, haben sie nicht verstanden. Die Zahlen darauf sind ihnen erst durch unsere Hinweise aufgefallen. Nein, „meine“ Kinder sind nicht klein, sie kommen aber aus Ländern, die unsere Traditionen nicht kennen, aus dem Tschad, Albanien, Tschetschenien oder Afghanistan. Aus Syrien sind noch keine dabei, aber das liegt daran, dass es die Willkommensklasse in Stahnsdorf, an der ich einer der Lehrer bin, schon seit Februar gibt, und das Übergangswohnheim seitdem voll belegt ist und war mit Menschen aus anderen Regionen dieser Welt.

Mich stört der Begriff „Willkommensklasse“ überhaupt nicht. Erstens arbeite ich lieber mit den Betroffenen, als sich über Begriffe zu streiten, zweitens spreche ich die Kinder und Eltern auch nicht als Flüchtlinge an, sondern mit ihren Namen und als Menschen und drittens ist schon am frühen Morgen jeder von den über 30 Kindern herzlich willkommen.

Klaus Lutz unterrichtet seit April 2015 eine Willkommensklasse. Er erlebt dort, wie er sagt, jeden Tag unglaubliche Begeisterung bei den Kindern
Klaus Lutz unterrichtet seit April 2015 eine Willkommensklasse. Er erlebt dort, wie er sagt, jeden Tag unglaubliche Begeisterung bei den Kindern

© privat

Wir nehmen sie alle mit Handschlag und Namen in Empfang und schon ist das erste freudige Lachen auf den Gesichtern, die Wiedersehensfreude, das Vertraute. Schon das ist eine Sicherheit, die ihnen in vielen Fällen fehlte und sie – eben verunsichert. Mehrere solcher fester Rituale finden sich im Tagesablauf, damit die Kinder sich an dieser Struktur orientieren können. Nachdem die Hausschuhe angezogen, die Jacken aufgehängt, sich in einer Reihe aufgestellt wurde, gehen wir in die Horträume - die wir glücklicherweise am Vormittag nutzen können und dürfen -  und starten den Schultag mit einem Morgenkreis. Der sieht bei den Kleineren natürlich anders aus als bei den Zwölfjährigen. Wir begrüßen uns, selbstverständlich auf Deutsch, so wie der ganze Unterricht auf Deutsch gehalten wird. Immer wieder fallen auch Sätze in der Heimatsprache, aber auch das ist gut: Verständnis für die Sache wird deutlich, Fragen können untereinander geklärt werden oder vertraute Klänge sorgen für ein gutes Gefühl.

Ein gutes Gefühl gibt aber auch stets Wiederkehrendes: Wir singen wochenlang einfache Lieder, wie jetzt im Winter etwa "Schneeflöckchen, weiß Röckchen", sprechen einfache rhythmische Verse passend zu den Jahreszeiten, bewegen uns und benennen dazu die Körperteile, Richtungen, Farben oder Gegenstände. So kommt ein lebendiger Wortschatz zustande und vor allem die Scheu am Sprechen kommt gar nicht erst auf. Dadurch wird es selbstverständlich lebendig, es wird gerufen, gelacht, sich berührt. So aufgeweckt beginnen wir danach, zu schreiben oder zu rechnen, Buchstaben oder Dinge malerisch festzuhalten oder Spiele zu spielen, bei denen man sich Sachen merken und Wörter oder Sätze sagen muss.

Darauf folgt ein Ritual – wir frühstücken zusammen! Auch dabei lernen wir: Wie heißen die Früchte, das Gemüse, die Küchengeräte und wie bittet man um etwas?! Anschließend ist Pause und damit eine Gelegenheit, mit den anderen Kindern der Heinrich Zille-Schule in Kontakt zu kommen. Und das geschieht beim Schaukeln oder Hüpfen oder Fußballspielen. Anschließend wird wieder „Unterricht“ gemacht. In Anführungszeichen, weil Vieles spielerisch bzw. über Tätigkeiten abläuft. So ist wieder der wöchentliche Alltag strukturiert durch Aktionen, die immer zur selben Zeit stattfinden: Malen, Kochen, Sport, zum Spielplatz gehen. Und dann, egal was alles im Laufe der gesprächigen vier Stunden geschehen ist, sammeln wir uns, verabschieden uns persönlich und freuen uns auf morgen.

Das ist wahr! Obwohl Lachen und Weinen, Spaß und Ernst sehr dicht zusammen liegen, erlebe ich jeden Tag unglaubliche Begeisterung bei den Kindern, die große Fortschritte machen und schon nach wenigen Wochen viel verstehen. So konnten auch schon ein Drittel der Kinder in Regelklassen aufgenommen werden und lernen dann noch schneller. Aber was noch wichtiger ist: Sie haben wieder Lebensmut, einen Sinn, sie lachen und freuen sich. Einige dieser Kinder mussten traurigerweise schon wieder in ihre Heimat, doch mit den wenigen Monaten Schulerfahrung in Deutschland konnten sie vielleicht etwas für ihr Leben gewinnen - auch wenn sie es nicht in Deutschland leben werden.

Die anderen, die bleiben dürfen, sind auf jeden Fall ein Gewinn für dieses Land, davon bin ich überzeugt.        

Der Autor ist seit 1996 Lehrer. Die Willkommensklasse an der Grundschule Heinrich Zille in Stahnsdorf unterrichtet er seit April 2015.   

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Klaus Lutz

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