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Im Widerstand. Frank Kuehn ist der Initiator der Bürgerinitiative "Hunde am Schlachtensee", die sich gegen das generelle Verbot von Hunden an der Krummen Lanke und dem Schlachtensee wehren.

© Thilo Rückeis

Hundeverbot am Schlachtensee: Kampfgebiet Berlin

„So einen Unsinn wird niemand beschließen“, sagte Frank Kuehn, als sich das Hundeverbot vom Schlachtensee herumsprach. Doch die Behörden haben genug vom ewigen Streit der Besucher. Und so ist das Ufer zum Symbol für Fragen des Miteinanders in Berlin geworden.

Eine Frau steht 25 Meter hoch über dem Schlachtensee am Waldrand und blickt mit ihrer 13 Jahre alten Hündin Emma hinab auf ein Idyll. Sanft ruht der See, die Strahlen der Sonne tanzen auf der Wasseroberfläche. Menschen spazieren vorbei, Jogger rennen, Kinder spielen, Hunde tollen.

Und mitten hinein in diese Friedlichkeit des Augenblicks sagt Christa Markl-Vieto, Grünen-Stadträtin in Steglitz-Zehlendorf, einen Satz, der es sich von hier oben aus nicht sogleich erschließt: „Der See braucht eine klare Ordnung. Das muss der Staat regeln, einer muss es ja tun."

Denn in Wahrheit schaut die Stadträtin auf ein Kampfgebiet. Und der Satz ist eine Kampfansage an jene, die sich noch Illusionen machen, dass sie diesen Machtkampf gewinnen könnten. Die andere Seite – Hundebesitzer und Tierfreunde – wappnet sich für den Gang vor Gericht. Anwälte sind beauftragt, Bürgerinitiativen gegründet worden, Versammlungen werden abgehalten, Beschwerdebriefe geschrieben, Geld gesammelt.

Jetzt ist der See im Berliner Südwesten zum Symbol für Fragen des Miteinanders geworden. Darf jeder überall alles dürfen? Sind die Bürger noch bereit für Rücksicht, Respekt und Verzicht. Oder muss der Staat Gesetze schaffen, um diese Primärtugenden durchzusetzen; um Schwächere vor den Interessen der Stärkeren zu schützen?

Ab dem 15. Mai gilt ein generelles Hundeverbot am Schlachtensee und der Krummen Lanke. Hunde dürfen dann an den Uferwegen nicht einmal mehr an der Leine laufen. Christa Markl-Vieto vertritt das Umweltamt, und sie hat gemeinsam mit der Umweltbehörde des Senats diese radikale Entscheidung getroffen.

Der Schlachtensee war schon immer ein Sehnsuchtsziel der Stadtbewohner, Urlaubsgebiet für Stunden, ein Areal aus Wald und Wasser, an dem jeder nach seiner Fasson glücklich werden will. Spätestens wenn der Sommer beginnt, sind alle da: Die Mountainbiker, die Familien, die Walker, die Jogger, Spaziergänger, Nacktbader, Schwimmer, Verliebte, Hundebesitzer, Jugendliche, die bis in die Nacht hinein Party feiern. Eine perfekte Chill-out-Area.

Und am Morgen danach jedes Mal der schwere Kater in Form von Müllbergen.

Die Stadträtin benutzt nun selbst immer den oberen Waldweg, der gehört auch in Zukunft noch zum Hundeauslaufgebiet, kein Leinenzwang, und sie hat mit Emma unten, wie sie sagt, bereits ihren „Abschiedsspaziergang“ gemacht. Christa Markl-Vieto ist eine energische Frau mit schnellen Schritten und großem Selbstbewusstsein. Mit 19 Jahren kam sie aus München nach Berlin, strandete im Studentendorf Schlachtensee, seitdem ist sie Zehlendorferin. Wenn sie redet, kontrolliert sie vorher ihre Sätze nicht nach möglichen Fallstricken, das ist sympathisch.

Sie setzt ihre Sonnenbrille ab, kneift entschlossen die Augen zusammen. In diesem Fall, sagt sie, gebe es nichts mehr zu diskutieren: „Das Thema wurde zehn Jahre diskutiert. Ich habe mich der Aufgabe nun angenommen. Und ich stehe für keinen Kompromiss zur Verfügung. Nicht jetzt.“

Ist der Konflikt nicht normal, muss der Staat mit Gesetzen eingreifen?

Ich will hier aber nicht weg! Hund am Schlachtensee.
Ich will hier aber nicht weg! Hund am Schlachtensee.

© Thilo Rückeis

Man kann die Kampflinie an diesem Ort von oben nicht ziehen. Man muss hinunter an den See heran, zu Zeiten, wenn er wirklich voll ist. An Frühlingstagen wie diesen kann man erahnen, was hier los sein kann. Und wenn man Anwohner oder Spaziergänger fragt, hört man unendlich viele dieser kleinen Begebenheiten mit Hunden. Sie handeln selten von Bissen, aber vom Genervtsein, von Ohnmacht und Wut, weil man sich ja nicht wehren könne.

Vor allem Familien bleiben weg, die verbalen Auseinandersetzungen nehmen zu, eine schweigende Mehrheit, die aufgegeben hat? Das ist jedenfalls Markl-Vietos Version, eine Erkenntnis, die sie aus Briefen, Mails und Gesprächen gewonnen haben will. Sie selbst sagt, sie wisse, dass Hunde, die gut erzogen seien kein Problem darstellen. „Aber es gibt immer mehr unerzogene Hunde mit unerzogenen Haltern.“

Im Grunewald ist es wie überall in Berlin: antiautoritär, respektlos, leidenschaftlich libertär. Hier zeigt sich das ganze Ausmaß dieser legendären Berliner Haltung: Jeder macht seins, und das am liebsten da, wo viel los ist. Den Spaziergänger stören die Jogger, die Radfahrer stören die Läufer, und die tobenden Kinder stören die Ruhesuchenden. Und alle zusammen stört der Müll, den alle zusammen hinterlassen.

Ist das nicht normal, muss da jetzt der Staat wirklich eingreifen?

Spaß am See. Für die Hunde bald vorbei, obwohl, es gibt da ja noch den Grunewaldsee. Nur für Hunde!
Spaß am See. Für die Hunde bald vorbei, obwohl, es gibt da ja noch den Grunewaldsee. Nur für Hunde!

© Thilo Rückeis

Immer mal wieder gab es Versuche, ein Hundeverbot durchzusetzen. Zaghaft, inkonsequent. Einst, unter einer Vorgängerin von Markl-Vieto, da war sie selbst noch einfache Verordnete in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), tauchten die Hundehalter unangemeldet in der BVV auf, „bedrohlich“, fand Markl-Vieto die Situation, ein „Versuch der Einschüchterung“. Die Stadträtin knickte ein. Das soll ihr, man muss ihr nur in die Augen schauen, nicht passieren. Die BVV hat im März 2010 einen neuen Beschluss gefasst, in dem es hieß: „Das Bezirksamt wird ersucht zu prüfen, wie die Badestellen am Schlachtensee und an der Krummen Lanke von Hunden freigehalten werden können.“ Und der Senat hat 2013 angemahnt, das Hundegesetz, das Hunde an Badestellen aus hygienischen Gründen verbietet, „eng auszulegen“. Das ist die Grundlage, auf der sie gehandelt hat. Sie hat es sehr eng ausgelegt. Und das Verbot ausgesprochen.

Große Diskussionsrunde im Audimax der FU Berlin

Markl-Vieto hat sich entschlossen, den See nicht den Bürgern selbst zu überlassen. Die Hunde zerstören durchs Buddeln die Ufer, verschmutzen das Wasser, belästigen und gefährden die anderen Gruppen. Deshalb müssen sie weichen. Kompromisse lehnt sie ab, weil man „sie nicht kontrollieren kann“.

Ein paar Stunden nach der Stadträtin ist auch Frank Kuehn zum See gekommen. Die Sonne scheint noch immer, und das Wasser ist noch immer angenehm leer. Kuehn ist Initiator der Bürgerinitiative „Hunde am Schlachtensee“, mit seiner Schiebermütze auf dem Kopf und der sonnengegerbten Haut, könnte man sich ihn auch als Kapitän auf hoher See vorstellen. Er hat einen klaren Blick auf die Dinge und einen versonnenen Blick aufs Wasser. Er liebt diesen Ort, man sieht es ihm an, er wohnt seit 19 Jahren gleich um die Ecke.

Kuehns gesunde Hautfarbe kommt vom Draußensein, was wiederum am Hund liegt, den er auch jetzt bei sich führt, einen Beagle, vier Jahre alt. Den Satz vom Kompromiss, den man nicht kontrollieren könne, findet er unmöglich: „Er unterstellt den Bürgern, dass sie Regeln gar nicht erst einhalten.“ Eine solche Sicht hält er geradezu für kontraproduktiv für das Verhältnis von Staat und Bürgern, weil, wie er sagt, der Staat dem Bürger dann ja ständig misstraue. Die von Kuehn gegründete Bürgerinitiative mit nunmehr rund 1700 Mitstreitern wird versuchen, das Hundeverbot vor Gericht zu kippen. Knapp 650 Mitglieder kommen aus Zehlendorf, der Rest aus der ganzen Stadt verteilt. Es gibt noch eine andere Protestbewegung, „Berliner Schnauze“, ebenfalls mit großem Zulauf aus Berlin. Hinter ihr steht die „Erna-Graff-Stiftung“ für Tierschutz.

Lesen Sie, warum alle Kompromissvorschläge nichts halfen

Beliebtes Ausflugsziel ist die Fischerhütte direkt am Schlachtensee. Alle kommen gerne hierher.
Beliebtes Ausflugsziel ist die Fischerhütte direkt am Schlachtensee. Alle kommen gerne hierher.

© Thilo Rückeis

Für Markl-Vietos Argumente hat Kuehn wenig Verständnis. Sie sagt, dass der Wald dem Land gehöre und dem Bezirk die Grünanlage, man deshalb also bestimmen könne, ob man Hunde wolle oder nicht. Die Seen seien Badestellen – und dort seien Hunde sowieso verboten. Auch die Juristen, die Kuehn beauftragt hat, halten das für Quatsch, der ganze See sei erstens keine Badestelle und die Uferwege schon gar nicht.

Frank Kuehn ist groß und kräftig, aber er ist auch ein besonnener Mann, sachlich, nachdenklich, eher leise, was auch an seinem Beruf liegt. Er ist Coach, berät Führungskräfte in großen Unternehmen, Konfliktbewältigung ist eines seiner wichtigsten Themen und da, sagt er, sei es hilfreich, „Emotionalität herauszuhalten“.

Kuehn sagt: Es gibt keinen eskalierenden Konflikt

Im Januar, er kann sich noch gut erinnern, sitzt er in seinem Arbeitszimmer, als seine Frau in der Maisonettewohnung von unten hoch ruft, was gerade im Radio gesagt worden sei über das generelle Hundeverbot. „So einen Unsinn wird niemand beschließen“, ruft Kuehn zurück und glaubt, seine Frau könne sich nur geirrt haben. Als er die Fakten googelt, ärgert er sich zehn Minuten lang, dann besinnt er sich seiner eigenen beruflichen Leitlinien, deren wichtige Prämisse lautet: Bleib’ lösungsorientiert. Er bastelt seine erste Website seines Lebens am Computer, der Beginn des Widerstands gegen Markl-Vietos Pläne.

„Ich dachte“, sagt Kuehn, „es wird ja Möglichkeiten geben, wie alle Seiten miteinander klarkommen können.“ Er kann verstehen, dass Eltern es ekelig finden, wenn Hunde neben ihren Kindern ins Wasser springen. Er gibt auch zu, dass es Konflikte gebe. Aber sie rechtfertigen aus seiner Sicht nicht Markl-Vietos Entscheidung. Kuehn ist von einem überzeugt: „Es gibt hier keinen eskalierenden Konflikt. Alle Probleme sind lösbar.“

Christa Markl-Vieto, Grünen-Stadträtin im Bezirk Steglitz-Zehlendorf, mit ihrer Hündin Emma.
Christa Markl-Vieto, Grünen-Stadträtin im Bezirk Steglitz-Zehlendorf, mit ihrer Hündin Emma.

© ale

Er ist kein gebürtiger Zehlendorfer, kommt aus Neukölln, Hinterhof, einfachste Verhältnisse, der Vater Drucker, die Mutter Gärtnerin. Eines Tages fährt er als Jugendlicher zum S-Bahnhof Schlachtensee, um einen Freund zu besuchen. Er sieht zum ersten Mal, dass es in der Stadt, in der er wohnt, auch Wald gibt. Er kannte nur die Mietshäuser seines Kiezes. Kuehn lacht beim Erzählen verlegen und sagt: „Damals habe ich mir gesagt, hier möchte ich mal wohnen.“ Dieses Gefühl von Freiheit, was er damals hatte, hier, und immer noch hat – er findet, es stehe allen zu.

Über 700 Hektar groß ist das Hundeauslaufgebiet im Grunewald. Der Grunewaldsee gehört allein den Hundefreunden, Menschen dürfen dort nicht mehr baden. Markl-Vieto hat ausrechnen lassen, dass nach dem Hundeverbot immer noch 96 Prozent der Fläche vorhanden sind. Dieser Ort in Zehlendorf, der Grunewald mit seinen Seen hatte schon immer eine große Anziehungskraft auf die Menschen – die gestressten Städter. Denn er beruhigt. Und so gehört Kuehn auch nicht zu den lauten Verbotsgegnern. Es gibt aber einige, die wollen partout gar nichts ändern. Alles soll so bleiben, wie es ist. Es gilt die Haltung: keine Kompromisse! Kuehn dagegen sagt: „Ich bin nicht gegen Verbote. Es müssen nur die richtigen Verbote sein.“

Im Hochsommer wird auf dieser Wiese vor allem Party gefeiert. Bis hinein in die Nacht. Auch das stört wiederum viele. Vor allem der Müll, der am nächsten Morgen zurückbleibt.
Im Hochsommer wird auf dieser Wiese vor allem Party gefeiert. Bis hinein in die Nacht. Auch das stört wiederum viele. Vor allem der Müll, der am nächsten Morgen zurückbleibt.

© dpa

Aber was er und seine Mitstreiter auch vortrugen, nichts half. Er versuchte es mit Zugeständnissen: Hunde ja, dafür Leinenzwang überall. Er akzeptierte ein „Badeverbot“ für Hunde. Vorschläge für ein saisonales Verbot wurden gemacht: für die Hochsommerzeit oder auf bestimmte Tageszeiten beschränkt. Auch ein Hundeverbot am Wochenende gehörte zum ernst gemeinten Repertoire, wie Kuehn beteuert. Er ist offen für Vorschläge, aber, sagt er, „ich kann auch kämpfen, ich bringe das dann ordnungsgemäß vor Gericht zuende“.

Das ist also die Kampflinie.

In der schon wärmenden Frühlingssonne haben sich die ersten Badegäste ausgezogen, Kinder planschen mit den Füßen im Wasser, ein einsames Ruderboot zieht mitten auf dem See seine Kreise, noch laufen die Hunde frei herum und die schwarzen Kottüten zieren die Uferpromenade, weil keine Mülltonnen zu finden sind.

Am heutigen Mittwoch hat die Grünen-Stadträtin gemeinsam mit dem sozialdemokratischen Staatssekretär Christian Gaebler um 19 Uhr zu einer Podiumsdiskussion in den Henry-Ford-Bau der Freien Universität geladen. Der Audimax wird wohl brechend voll sein. Kuehn ist beruflich verhindert, seine Hauptfrage lautet: „Besteht überhaupt noch die Chance auf einen Kompromiss oder täuscht Frau Markl-Vieto hier nur Bürgerbeteiligung vor?“

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel und hat den Tagesspiegel Zehlendorf konzipiert, das Online-Portal aus dem Südwesten.
Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel und hat den Tagesspiegel Zehlendorf konzipiert, das Online-Portal aus dem Südwesten.

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Die Stadträtin wiederum, immerhin Mitglied einer Partei, die aus der Bürgerbewegung entstanden ist, sagt: „Wir müssen uns fragen, ob immer mehr Bürgerbeteiligung wirklich konstruktiv ist, vor allem dann, wenn diese Bürger denken, sie haben ein Recht darauf, ihre Partikularinteressen durchzusetzen.“ Bei jeder Entscheidung werde sofort in einem unverhältnismäßigen Ausmaß gemeckert. Einer der Hundefreunde schrieb: „Frau Markl-Vieto, ich hasse Menschen wie sie.“ Der Wut-Bürger ist offensichtlich real.

Einmal hat das Umweltamt beschlossen, einen Teil eines Friedhofs, der sehr viel Platz hat, weil immer weniger Menschen dort begraben werden, am Grundstücksrand umzuwidmen in einen kleinen Tierfriedhof – abgetrennt von einer dichten Hecke. Kurz darauf hatte sich bereits eine Bürgerinitiative gegründet, Markl-Vieto wurde als „pietätlos“ beschimpft, weil sie es zulasse, dass Tiere neben Menschen begraben werden. Sie müsse aus eigener Tasche die Umbettung der Menschengräber bezahlen.

Die Kompromisslosen, das ist Markl-Vietos Erfahrung, sind die Bürger.

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel, er schreibt vor allem für die Dritte Seite, die Reportageseite der Zeitung. Dieser Text und viele weitere zum Thema erscheinen auch auf dem Tagesspiegel Zehlendorf, dem Online-Portal aus dem Südwesten.

Am Mittwoch, 15. April, findet die große Podiumsdiskussion mit Christa Markl-Vieto und dem Staatssekretär Andreas Gaebler (SPD) im Audimax der FU Berlin statt, ab 19 Uhr im Henry-Ford-Bau statt. Zuvor demonstrieren die Mitglieder der Bürgerinitiative "Berliner Schnauze".

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