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Nicki Pawlow ist Buchautorin und Vortragsrednerin. Von Gesprächen lässt sie sich für ihre Bücher inspirieren

© Anett Kirchner

Nicki Pawlow, Schriftstellerin: Das Leben - eine Erzählung

Vormittags Autorin, nachmittags Mutter, und vier Mal im Jahr Gastgeberin eines Künstlersalons in Berlin-Zehlendorf: Nicki Pawlow hat viel erlebt in ihrem Leben - und genau deshalb sind die Geschichten, die sie erzählt, so spannend.

Es ist noch eine von diesen Klingeln, die richtig schellen; mit grellem, hohem Ton. Und sie wird häufig genutzt. Nachbarn, Briefträger, Kinder, Freunde stehen vor der Tür oder wie in diesem Fall eine Reporterin vom Zehlendorf Blog. Nicki Pawlow bittet herein. „Kaffee oder Tee“, fragt sie und ist schon auf dem Weg in die Küche. Die Zehlendorfer Schriftstellerin wohnt mit ihrer Familie unweit des Quermatenweges in einer für diese Gegend typischen Doppelhaushälfte aus den 1930er Jahren. Der Grunewald liegt quasi vor der Haustür, es sind fünf Gehminuten zur Krummen Lanke.

Nicki Pawlow mag diese Gegend, die Natur, die Seen, aber am meisten die Menschen, denn sie ist gesellig, lädt gern ein, hört gern zu und lässt sich auch von Gesprächen inspirieren. "Im Sommer, wenn es warm ist, spielen die Kinder hier barfuß auf der Straße, die Erwachsenen trinken eine Tasse Kaffee oder ein Glas Wein“, beschreibt sie. Es sei herrlich, wie in südlichen Ländern. Man kenne sich gut, nicht jeden, aber die meisten. Dann schellt es wieder draußen an der Haustür. Nicki Pawlow geht kurz hin. Es sind die Zeugen Jehovas. Sie erklärt, dass sie kein Interesse hat.

Eine Lesung im eigenen Wohnzimmer

Mit der Teekanne und Tassen kommt sie zurück, setzt sich an den Esstisch im Wohnzimmer, hinter ihr ein gut gefülltes Bücherregal mit zeitgenössischen Romanen und Werken der Weltliteratur. Sie schenkt ein. Zum Tee gibt es Zucker und Milch. An dem langen, massiven Holztisch wirken zwei Personen fast ein wenig verloren. Hier ist viel Platz, für ihre drei Kinder, ihren Mann und Gäste, vor allem dann, wenn sie wieder einmal zu ihrem Künstlersalon einlädt.

2006 hatte Nicki Pawlow zum ersten Mal die Idee dazu. Eine Freundin veröffentlichte gerade einen Roman, und sie organisierte kurzerhand in ihrem Wohnzimmer eine Lesung. „Ich lud Nachbarn und Freunde ein, es war großartig, auch das Buffet“, schwärmt sie noch heute. Jeder hatte etwas zum Essen beigesteuert, sogar Stühle brachten die Nachbarn mit. „Sie freuen sich, dass wir in unserer kleinen Straße ein eigenes Kulturangebot haben“, erklärt sie. Und seither findet hier vier Mal im Jahr der Künstlersalon statt. Meist mit literarischen Lesungen, es gab aber auch schon Theaterabende, ein Synchronsprecher – der übrigens Daniel Craig seine Stimme leiht - erzählte von seiner Arbeit und eine Professorin für Politikwissenschaft hielt einen Vortrag.

Nicki Pawlow fühlt sich in Zehlendorf sichtlich zu Hause. Heimat ist es für sie allerdings nicht, denn damit verbindet die 50-Jährige eher Verlust und Schmerz. Sie nimmt einen großen Schluck von dem Tee, wird dann ernst und schaut ins Leere. Ihre Kindheit war nicht einfach. Sie wurde in Köthen in Sachsen-Anhalt als Tochter eines bulgarischen Vaters und einer deutschen Mutter geboren. Aufgewachsen ist sie jedoch in Nordhausen in Thüringen. Das Verhältnis zum Vater war schwierig. Er war ein starker und zugleich schwacher Mann mit zwei Gesichtern. Was ihm als Psychiater gelang, nämlich das seelische Leid anderer zu lindern, dem war er selbst offensichtlich hilflos ausgeliefert, erzählt sie. Er litt an Depressionen, trank, bekam Probleme mit dem DDR-System, man wollte ihm den Doktortitel aberkennen, weil er „Ausländer“ war, und auch die Ehe der Eltern drohte zu zerbrechen.

"Heute verliere ich mich nicht im innerlichen Kampf"

Weil die Familie keinen Ausweg sah, entschied sie sich zur Flucht in den Westen. Nur mit ein paar Koffern und ihrem Wartburg. Die Eltern tarnten es zunächst als Reise nach Bulgarien, wo sie jeden Sommer die Ferien bei der Familie des Vaters verbrachten. „Erst in Ungarn sagten sie mir, dass sie flüchten wollten“, erzählt Nicki Pawlow. Sie war 13, gerade zum ersten Mal verliebt. Das Erlebte, vor allem aber die Beziehung zum Vater hat Nicki Pawlow in einem Roman verarbeitet. Das autobiografisch inspirierte Buch „Der bulgarische Arzt“ ist im Langen Müller Verlag erschienen.

Im Roman "Der bulgarische Arzt" verarbeitet Nicki Pawlow Kindheitserinnerungen
Im Roman "Der bulgarische Arzt" verarbeitet Nicki Pawlow Kindheitserinnerungen

© Promo

Mit dieser Geschichte wollte sie sich ihrer Vergangenheit stellen, wie sie es nennt. Das Leben sei wie ein Rucksack, den man aufgesetzt bekommt. Jeder habe es in der Hand, ihn abzunehmen, aufzumachen und hineinzuschauen. Ihr hat es geholfen. Sie musste es aufschreiben. „Heute kann ich die Dinge annehmen und verliere mich nicht ständig in einem innerlichen Kampf“, verrät sie. Vor der Wende habe sie sich immer als „Ostdeutsche“ bezeichnet, nach der Wende als Gesamtdeutsche und heute sei sie nur noch Mensch. Ihr Vater ist inzwischen verstorben. Vor seinem Tod hätte sie das Buch so nicht schreiben können.

Ihr Abitur machte Nicki Pawlow 1983 in Rottweil in Baden-Württemberg. Schon damals schrieb sie ihre Sorgen und Gedanken nieder, in Tagebüchern. Vieles verdrängte sie jedoch, wurde krank, bekam eine Essstörung. Mit 19 Jahren verließ sie das Elternhaus, ging nach München und studierte Politikwissenschaften, Slawische Philologie und Neuere Geschichte. Später, nach dem Mauerfall, zog es sie in die Hauptstadt. Nicki Pawlow arbeitete als Pressesprecherin in der Politik, als Zeitungsreporterin und war Geschäftsführerin einer Film- und Fernsehproduktionsfirma. Zuerst wohnte sie mitten in Charlottenburg, dann kam das erste Kind. Sie und ihr Mann entschieden sich für Zehlendorf.

"In meiner Fantasie hatte ich drei Brüder"

Jetzt klingelt es wieder, diesmal nicht an der Tür, sondern das Handy. Es ist einer ihrer Söhne. Nicki Pawlow hat zwei davon und eine Tochter. Er will einen Schulfreund mit nach Hause bringen. „Ja okay, bis gleich!“ Sie legt auf. Es ist kurz nach Mittag. Langsam beginnt ihre Familienphase. „Jeweils vormittags bin ich Schriftstellerin und ziehe mich in mein kleines Arbeitszimmer ins Obergeschoss zurück, nachmittags bin ich Mutter“, sagt sie und ihre Augen bekommen diesen Ausdruck von Stolz.

Sie wollte unbedingt viele Kinder bekommen, Minimum drei, weil sie selbst keine Geschwister hat, darunter litt und sich als Kind einsam fühlte. „In meiner Fantasie hatte ich drei Brüder“, erinnert sie sich. Und dann plötzlich läutet es wieder draußen an der Tür, unverkennbar, der grelle, hohe Ton. Zwei Jungen kommen herein gestürmt, Schultaschen auf den Rücken. „Hände waschen“, mahnt Nicki Pawlow. „Ich koche gleich.“ Jetzt ist sie ganz Mutter.

Vier neue Erzählungen von Nicki Pawlow sind soeben im Leipziger Verlag XPUB erschienen.

Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt als lokale Reporterin regelmäßig für den Zehlendorf Blog des Tagesspiegels. Folgen Sie Anett Kirchner auch auf Twitter.

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