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Als Forscherin ist die Professorin für Politikwissenschaft Gesine Schwan viel in der Welt herumgekommen. Wenn sie über Nikolassee spricht, hat sie ein entspanntes Lächeln auf den Lippen, als wolle sie damit unterstreichen: Es ist gut, Wurzeln im Leben zu haben; eine Heimat.

© Hans-Christian Plambeck

Gesine Schwan im Gespräch mit dem Zehlendorf Blog: "Die Fixierung auf die schwarze Null schadet unserem Land"

Gesine Schwan, Professorin für Politikwissenschaften, ist den meisten als zweimalige Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin bekannt. Im Zehlendorf Blog kritisiert die "protestantische Katholikin" den Sparzwang in der Bildungspolitik - und erklärt ihre Liebe zu Nikolassee.

„Die Welt ist schön.“ Punkt. Mehr müsse eigentlich nicht gesagt werden, findet Gesine Schwan, vor allem, wenn sie an ihr Zuhause in Nikolassee denkt. Als Teenagerin zog sie mit ihren Eltern in den Berliner Südwesten und wollte nie mehr weg. „Hinter unserem Haus war ein wunderschöner Garten mit einem großen Rosenbusch“, erinnert sie sich. Steglitz-Zehlendorf sei der schönste Bezirk in Berlin: ruhig und grün, zugleich mit einer guten Verkehrsanbindung und Einkaufsmöglichkeiten. An erster Stelle stehen bei ihr aber die Seen. „Ich bin wasservernarrt“, verrät die 71-Jährige. Sooft wie möglich schwimme sie im Schlachtensee.

Heimat ist mehr als ein Ort

Gesine Schwan ist Professorin für Politikwissenschaften, SPD-Mitglied und kandidierte zweimal - 2004 und 2009 - für das Amt der Bundespräsidentin. Ihren Kiez - Nikolassee - empfindet sie als offen und unkompliziert. Hier wohnen nur wohlhabende Leute? Nein. „Ich komme aus einem Lehrerhaushalt, wir waren nicht reich“, sagt sie.

Nikolassee sei nicht so vornehm und nobel wie etwa Dahlem, aber sympathisch. „Sagen wir so: Hier wohnen Leute, die im Allgemeinen keine Geldsorgen haben.“ Ärzte, Professoren oder Lehrer. Heimat aber ist für sie mehr als nur ein Ort, an dem sie lebt. Vielmehr gehören zu ihrer Heimatvorstellung auch Familie, Freunde, politische Freunde und der christliche Glaube.

"Die ökonomischen Interessen im Bereich Bildung sind beschämend"

Gesine Schwan bezeichnet sich selbst als "protestantische Katholikin". Jeweils sonntags besucht sie den Gottesdienst in der Katholischen Herz-Jesus-Kirchengemeinde in der Riemeisterstraße in Zehlendorf. Ihre Mutter, ursprünglich aus Oberschlesien, war katholisch, ihr Vater war aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Deshalb wurde Gesine Schwan, die ihre frühe Kindheit in Heiligensee, Reinickendorf, verbrachte, zunächst nicht getauft. Erst als junge Frau mit etwa 20 Jahren entschied sie selbst, sich taufen zu lassen.

Seit jeher bildet der Glaube für sie die Grundlage ihres Weltverständnisses. Dazu gehört etwa, dass die Menschen vernünftig miteinander umgehen, füreinander da sind und sich in Krisen gegenseitig stützen. Gesine Schwan hat auch schwierige Zeiten erlebt, die lange Krankheit ihres ersten Ehemannes Alexander Schwan, den sie 1989 verlor. Das Lächeln in ihrem Gesicht ist jetzt verschwunden. Sie schaut in sich hinein. Nachdenklich. Und fährt fort: Jeder Mensch sei ein Gotteskind, sollte dieselbe Freiheit haben, sich entwickeln zu können. „Das manische Wettbewerbsdenken heute lässt sich mit der Welt des Christentums nicht vereinbaren.“

Dann richtet sich Gesine Schwan aus ihrem Stuhl auf, als wolle sie die traurigen Gedanken abschütteln. Besonders fatal wirke sich dieses Wettbewerbsdenken im Bereich der Bildung aus. Es sei beschämend und unappetitlich, dass auch hier die ökonomischen Interessen überwiegten. Zwar habe sie nicht im Detail den Einblick, was die Ursachen für die maroden Schulen in Steglitz-Zehlendorf seien, aber auch hier zeige sich diese falsche Grundhaltung der Gesellschaft wie der Politik; sowohl auf Bezirks-, Landes-, als auch auf Bundesebene.

Nach der Niederlage gegen Horst Köhler um das Amt des Bundespräsidenten 2009, Gesine Schwan im Bundestag.
Nach der Niederlage gegen Horst Köhler um das Amt des Bundespräsidenten 2009, Gesine Schwan im Bundestag.

© dpa

„Die Fixierung auf die schwarze Null schadet unserem Land“, erklärt die Politikwissenschaftlerin. Sparen, sparen, sparen. Das erinnere sie an einen Fetisch und sei eine falsche Wirtschaftspolitik. Um zukunftsfähig zu bleiben, müssten immer Investitionen getätigt werden – eben auch oder vor allem in die Sanierung von Schulen.

Erst Audimax, dann Kneipe

Als Wissenschaftlerin liegen Gesine Schwan insbesondere die Universitäten am Herzen. Sie war unter anderem viele Jahre die Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und ist Mitbegründerin der Humboldt-Viadrina School of Governance in Berlin, zwar inzwischen insolvent, aber als politische Plattform fortbestehend. Ihre „Heimatuniversität“ ist jedoch in Steglitz-Zehlendorf, die Freie Universität Berlin (FU). Hier hat sie studiert und später auch viele Jahre wissenschaftlich gearbeitet und gelehrt

Immer unterwegs und in Aktion, Gesine Schwan bei einer Weiterbildungsveranstaltung im Tagesspiegel.
Immer unterwegs und in Aktion, Gesine Schwan als Rednerin bei einer Weiterbildungsveranstaltung im Tagesspiegel.

© Mike Wolff

Sie erinnert sich gern an die Zeit ihres Studiums, auch in Freiburg im Breisgau, aber vor allem an der FU: „Am frühen Abend kamen die Studenten aus den Seminaren und hörten sich dann noch eine freie Lesung im Auditorium Maximum an, anschließend ging es in eine Kneipe.“ Das Bedürfnis nach Gemeinschaft sei seinerzeit groß gewesen. Heute kaum noch denkbar. Die Studierenden würden von einer ökonomischen Effizienz getrieben, dass der geistige Charakter des Studiums weitgehend verloren gehe. „Ich bin dennoch optimistisch und glaube, dass sich das eines Tages wieder ändern wird“, sagt Gesine Schwan. 

Für eine Frau ist es schwerer, für ein hohes politisches Amt zu kandidieren

Optimistisch war sie auch, als sie sich zwei Mal für das Amt als Bundespräsidentin bewarb, jedoch nicht gewählt wurde. „Es hätte mir Spaß gemacht, politisch-kulturelle Akzente in unserem Land zu setzen und die Menschen zu ermutigen“, erklärt sie ihre Motivation. Doch die Erfahrung lehrte, dass es für eine Frau schwerer sei, für so ein Amt zu kandidieren, als für einen Mann. Oft habe sie die Frage hören müssen: Warum macht die das?

Heute lebt Gesine Schwan in zweiter Ehe zwei Straßen entfernt von ihrem alten Haus in Nikolassee. Sie hat zehn Enkelkinder; zwei eigene und acht von den Kindern ihres Ehemannes. Der Kiez als Wohngegend habe sich in den letzten 60 Jahren kaum verändert. Anders als in anderen Stadtteilen des Bezirkes werde hier weniger verbaut. „Das liegt vielleicht an der Bodenständigkeit und dem starken Willen der Nikolasseer“, sagt sie und lächelt jetzt wieder.

Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt als lokale Reporterin regelmäßig für den Zehlendorf Blog des Tagesspiegels. Folgen Sie Anett Kirchner auch auf Twitter.

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