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Trude und Fritz Wisten im Jahr 1959.

© Susanne Weyl

Zehlendorfer Heimatgeschichte, Teil 3 der Serie: Verfolgte und stille Helden der NS-Zeit: Fritz und Trude Wisten

Die Nazis bezeichnete ihre Ehe als "privilegierte Mischehe", Fritz und Trude Wisten, ein Schauspieler-Paar, haben Verfolgung, Verhaftung und Folter nicht nur überlebt, sie haben auch anderen Verfolgten geholfen. Teil 3 der Serie Stille Helden in Zehlendorf.

Fritz Wisten ist als Schauspieler, Regisseur und Intendant vielfach geehrt worden, über sein "jüdisches Theaterleben" wurde berichtet. Über Fritz und Trude Wisten als Schlachtenseer, die in der Nazizeit schlimmen Verfolgungen ausgesetzt waren und sich dennoch nicht haben klein kriegen lassen, darüber will ich im Folgenden berichten. Sie waren beide zeitweise verhaftet, die Gestapo hat bei ihnen Hausdurchsuchungen durchgeführt und dennoch haben sie anderen Verfolgten Unterschlupf und ein Versteck geboten. Sie waren "Stille Helden" und sollten auch so erinnert werden.

Fritz und Trude Wisten lebten vor der NS-Zeit mit ihren beiden Töchtern in Stuttgart. Fritz Wisten war am dortigen Staatstheater "Staatsschauspieler". Er wurde als Jude 1933 entlassen und ist mit der Familie 1934 von Stuttgart nach Berlin umgezogen, weil er nur noch am neu aufgebauten Theater des Jüdischen Kulturbundes eine Beschäftigung fand.

Von Stuttgart aus suchte Trude Wisten, die auch Schauspielerin war, in Berlin ein Haus. Nach langem Suchen fand sie eine neue Heimstatt in dem Haus von Kurt Lewin im Waldsängerpfad 3 (in der NS-Zeit Dianastraße). Der bekannte Erziehungspsychologe hatte es sich von Peter Behrens 1929/30 bauen lassen, emigrierte 1933 und verkaufte das Haus an die Familie Wisten. Als Besitzerin durfte nur Gertrud Wisten als "Arierin" im Grundbuch eingetragen werden. Im Nazi-Jargon führten Fritz und Trude Wisten eine "privilegierte Mischehe".

Fritz Wisten im Alter von 21 Jahren.
Fritz Wisten im Alter von 21 Jahren.

© Susanne Weyl

Das Haus beschreibt Stephan Dörschel mit den Worten: "Dieses Haus, in dem die Töchter Fritz Wistens noch heute wohnen, ist schon von seinem Äußeren her ein Gegenentwurf zu der kommenden braunen Zeit, in der dieser Baustil schärfste Ablehnung erfährt und deren Baumeister zum Teil in die Emigration gezwungen werden. Aber es ist auch weit weg vom Zentrum, in einer Villengegend, es gehört einer Nichtjüdin - Trude Wisten, und ist so bis zum Ende der nationalsozialistischen Herrschaft einigermaßen sicher. Die Familie Wisten bestand damals aus Fritz und Trude Wisten, deren beider Töchter Susanne und Eva sowie dem Vater von Fritz Wisten, Isidor Weinstein, der nach dem Tode seiner Frau schon in Stuttgart zu seinem Sohn gezogen war." (S. 42)

1939 wurde Fritz Wisten Leiter des Jüdischen Kulturbundes und wurde 1941 nach dessen Verbot mit der Auflösung der verbliebenen Einrichtungen beauftragt und konnte dabei eine Reihe von Unterlagen in Sicherheit bringen und im Keller seines Hauses verstecken. Dort lagerten auch Teile des Nachlasses von Otto Hirsch, dem ehemaligen Vorsitzenden der "Reichsvertretung der Juden in Deutschland", die er der Familie Wisten zur Rettung für die rechtzeitig in die USA emigrierten Kinder übergeben hatte. Nach dem Krieg haben dann auch US-Soldaten bei der Familie Wisten nachgefragt und die noch vorhandenen Erinnerungsstücke erhalten.

Die Familie Wisten im Jahr 1936
Die Familie Wisten im Jahr 1936

© Susanne Weyl

Fritz Wisten überlebte und war nach dem Krieg Regisseur am Deutschen Theater und dann Intendant des Theaters am Schiffbauerdamm und der Volksbühne. Stephan Dörschel hat 2009 in seinem Buch sein "jüdisches Theaterleben" beschrieben. Heinrich Goertz hatte schon 50 Jahre vorher Fritz Wisten mit den Worten charakterisiert:

"1938 wurden den Juden die Führerscheine entzogen. Wisten blieb Optimist. Er ließ sich eine Fotokopie anfertigen, um nach der Vertreibung der Nazis nicht noch einmal die Fahrprüfung machen zu müssen. Er inszenierte jüdische Volksstücke, Klassiker der Weltliteratur, moderne Lustspiele und einmal sogar eine Operette, 'Gräfin Maritza', und erhielt auch in diesem ungewohnten Genre die Anerkennung der durchaus nicht nachsichtigen Kritiker. Nach Schließung des Kulturbundes im Jahre 1941 mußte Wisten, oft hart am Tode vorbei, ein abenteuerliches Leben führen: Polizeiverwahrung, Gefängnis, Fabrikarbeit, KZ Sachsenhausen, Gestapoaufsicht ... Sein unzerstörbarer Wille, Theater zu spielen, ließ ihn bis Kriegsende durchhalten. 1945 wurde Max Reinhardts Deutsches Theater mit seiner Inszenierung von 'Nathan dem Weisen' wiedereröffnet. 1946 erhielt er von der Sowjetischen Militär-Administration eine Lizenz für das Theater am Schiffbauerdamm." (S. 43)

1938 wurde Fritz Wisten wie viele Berliner Juden nach der Pogromnacht ins KZ Sachsenhausen verschleppt und dort tagelang grausam misshandelt, er kam wieder frei.
1938 wurde Fritz Wisten wie viele Berliner Juden nach der Pogromnacht ins KZ Sachsenhausen verschleppt und dort tagelang grausam misshandelt, er kam wieder frei. Das Bild wurde nach seiner Freilassung aufgenommen.

© Susanne Weyl

1938 wurde Fritz Wisten wie viele Berliner Juden nach der Pogromnacht ins KZ Sachsenhausen verschleppt und dort tagelang grausam misshandelt, er kam wieder frei. „Mich hat damals so beeindruckt, daß mein Vater hier vor unserer Tür stand mit glattrasiertem Schädel, was für uns Kinder ein Schock war. Meine Mutter brach in Tränen aus, denn das haben wir ja alles nicht gewußt. Man wußte das ja noch nicht, man wußte auch nichts von psychischer Folter, der diese Menschen ganz stark unterworfen waren. Mein Vater kam zur Tür rein und sagte: 'Ich habe unterschreiben müssen, daß ich nichts berichte, und meinen Kindern kann ich das sowieso nicht erzählen.'  Aber soviel haben wir doch mitbekommen: Er kam mit einer schweren Lungenentzündung, und wenn er nicht zu Hause in ärztliche Pflege gekommen wäre, dann hätte er diesen KZ-Aufenthalt nicht überlebt. Sie mußten dort ein, zwei Nächte auf dem Gelände stehen, und da sind, so hat er uns später berichtet, bereits viele in den elektrischen Draht gelaufen, weil sie diese physische Folter nicht aushalten konnten."(S. 115)  So beschreibt seine Tochter Susanne in einem Gespräch mit Henry M. Broder später ihre Erinnerungen.

Im Jahr 1939: Fritz Wisten mit seinen Töchtern Eva und Susanne
Im Jahr 1939: Fritz Wisten mit seinen Töchtern Eva und Susanne

© Susanne Weyl

Fritz Wisten lies sich dadurch nicht unterkriegen. Das befreundete Ehepaar Hirsch versuchte er nach dem Fall von Paris 1940 bei einem ihrer Besuche im Waldsängerpfad mit der Bemerkung aufzurichten: Er sei überzeugt, dass Hitler diesen Krieg nicht gewinnen werde (1940!). Darauf die Antwort: "Ja, lieber Wisten, bloß – überleben müssen wir das."

1942 wurde Trude Wisten aufgrund einer Denunziation verhaftet und wochenlang eingekerkert. Fritz Wisten wurde von der Gestapo erneut verhaftet. Die beiden Töchter haben mit Hilfe der Familie Canaris, deren Nachbarn sie waren, erreichen können, dass zuerst der Vater und dann die Mutter wieder frei kamen. Winfried Meyer hat auch diese Hilfe von Canaris in seiner Untersuchung zum "Unternehmen Sieben" beschrieben.

Trude Wisten mit 70 Jahren, aufgenommen 1972.
Trude Wisten mit 70 Jahren, aufgenommen 1972.

© Susanne Weyl

Trotz all dieser Gefährdungen haben Fritz und Trude Wisten ihren Mut und Optimismus nicht verloren und ab 1943 den SchauspielerAlfred Balthoff-Berliner bei sich im Haus versteckt. Er hatte auch beim Jüdischen Kulturbund gespielt und lebte in einer Wohnung am Tiergarten. Nach der Schließung des Theaters war er mit anderen zu Büroarbeiten in der Jüdischen Gemeinde zwangsverpflichtet worden. Sie mussten die Listen für die Deportationen schreiben und von dort wollte die Gestapo sie eines Tages abholen. Er ist ihnen entwischt und auf eine Straßenbahn aufgesprungen und entkommen.

Für diesen Fall hatte er Möglichkeiten zum Untertauchen ("Flitzquartiere") vorbereitet, die aber alle im Ernstfall nicht funktionierten. So lebte er eine zeitlang in Häusern in Charlottenburg. Wenn die Haustüren offen waren, dann konnte er auf der Treppe schlafen und wenn sie zu waren, musste er weiter. Als Fritz Wisten davon hörte, bot er ihm an, bei ihnen im Haus unterzutauschen. Aus Vorsicht sollte er aber immer erst abends kommen, wenn die Kinder schliefen. Nach einigen Wochen lebte er die ganze Zeit im Haus.

Das Haus heute
Das Haus im Waldsängerpfad

© Dirk Jordan

Die Familie nannte ihn "Freddy". Er hat unten im Wohnzimmer, dem Salon, auf der Couch geschlafen, da stand auch der Flügel. Die Betten wurden tagsüber weggeräumt, damit es bei einer Hausdurchsuchung nicht auffiel. Und es ging bis zum Schluss gut, zur Vorsicht wurden aber Gardinen angebracht. Fritz und Trude Wisten hatte schon vorher versucht, andere zu retten, so das Ehepaar Hirsch und die Bühnenbildnerin Hanna Litten. Otto und Martha Hirsch mochten das Angebot nicht annehmen, weil sie die Familie Wisten nicht in Gefahr bringen wollten. Sie wurden 1942 nach Mauthausen deportiert und dort ermordet.

Der Vater durfte als Jude nicht in den Luftschutzbunker

Im November 1943 setzten dann die schlimmen Bombenangriffe auf Berlin ein, da füllte sich das Haus mit Freunden der Familie, die ausgebombt waren. Es waren Ehepaare, die auch eine "privilegierte Mischehe" führten. Das Haus wurde so voll, dass in jedem Zimmer Gäste waren, die natürlich auch von Freddy wussten. Er kochte häufig für alle, da er auch Koch gelernt hatte. Susanne Weyl schreibt in ihren Kindheitserinnerungen dazu: "Unser Haus bot zahlreichen Freunden in gleicher Verfolgungs-Konstellation Quartier. Es zog aber auch ein 'normaler' Deutscher, ein Arbeitskamerad meines Vaters aus der Fabrik, ein, der sich der Einberufung zum Volkssturm entziehen wollte."

Hilfreich für die Familie Wisten war, dass sie sich auf einige ihrer Nachbarn verlassen konnten, aber nicht auf alle. Besonders intensiv war der Kontakt zu den unmittelbaren Nachbarn, auf deren Grundstück der gemeinsame Splittergraben lag, in den sie bei Alarm gingen, auch Freddy. In den offiziellen Luftschutzbunker gegenüber gingen sie schon deswegen nicht, weil der Vater dort als Jude nicht hinein durfte. Im Haus selber wohnte in einem abgetrennten Bereich mit einem eigenen Eingang Familie Ruhnau, die auch sehr hilfsbereit war. Das Haus hat eine große Dachterrasse, die von beiden Hausteilen betretbar ist. Die Tür zu dem Anbau blieb immer offen, so dass bei einer Gefahr die zwei Männer, Fritz Wisten und Freddy, über die Terrasse in den anderen Hausteil gehen konnten.

Das Haus im Jahre 2013
Das Haus im Jahre 2013

© Dirk Jordan

Bei aller Gefährdung war das Leben der Familie Wisten nicht von Angst geprägt, sie wurde so weit als möglich verdrängt. Alfred Balthoff-Berliner ist auch von dort aus noch ins Theater gegangen, natürlich ohne Judenstern. Erst in den letzten Monaten konnten für ihn falsche Papiere beschafft werden, was für alle nervenberuhigend war. In der Rückschau kommt vieles tollkühn vor, aber wenn alles so aus den Fugen gerät, dann kann eben schon ein normales Verhalten, wie in das Theater zu gehen, "Wahnsinn" sein.

Ab 1943 ließ auch die unmittelbare politische Bedrohung etwas nach, der Krieg band viele Kräfte der Nazis und der Gestapo. Dafür wurden die zunehmenden Bombenangriffe eine neue Bedrohung. Am 25. April 1945 erreichten die ersten russischen Panzer den Waldsängerpfad, die als Befreier erlebt wurden. Diesen gleichen Tag hatten die Nazis schon im Zusammenhang mit der Wannseekonferenz 1942 als Zeitpunkt festgelegt, an dem alle noch in den "privilegierten Mischehen" in Berlin verbliebenen Juden auch deportiert werden sollten.

Glücklicherweise haben alle die NS-Zeit überstanden, auch Alfred Balthoff. Fritz Wisten konnte wieder für sein Theater leben und arbeiten. Trude Wisten wurde 1994 als "Gerechte unter den Völkern" von der Gedenkstätte Yad Vashem geehrt. Nach Fritz Wisten wurde in Stuttgart ein Weg benannt und im Foyer des BE erinnert eine Büste an ihn. Eine Berliner Gedenktafel am Haus im Waldsängerpfad wird ihn hoffentlich auch dort bald ehren.

 AUSGEWIESENE LITERATUR

(Heinrich Goertz, Roman Weyl (Hg.), Komödiantisches Theater, Fritz Wisten und sein Ensemble, Berlin (Henschel Verlag), 1957

Susanne Wisten-Weyl, Momente, die Sternstunden waren, in: E. Geisel, H.M Broder, Premiere und Pogrom, Der Jüdische Kulturbund 1933- 1941, Texte und Bilder, Berlin (Wolf Jobst Siedler Verlag), 1992, S. 110ff

Susanne Wisten-Weyl, Kindheitserinnerung an Nachbarn, in: Berlin eine Ansicht, Berlin (Transit Verlag),

Winfried Meyer, Unternehmen Sieben, Frankfurt am Main (Verlag Anton Hain), 1993

Stephan Dörschel, Fritz Wisten, Bis zum letzten Augenblick - ein jüdisches Theaterleben, Berlin (edition hentrich), 2009)

Der Autor Dirk Jordan (69) war lange Jahre Volksbildungsstadtrat in Kreuzberg und lebt in Schlachtensee. Sie erreichen ihn über seine Homepage oder den Zehlendorf Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

Dirk Jordan

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