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Kantor und Organist Cornelius Häußermann spielt die neue große Orgel im französisch gestimmten Stil.

© Thilo Rückeis

Zehlendorf feiert Orgel-Auferstehung: Evangelischer Festgottesdienst für zwei Kirchenmusik-Wunder

Sie sind Handarbeit, Orgel-Originale der Firma Schuke. Am Sonntag erklingen sie in der Pauluskirche in Zehlendorf Mitte erstmals in einem Gottesdienst. Die Predigt im Festgottesdienst hält Bischof a.D. Wolfgang Huber. Der Zehlendorf Blog hat schon vorher mal vorbeigeschaut.

Endlich ist es fertig, das einmalige und großartige Orgelbauprojekt, das es in der engeren und weiteren Umgebung Zehlendorfs so wohl nicht noch einmal gibt. Wer jetzt am Tag die Pauluskirche über den Haupteingang an der Kirchstraße betritt, bemerkt zunächst nur eins: Das Kirchenschiff wirkt viel heller als früher. Der Blick vom Mittelgang zurück zeigt dann den Grund: Die riesige, runde Fensterrosette auf der Südseite der Kirche ist nun wieder von innen sichtbar und lässt das Tageslicht bis weit in den Altarraum scheinen. Die alte Walcker-Orgel hatte die farbenfrohe Bleiverglasung der Rosette 45 Jahre lang verdeckt und dadurch den Kirchenraum verdunkelt.

Die Fassade, der Fachmann spricht vom „Prospekt“, der neuen großen Orgel aus der Zehlendorfer Orgelbauwerkstatt Karl Schuke lässt das Rundfenster frei. Sie umrahmt es nur noch geschickt. Das schlichte Eichengehäuse der Orgel ist sehr geradlinig. „Aus dem Zusammenspiel seines rötlich getönten Holzes mit dem leuchtenden Zinn der Prospektpfeifen ergibt sich eine Mischung aus dezenter Strenge und festlicher Pracht“, schwärmen die Orgelbauer über ihr klingendes Werkstück in der Festschrift. „In seinen Formen ist es vom neogotischen Stil der Kirche inspiriert und erinnert mit seinen vier vorspringenden Türmen dezent an französische Orgelprospekte“, schildern sie weiter.

"Hier ist ein ganz neuer Orgelklang zu hören!"

Das Französische der Schuke-Orgel ist nicht nur zu sehen, sondern auch zu hören. Cornelius Häußermann, Kantor der Paulusgemeinde, berichtet in der Festschrift aus der Planungsphase des Projekts, „dass die akustischen Verhältnisse der Kirche einer am französisch-sinfonischen Klang orientierten Orgel entgegenkommen und ein solches Instrument weder in Berlin-Brandenburg noch darüber hinaus zu finden ist und somit diese Leerstelle füllen könnte.“

Planung, Bau und vor allem Intonation, bei der die Orgelpfeife und die Register harmonisch geformt und zum Klingen gebracht werden, wurden auf dieses ehrgeizige Ziel ausgerichtet. Häußermann weiter: „Die Orgel zeigt ein unangestrengtes, eher dunkles und rundes Klangbild einer französisch-sinfonischen Orgel. Farbigkeit und gewaltige Kraft des Instruments lassen sich hervorragend ausspielen. Die fein ausbalancierten Töne haben Fülle, Lebendigkeit und eine hohe Verschmelzungsfähigkeit.“ Sein Fazit: „Hier ist nun ein ganz neuer Orgelklang in Berlin zu hören!“

Neben dieser außergewöhnlichen Orgel auf der Südempore steht eine zweite auf der Ostempore. Das beratende Fachgremium, mit Orgelsachverständigen der Landeskirche und Professoren der Universität der Künste kompetent besetzt, war sich bei der Planung einig: Keine weitere „Universalorgel“, wie sie in der Berliner Orgellandschaft der Nachkriegszeit sehr zahlreich entstanden und als Ersatz für die durch den Krieg zerstörten Instrumente typisch waren.

Der Auftrag für die Bach-Orgel ging an die Werkstatt Rowan West

Und auch die Gremien und Mitglieder der Paulusgemeinde ließen sich nach zunächst kontroversen Diskussionen überzeugen – und begeisterten sich schließlich für zwei neue Orgeln. Eine große, am französisch-sinfonischen Klang orientierte und eine kleinere, mit spätbarocker Klangfarbe und eindeutig als Kirchenorgel konzipiert. Den Auftrag für die sogenannte Bach-Orgel auf der rechten Seitenempore erhielt die Orgelbauwerkstatt Rowan West in Altenahr.

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Die Orgelbauer aus dem Ahrtal in Rheinland-Pfalz bekennen sich zu dem Versuch, eine Orgel gebaut zu haben, „die Bach, wenn er sich heute an das Instrument setzte, mit Wohlgefallen wiedererkennen und sich zu Hause fühlen könnte.“ Sie geben offen zu: „Es ist keine strenge Stilkopie eines bestimmten Instrumentes, sondern vielmehr eine Synthese aus norddeutschen und mitteldeutschen Einflüssen und Bauweisen, die zu einer musikalischen Einheit gefügt wurden.“ Die Klangunterschiede der beiden Instrumente werden die Gottesdienst- und Konzertbesucher hören und zu würdigen lernen.

So existieren erstmals in der über 100-jährigen Geschichte der Pauluskirche, die am 1. Oktober 1905 eingeweiht wurde, gleichzeitig zwei Orgeln im Kirchenschiff. Allerdings stehen auf den beiden jetzigen Standorten nicht zum ersten Mal Orgeln. Dort, wo die Bach-Orgel ihren Platz gefunden hat, war auch die erste Orgel der Pauluskirche platziert. Der Architekt der Kirche, Hubert Stier aus Hannover, entschied sich ganz bewusst gegen einen Orgelstandort, der ganz klassisch gegenüber dem Altar und im Rücken der versammelten Gottesdienstgemeinde lag.

Stier wählte als Ort die Empore im rechten Querschiff und betonte damit die engen Beziehungen zwischen Altar, Kanzel, Gemeinde und Orgelwerk. Doch im Jahr 1920 entschied sich die Gemeinde bereits anders: Sie gab das Konzept und den ursprünglichen Standort auf und setzte eine neue Orgel auf die Südempore oberhalb der Hauptportale an der Kirchstraße. Über 90 Jahre später wird der ursprüngliche Standort rechts von Altar und Kanzel wieder belebt.

Bei aller Freude über die beeindruckende optische und herausragende akustische Vollendung dieses Orgelgroßprojekts bleibt natürlich die Frage nach seiner Finanzierung. Die Hauptarbeit entfiel auf den Orgelbauverein der Pauluskirche Zehlendorf. Seine Vereinsmitglieder waren jahrelang auf vielfältige Weise aktiv. Hinzu kamen großzügige Zusagen der Beck’schen Stiftung Zehlendorf und der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin, so dass der Förderverein im Sommer 2010 der Paulusgemeinde einen ausreichenden Zuschuss zum Orgelbau zusagen konnte.

Zur Deckung der Orgelbaukosten wurden außerdem mehr als 30 Benefizkonzerte veranstaltet, Pfeifenpatenschaften übernommen und Gelder der zahlreichen Spenderinnen und Spender eingesammelt, die sich aus allen Teilen Berlins für dieses Vorhaben engagierten.

Für Luther war Kirchenmusik eine Form der Predigt

In der umfangreichen, üppig bebilderten Festschrift äußert Bischof a.D. Prof. Dr. Wolfgang Huber, der auch Schirmherr des Orgelbauvereins Pauluskirche ist, die Erwartung: „Wenn in unserer Pauluskirche mit Freude kostbare neue Instrumente willkommen geheißen werden, sollte man von ihnen nicht nur alte Musik erwarten. Der Mut, zwei neue Orgeln zu errichten, sollte sich auch mit dem Mut verbinden, dann und wann neue Hörerfahrungen zu machen. Auch das Vertraute hört man danach mit neuen Ohren.“ Vor allem für Luther sei Kirchenmusik eine Form der Predigt gewesen, „ein Öffnen der Ohren und Herzen für die Botschaft des Evangeliums.“

Der Autor Lothar Beckmann ist Diplom-Volkswirt und war viele Jahre Journalistischer Leiter bei der Stiftung Warentest. Er lebt in Zehlendorf und schreibt für den Zehlendorf Blog des Tagesspiegels.
Der Autor Lothar Beckmann ist Diplom-Volkswirt und war viele Jahre Journalistischer Leiter bei der Stiftung Warentest. Er lebt in Zehlendorf und schreibt für den Zehlendorf Blog des Tagesspiegels.

© privat

Die Paulusgemeinde lädt alle Musikfreunde zum Orgelfest, zum Öffnen der Ohren und Herzen, in die Pauluskirche ein. Nach dem Festgottesdienst und dem Festkonzert am 20. Oktober finden bis Ende November zahlreiche Orgel- und Kirchenkonzerte statt. Zum Beispiel am 27. Oktober um 11:15 Uhr bei freiem Eintritt eine Orgel-Matinee mit Brett Leigthon aus Linz an der Bach-Orgel. Studenten der Universität der Künste Berlin spielen am 3. November um 17 Uhr an beiden Orgeln. Ein Orgelkonzert, das zugleich Diplomprüfung der Universität der Künste ist, steht am 28. November um 17 Uhr auf dem Programm, der Eintritt ist frei.

WEITERE INFORMATIONEN

Festgottesdienst. 20. Oktober, 14 Uhr; Predigt: Bischof a.D. Prof. Dr. Wolfgang Huber; Festkonzert 20. Oktober, 15:30 Uhr: An den neuen Orgeln: Prof. Paolo Crivellaro und Prof. Leo van Doeselaar, Universität der Künste Berlin: Festschrift zur Einweihung der neuen Orgeln 76 Seiten, reich bebildert, mit Aufsätzen der Orgelbauwerkstätten, der Orgelsachverständigen der Landeskirche und einem Beitrag von Bischof a.D. Prof. Dr. Wolfgang Huber: Preis: 8 Euro: Erhältlich bei den Festveranstaltungen und im Gemeindebüro, Teltower Damm 4-8; Orgelführungen für Schulklassen und Kindertagesstätten 23./24. Oktober. Anmeldungen Tel. 80 98 32 25 oder buero@paulusorgel.de

Der Autor hat viele Jahre für die Stiftung Warentest gearbeitet und lebt mit seiner Familie in Zehlendorf. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

Lothar Beckmann

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