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Die Sonne geht auch in Hannover auf. Hier eine Beweisaufnahme zum Trost für unsere Umzüglerin.

© dpa

Zum Studium von Berlin nach Hannover: Tschüss, Zehlendorf!

Aufregung, Unsicherheit, und dann riecht es auch noch nach Schokokuchen. Vom Abschied von Zuhause und dem Ort, an dem man groß wurde und zur Schule ging. Unsere Bloggerin verlässt Berlin-Zehlendorf und geht zum Studieren nach Hannover.

Ich sitze zwischen Umzugskartons, leeren Bücherregalen und Kindheitserinnerungen. Aus der Küche riecht es nach Schokoladenkuchen. Mama hat gebacken, sozusagen zum Abschied, denn ich ziehe aus zum Studieren in eine andere Stadt. Nach 13 Schuljahren und einem, man könnte es Selbstfindungsjahr nennen, erinnern nur noch die Nägel in den Wänden in meinem Zimmer daran, dass ich hier einen Großteil meines 20-jährigen Lebens verbracht habe. In meinem neuen Zimmer wird es keine Nägel in den Wänden geben und vor allem keinen Schokoladenkuchengeruch – es sei denn, ich oder meine Mitbewohner backen selbst. Es ist ein bisschen wie mit dem letzten Schultag: So lange fiebert man dem einen Tag entgegen und sobald er da ist, überwiegt doch die Unsicherheit und Aufregung, was jetzt eigentlich danach kommt.

In meinem Fall kommt Hannover – ganz zur Verwunderung meiner Freunde, Eltern, Bekannten, eigentlich aller. Die Reaktionen darauf, dass ich nach Hannover ziehe, ähneln denen, als ich mich im Januar entschloss, drei Monate als freiwillige Helferin nach Tansania zu gehen: „Oh Gott Hannover“, sagen die einen. „Oh Gott, Niedersachsen“, sagen die anderen. „Ist ja toll, was du da machst“, sagt mal wieder keiner. Ich kenne Hannover nicht und war bisher nur beim Uni-Infotag und zur WG-Suche dort, aber das, was ich gesehen habe, war weder hässlich, noch provinziell – zwei der Attribute, mit der die Stadt, in die ich ziehen werde, von Freunden und Bekannten immer wieder belächelt wird.

An meinem Umzugstag steht im Tagesspiegel, dass immer mehr Menschen nach Berlin ziehen, 40.000 waren es alleine im letzten Jahr – so viele wie nie zuvor. Ich packe trotzdem weiter meine Kisten. Ich sehe meinen Wegzug weder als altruistischen Akt der Großzügigkeit, um Neu-Berlinern Platz zu machen, noch war mein NC zu schlecht, um einen Studienplatz in Berlin zu bekommen. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass es jetzt nach zwanzig Jahren in der Hauptstadt Zeit ist, zu gehen. Nicht, weil es hier nicht schön war, aber weil für mich zu meinem neuen Lebensabschnitt, der mit dem Studium beginnt, auch ein Auszug gehört. Und nicht nur ein Auszug aus Zehlendorf, dem Bezirk, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, sondern einer aus Berlin.

Umzug ist doof. Jedenfalls das Kistenschleppen. Am Ende ist es womöglich auch sehr befreiend.
Umzug ist doof. Jedenfalls das Kistenschleppen. Am Ende ist es womöglich auch sehr befreiend.

© dpa

Ich hatte als Zehlendorferin zudem oft das Gefühl, Berlin gar nicht richtig zu kennen. Der Reitverein um die Ecke, Sommerabende am Schlachtensee und Familienausflüge nach Potsdam – das war für mich die meiste Zeit Berlin und nicht das Berghain, der Alexanderplatz oder die Spree. Jetzt, wo ich wegziehe, frage ich mich, was mir mehr fehlen wird: das Berlin, um das mich alle beneiden, das ich aber gar nicht richtig kenne, oder das Berlin namens Zehlendorf, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, das aber außer mir und den anderen Zehlendorfern keiner kennt.

Ich weiß nur, dass mich die Einstellung meiner Berliner Freunde und auch Eltern, Ur-Berliner und angesichts der vielen Zugezogenen sehr stolz darauf, manchmal nervt, die deutsche Hauptstadt sei der Nabel der Welt, wo jeder hin und niemand weg wolle (belegt an Statistiken wie der oben genannten). So wird anderen Städten – mit Ausnahme von Hamburg und München vielleicht – gar keine Chance gegeben und sie werden schon verurteilt, ehe man überhaupt da war, denn man weiß ja Bescheid, schließlich kommt man aus Berlin.

Warum, fragen alle, ausgerechnet Hannover?

Vor einem Jahr schrieb ich in meinem ersten Text für den Zehlendorf Blog, dass ich mich bei meinen Zukunftsplänen nicht von der Meinung anderer beeinflussen lassen will. Einen Plan, was und wo ich studieren sollte, hatte ich noch nicht, also studierte ich erst mal überhaupt nicht. Angesichts der Vielzahl von Studiengängen und Fachrichtungen entschied ich mich im letzten Jahr dann alle zwei Monate um. Ich wollte schon European Studies, Sozialwissenschaften, Deutsch und Englisch auf Lehramt und ja, auch Jura studieren. Letztendlich ist es doch der „irgendwas mit Medien“-Studiengang geworden, nämlich Medienmanagement. Die Frage, was ich damit beruflich später machen will, bekomme ich nun fast so oft zu hören wie die Frage, warum ich bitteschön nach Hannover ziehe.

Erst Tansania - und nun Hannover. Unsere Bloggerin Nora Tschepe-Wiesinger beginnt ein neues Abenteuer.
Erst Tansania - und nun Hannover. Unsere Bloggerin Nora Tschepe-Wiesinger beginnt ein neues Abenteuer.

© privat

In Hannover werde ich übrigens in Linden wohnen, einem angeblich sehr alternativen Studentenviertel mit Spätis, Bars und Cafés direkt vor der Haustür. In Zehlendorf konnte ich abends aufgrund mangelnder Alternativen zwischen dem Sixties, einem 0815-American Diner, und der Sabse, einer verrauchten Kneipe mit Spielautomaten, zum Weggehen wählen. Nachts stand ich oft frierend auf dem S-Bahnhof, weil die Bahn mal wieder nur bis zum S-Bahnhof Zehlendorf fuhr und nicht weiter.

Ach Zehlendorf, es war trotzdem oder vielleicht gerade wegen deiner Abgeschiedenheit, deiner Ruhe und deiner Spießigkeit, die dich so von Mitte und Kreuzberg unterscheiden, schön mit dir. Aber wo anders ist es auch schön – selbst in Hannover.

Die Autorin schreibt als freie Mitarbeiterin für den Tagesspiegel, sie ist in Zehlendorf aufgewachsen und wird künftig aus Hannover für den neuen Jugendblog des Tagesspiegels schreiben. Der Text erscheint auf dem Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin aus dem Südwesten.

Nora Tschepe-Wiesinger

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