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Fast wie in Utah. Das leer stehende Haus in Albrechts Teerofen dient momentan als Filmkulisse für einen amerikanischen Fernsehfilm.

© Christian van Lessen

Wannseeer Stadtteil im Wandel der Zeit: Hollywood in Albrechts Teerofen

Zu Mauerzeiten war der West-Berliner Zipfel Albrechts Teerofen schwer zu durchschauen: Vorn, rechts, links - fast überall Grenze. Heute werden hier Filme gedreht und Einfamilienhäuser gebaut, doch unser Autor fühlt sich trotzdem bei jedem Besuch in eine frühere Zeit versetzt.

Vor dem alten Gebäude rückt kürzlich eine amerikanische Filmcrew mit diversen Fahrzeugen an, Kabel und Scheinwerfer werden ausgepackt, die Leute verbreiten Unruhe und wecken das hinfällige Haus aus dem Dornröschenschlaf. Am maroden Gartenzaun sind Halteverbotsschilder für Autofahrer aufgehängt - als ob hier sonst jemand parkte. Am nächsten Tag sollen die Schauspieler hierher ans Ende der Stadt kommen, ein Australier spielt die Hauptrolle, „aber den kennen Sie sicher nicht“, meint eine Frau der Crew.

Sie verrät, dass ein Fernsehfilm gedreht wird und dass er im amerikanischen Bundesstaat Utah spielt. Dieses Utah lässt sich offenbar gerade hier gut nachempfinden, in diesem alten hölzernen leeren Gebäudeteil, den ich sogar noch als Ausflugslokal in den sechziger Jahren kennengelernt habe. Nun wird dieser vergessene Schatz doch noch gewürdigt: Hollywood entdeckt den Ortsteil Albrechts Teerofen.

Die ehemalige Raststätte Dreilinden, hinter den Brettern wurde einst gegessen und getrunken.
Die ehemalige Raststätte Dreilinden, hinter den Brettern wurde einst gegessen und getrunken.

© Christian van Lessen

Ich bewundere wieder einmal die Locationscouts, die stets in und um Berlin nach interessanten Drehorten suchen und gerade hier fündig geworden sind. Aber filmerfahren ist die letzte südwestliche Ecke Berlins ohnehin  seit vielen Jahren. Gut 200 Meter weiter an der mit Brettern vernagelten uralten Raststätte Dreilinden neben dem stillgelegten Autobahnstück wurden schon etliche Szenen gedreht. Hier ist Berlin unglaublich weit weg, hier wirkt es ländlich, anheimelnd, verwunschen, versteckt, fast vergessen, märchenhaft.

Warum gerate ich so ins Schwelgen? Weil ich die Gegend faszinierend finde, weil sie mir ans Herz geht. Sie sind natürlich längst weg, die Mauer, die Zäune rund um diesen einst eingeschnürten letzten West-Berliner Zipfel im Südwesten – und doch habe ich gerade hier das Gefühl, als gäbe es die Grenze noch, unsichtbar hinter Büschen und Bäumen, am anderen Ufer des Teltowkanals oder auch hinter dem Grün jenes Hauses, das die Locationscouts des Films so begeistert hat.

Hinter dem Gartenzaun ist der verwitterte Hinweis zu lesen, das gerade hier bis Ende des 18. Jahrhunderts der „legendäre Teerofen des Teerbrenners Albrecht“ stand.

Zu Zeiten der Mauer war das Gebiet für viele West-Berliner schwer zu durchschauen, ein Irrsinn auf dem Stadtplan: Vorn, rechts, links, fast überall Grenze, nur ein Straße als Lebensader nach Kohlhasenbrück. Und so wirklich viel hat sich äußerlich seither nicht verändert, nur ist das leicht bedrückende Gefühl eines Lebens im unheimlichen Grenzgebiet weg.

Das "Landgut Eule" sollte eigentlich schon vor Jahrzehnten aufgefrischt werden, aber irgendwie vergaß man dies.
Das "Landgut Eule" sollte eigentlich schon vor Jahrzehnten aufgefrischt werden, aber irgendwie vergaß man dies.

© Christian van Lessen

Es gibt nach wie vor gepflegte Einfamilienhäuser, aber auch Gebäude, denen man in den letzten Jahren mehr Zuwendung hätte schenken müssen, die aber trotz ihres erbärmlichen Aussehens einen gewissen Reiz haben, wie etwa das „Landgut Eule“, ein bewohntes Denkmal, das schon vor Jahrzehnten  aufgefrischt werden sollte, aber irgendwie vergessen wurde. Nebenan aber brachte vor ein paar Tagen die Einweihung einer originellen Weidenkirche der Evangelischen Schülerarbeit auf der nahen Bäkewiese den vergessenen Ortsteil wieder ein wenig mehr in das Berliner Bewusstsein zurück.

Wo nach einem Vierteljahrhundert überall die Erinnerungen an den Mauerfall  hochkommen, wo einstige Grenzen meist nicht mal mehr zu ahnen sind, hat sich hier ein Ortsteil bislang offensichtlich einer sichtbaren Entwicklung verweigert. „Ein weißer Fleck“, bestätigt der Steglitz-Zehlendorfer Stadtrat für Stadtentwicklung, Norbert Schmidt (CDU).

Aber dieser weiße Fleck hat für mich seinen Charme behalten, und immer wieder schaue ich, wenn ich von Kohlhasenbrück in die schmale Straße am Kremnitzufer einbiege, auf die wilde Wiese rechts, auf der noch zu West-Berliner Zeiten Kühe weideten. Es sah aus wie ein Stück Bayern ohne Berge, es war wie eine kleine Urlaubsfahrt. Stets hoffe ich aufs Neue vergeblich, Kühe zu sehen.

Steht hier schon bald ein Haus? Stadtrat Norbert Schmidt (CDU) bestätigte den Bau von vier Einfamilienhäusern in Albrechts Teerofen.
Steht hier schon bald ein Haus? Stadtrat Norbert Schmidt (CDU) bestätigte den Bau von vier Einfamilienhäusern in Albrechts Teerofen.

© Christian van Lessen

Wenn sich hier zwischen Kanal und Wald baulich wirklich einmal etwas Größeres tun sollte, wäre ich enttäuscht. Halt, wird da nicht kurz vor dem offenbar unverwüstlichen Campingplatz gerade eine größere Baufläche hergerichtet? Steht da nicht schon eine neue Grundstücksmauer? Was ist da nur wieder geplant, denke ich, und vor meinen Augen sehe ich jene fast uniformen Reihenhäuser und Stadtvillen entstehen, die allerorts im Südwesten Berlins aus den Baugruben sprießen. Noch verrät kein Bauschild, was da entstehen könnte, aber Stadtrat Schmidt gibt eine Art Entwarnung. Hier sei zwar ein Stück allgemeines Wohngebiet, aber gebaut würden lediglich vier recht normale Einfamilienhäuser. Viel wird sich also nicht verändern, in Albrechts Teerofen. Auch Filmteams werden sich darüber freuen.

Der Autor war lange Jahre Redakteur in der Berlin-Redaktion des Tagesspiegel. Er lebt in Zehlendorf.
Der Autor war lange Jahre Redakteur in der Berlin-Redaktion des Tagesspiegel. Er lebt in Zehlendorf.

© Mike Wolff

Der Autor war lange Jahre Redakteur in der Berlin-Redaktion des Tagesspiegels und lebt in Zehlendorf. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels

Christian van Lessen

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