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Die Frohe Botschaft kommt in erster Linie in Form von Geschenken daher. Unser Autor aber meint, dass Weihnachten Anlass sein muss, um über die Bedeutung von Religion für alle nachzudenken.

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Weihnachten und Religion, passt das noch zusammen?: Eine Frohe Botschaft - für alle!

Kreuzberg hat den Begriff Religion aus der Liste für Bezirksmedaillen gestrichen, in Zehlendorf wäre das wohl nicht passiert, meint unser Autor und macht sich zu Weihnachten ein paar Gedanken über die Bedeutung der Frohen Botschaft in unserer Zeit.

Ist Weihnachten umsonst zu haben? Nein, ich meine nicht die Frage, ob es Weihnachten Geschenke geben muss, die was kosten. Überhaupt muss ja Weihnachten gar nicht sein oder gehört nicht für alle zur erlebten Tradition, wie Meltem Ohle in ihrem Beitrag für den Zehlendorf Blog schreibt. Für uns, die wir hier aufgewachsen sind, ist das eher nicht vorstellbar, aber auch für uns gibt es „Weihnachten“ nur, weil unsere Kultur stark christlich geprägt ist. Das hat natürlich auch seinen Preis und wird nur lebendig bleiben, wenn es gelebt wird.

Die vielen Gottesdienste am Heilig Abend zeigen, dass es dafür einen Bedarf gibt. Und wenn auch nur an diesem Tag die Kirchen voll sind, soll man das nicht geringschätzen, sondern eher fragen, was die Magnetwirkung ausmacht, die die Menschen anzieht. Mit Weihnachten verbinden viele eine Botschaft der Hoffnung, ein Geschenk wurde gemacht. Man mag an diese „Frohe Botschaft“ nicht glauben, das Geschenk nicht annehmen wollen, aber eine schenkende Haltung, eine Haltung der Hoffnung ist auch ohne den christlichen Bezug für jede Gesellschaft hilfreich. Und wenn Christen das zu ihrem Lebensmittelpunkt machen, dann stärkt das auch die Mitte der Gesellschaft. Das ist wertvoll und beachtenswert, auch in Zehlendorf, wo es vermutlich eher als selbstverständlich angesehen wird, zum allgemeinen gesellschaftlich-politischen Konsens gehört, ohne dass darüber groß nachgedacht oder gesprochen wird. Religion gehört (noch?) dazu.

Ist Religion nur noch Privatsache?

Dass das nicht in allen Bezirken so ist, hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Friedrichshain-Kreuzberg bewiesen. „Religion“ gehört dort nicht mehr zu den "Gesellschaftsbereichen“, aus denen ein gemeinwohlorientiertes und aktiv gestaltendes ehrenamtliches Engagement geehrt werden soll. Der Begriff „Religion“ wurde aus der Liste für die Bezirksmedaille gestrichen, was keineswegs ein Ausdruck von Kirchenfeindlichkeit sein soll, wie die Initiatoren beteuern.

Das mag sein und es ist sicher auch kein Grund für eine politische Skandalisierung, es zeigt mir aber, dass es vor der vor allem von Kirchenkritikern, von „Säkularen“ angemahnten Debatte um eine Reform des Verhältnisses von Kirche und Staat einer Klärung und hoffentlich Verständigung über die Frage des Verhältnisses von Religion und Gesellschaft bedarf. Ist Religion Privatsache oder braucht eine moderne, demokratische Gesellschaft auch Religion?

Tebartz van Elst in kein Gegenargument

Für viele Menschen, die sich als säkular bezeichnen, ist dies eine „falsche“ Frage. Für sie ist Religion einfach da und mit der Verteidigung der Religionsfreiheit ist das Thema für sie mehr oder minder erledigt. Eine Förderung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, gar durch Kirchensteuern, lehnen sie ab. Das scheint mir falsch zu sein. Religionen mussten sich ihren Raum erkämpfen, um gesellschaftliche Anerkennung ringen, in Festtagen für alle erlebbar werden, sich in bemerkenswerten Bauwerken manifestieren, die wir heute zu unserem kulturellen „Erbe“ zählen.

Sie haben sich vielfach selber um ihre positive Wirkung gebracht durch Dogmatismus und Gewalt, aber ihre Bindungswirkung in die Gesellschaft wie jetzt an Weihnachten nicht verloren. Mir scheint, wir brauchen Religion für unsere Gesellschaft, Weihnachten ist gut für uns alle. Und um Missverständnis vorzubeugen: Eine positive Antwort bedeutet doch keineswegs alles gut zu finden, was die Kirchen so anstellen. Oder kurz: Tebartz van Elst ist kein Gegenargument.

Wir brauchen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Menschen, die sich an inneren Werten bewusst orientieren und sie in einer Gemeinschaft bewahren und sich darin gegenseitig bestärken, gerade in modernen und demokratischen Gesellschaften, die freiheitlich geprägt sind. Ob wir moderne Gesellschaften als „Risikogesellschaft“ (Ulrich Beck) bezeichnen oder von dem „Unbehagen an der Moderne“ (Charles Taylor) sprechen, im Kern geht es immer um Fragen der Orientierung und Bindung oder Bindungslosigkeit, geht es um den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft, der unzweifelhaft ein hohes, aber immer auch bedrohtes Gut ist.

Um den sozialen Zusammenhang einer Gesellschaft zu stärken, braucht es viel mehr als nur Religion, aber auch sie kann einen wichtigen Beitrag leisten, der uns etwas wert sein sollte. Keiner, auch kein „Säkularer“ würde vermutlich sagen, dass wir keinen Sport, keine Kultur und deren Förderung brauchen. Aber wenn es um Religion und Religionsgemeinschaften geht, dann sagen viele (siehe die BVV in Friedrichshain-Kreuzberg), dass sie nicht dazu gehören sollen. Das verstehe ich nicht und es wäre vermutlich in der BVV Steglitz-Zehlendorf auch nicht mehrheitsfähig.

Nur wenn die Frage, ob unsere Gesellschaft auch „Religion“ braucht, positiv beantwortet wird, kann es einen respektvollen Dialog über die Frage von Kirche und Staat geben. Die Trennung von Staat und Kirche bedeutet nicht die Verbannung der Religion aus der Gesellschaft ins Private. Weihnachten kann Anlass für alle sein, über Ankunft und Aufbruch nachzudenken, Großes in Kleinem zu sehen, Hoffnung weiterzugeben, Herzen zu entflammen – mitten im Leben, nicht nur in der Kirche, draußen auf der Straße.

Die frohe Weihnachtsbotschaft kann für alle da sein. Damit sie für alle hörbar bleibt, braucht sie unsere Unterstützung, kostet sie uns alle etwas, Weihnachten ist nicht „umsonst“ zu haben. Das liegt in unserem Interesse und ist gut so.

Der Autor Dirk Jordan (69) war lange Jahre Volksbildungsstadtrat in Kreuzberg und lebt in Schlachtensee. Sie erreichen ihn über seine Homepage oder den Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

Dirk Jordan

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