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Ute Finckh-Krämer, SPD, ist Mitglied des Bundestag und seit ihrer Schulzeit friedenspolitisch aktiv

© Carsten Schwäbe

Ute Finckh-Krämer, MdB über Ansprüche, Bürgerwille und Interessengruppen: Der tägliche Versuch eines Ausgleichs

Ute Finckh-Krämer (SPD) ist Mitglied des Bundestages und hat ihren Wahlkreis in Steglitz. In ihrem Betrag für den Tagesspiegel-Zehlendorf schreibt sie, wie ihr Arbeitsalltag aussieht - und warum sie ein Einwanderungsgesetz für überfällig hält.

Wer ehrenamtlich oder hauptamtlich ein politisches Amt übernimmt, wird schnell mit Wünschen, Bitten und Forderungen von Bürgerinnen und Bürgern eingedeckt. Das gilt ganz besonders für einen Bezirk wie Steglitz-Zehlendorf, dessen Bewohnerinnen und Bewohner politisch überdurchschnittlich interessiert sind, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass unser Bundestagswahlkreis bei den letzten Bundestagswahlen die bundesweit höchste Wahlbeteiligung aufwies. Nun sind wir – anders, als manchmal außerhalb des Bezirks vermutet wird – kein homogenes Villenviertel mit einheitlicher, überwiegend etwas älterer, bürgerlich-akademischer Bevölkerung. Wir haben zahlreiche unterschiedliche Kieze, manche sind durch Genossenschaftswohnungen geprägt, andere durch Großbauten des sozialen Wohnungsbaus. In manchen Gegenden des Bezirks hört man Russisch, Arabisch, Türkisch und weitere Fremdsprachen auf der Straße – in anderen fast nur deutsch. Eine große Vielfalt der Bevölkerung und eine hohe Bereitschaft, sich politisch einzubringen – das bedeutet oft kontroverse Positionen und manchmal völlig unvereinbare Forderungen an Abgeordnete, Bezirksverordnete oder das Bezirksamt.

Für mich als Bundestagsabgeordnete zeigt sich das aktuell vor allem beim Thema Flüchtlinge. Steglitz-Zehlendorf hat eines der größten Willkommensbündnisse in der ganzen Bundesrepublik, geschätzte 4.000 Menschen engagieren sich ehrenamtlich in diesem Bereich. Sie reagieren mit Unverständnis und Protest, wenn der Bundestag ein Gesetzespaket mit Änderungen des Asyl- und Ausländerrechtes nach dem anderen verabschiedet.

Gerne auch mal gegensätzlicher Position und anderer Meinung: In Zehlendorfern gibt es eine hohe Bereitschaft, sich politisch zu engagieren
Gerne auch mal gegensätzlicher Position und anderer Meinung: In Zehlendorfern gibt es eine hohe Bereitschaft, sich politisch zu engagieren

© Thilo Rückeis

Andere sehen mit Unbehagen oder Unverständnis, dass in schnellem Tempo im Bezirk neue Not- oder Gemeinschaftsunterkünfte entstehen mit Bewohnerinnen und Bewohnern, die (noch) kein Deutsch und oft auch kein Englisch oder Französisch verstehen, die fremd aussehen und jetzt plötzlich ihre unmittelbaren Nachbarn sind. Sie haben Angst, dass weitere Sporthallen zu Notunterkünften werden, dass Schulen durch die zusätzlichen, zunächst besonders betreuungsbedürftigen Schülerinnen und Schüler überfordert sind, dass die Mieten so steigen, dass sie aus ihrem vertrauten Kiez verdrängt werden. Sie fragen kritisch nach, warum so wenig Geld für die überfällige Sanierung von Schulen oder Straßen oder den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung steht und so viel für die Unterbringung von Flüchtlingen. Sie verlangen, dass der Zuzug von weiteren Flüchtlingen beendet wird, egal wie, und dass ein Teil derer, die schon da sind, möglichst bald wieder weggeht, egal wohin.

Und bei manchen Zuschriften oder Gesprächen stellt sich heraus, dass die Absender etwas falsch verstanden haben, etwa meinen, dass alle 2015 in Deutschland angekommenen Flüchtlinge Moslems oder fast alle alleinstehende junge Männer sind, dass die meisten ohne Ausbildung oder verwertbare berufliche Erfahrung kommen, dass Flüchtlinge höhere Geld- oder Sachleistungen erhalten als schon länger hier lebende Hartz-IV- oder Sozialhilfeempfänger und dass niemand in sein Herkunftsland zurückkehren will oder muss.

Turnhalle in Dahlem: Viele Bürger fragen bei unserer Autorin kritisch nach, haben Angst, dass weitere Sporthallen zu Notunterkünften werden
Turnhalle in Dahlem: Viele Bürger fragen bei unserer Autorin kritisch nach, haben Angst, dass weitere Sporthallen zu Notunterkünften werden

© Thilo Rückeis

Was mache ich als Bundestagsabgeordnete in einer solchen Situation? Zunächst einmal vieles erklären – dort, wo Fakten falsch verstanden wurden, z.B. statistische Daten oder rechtliche Grundlagen. Außerdem erkläre ich, welche Forderungen nicht ohne Verletzung völkerrechtlicher Verträge umgesetzt werden könnten und welche Folgen – erwünschte und unerwünschte – es hätte, wenn bestimmte Vorschläge umgesetzt würden. Oft weise ich auch auf Fluchtursachen hin und die Möglichkeiten, diese mittelfristig zu reduzieren. Meistens kommt dann ein Punkt, wo meine eigene Einschätzung der Situation gefragt ist.

Welche Chancen hat der mühsame Prozess zu einer Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien? Wollen alle jungen Männer, die aus westafrikanischen Staaten nach Deutschland kommen, auf Dauer hier bleiben, oder haben wir es zumindest teilweise mit „zirkulärer Migration“ von Menschen zu tun, die sich hier die Grundlage für eine Existenzgründung im Heimatland erarbeiten wollen? Könnte ein Einwanderungsgesetz die Zahl derer, die Asyl beantragen, eigentlich aber „nur“ eine Chance auf ein besseres Leben suchen, reduzieren? Führen Bevölkerungszuwachs und klimatische Veränderungen in den Maghrebstaaten unweigerlich zu einer stetig ansteigenden Zahl von Migranten, die sich in Richtung Europa aufmachen? Ist der Islam eine strukturell frauenfeindliche und gewaltbereite Religion? Könnte Deutschland zusätzlich zu den hier schon Angekommenen eine weitere Million Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittleren Osten verkraften? Sind Berliner Behörden und Bundesämter bereit und in der Lage, Verwaltungsvorgänge so zu optimieren, dass über Asylanträge zeitnah entschieden und die Ausreise derer, die kein Asyl erhalten (können) zeitnah veranlasst werden kann? Welche Folgen hat es für die EU, wenn sie die Türkei zu ihrem Grenzwächter zu machen versucht? Können und dürfen wir darüber diskutieren, ob Menschen, die als Flüchtlinge hierher kommen, die Probleme unserer älter werdenden und ohne Zuwanderung absehbar schrumpfenden Gesellschaft abmildern oder lösen?

Viel Hilfsbereitschaft: In Steglitz-Zehlendorf engagieren sich geschätzte 4.000 Menschen ehrenamtlich für Flüchtlinge
Viel Hilfsbereitschaft: In Steglitz-Zehlendorf engagieren sich geschätzte 4.000 Menschen ehrenamtlich für Flüchtlinge

© Thilo Rückeis

Allmählich haben sich für mich dann klare Positionen herausgebildet: Ängsten, die durch irreführende Zeitungsschlagzeilen à la „Senat und Bezirk streiten über Wohncontainer in Parks“ oder durch Fehlinformationen in Sozialen Medien geschürt werden, lässt sich am besten durch ruhige, sachliche Aufklärung begegnen.

Das Thema Flüchtlinge wird viel zu oft zur politischen Profilierung missbraucht. „Sind Sie für oder gegen Flüchtlinge?“ ist eine Frage, die genauso zynisch ist wie „sind Sie für oder gegen Menschen?“. Als Politikerin kann ich darauf hinarbeiten, dass die richtigen Fragen diskutiert werden, z.B. „Wie, von wem und wo kann den Menschen geholfen werden, die vor Krieg und Bürgerkrieg fliehen?“

Ich halte es für notwendig und überfällig, durch ein Einwanderungsgesetz den Andrang derer, die „nur“ auf der Suche nach einem Arbeitsplatz sind, zu strukturieren und damit die Debatte über den zukünftigen Arbeitskräftebedarf in Deutschland zu verbinden. In einem Einwanderungsgesetz kann und soll klar formuliert werden, was jemand braucht, der sich in Deutschland ein gutes Leben aufbauen will: gute deutsche Sprachkenntnisse, hier benötigte bzw. verwendbare Kenntnisse und Fähigkeiten, die Bereitschaft, gesetzliche Regeln und im Grundgesetz verankerte Werte einzuhalten bzw. zu respektieren.

Wer – egal mit welchem Aufenthaltsstatus – seit Jahren oder gar Jahrzehnten hier lebt und sich sprachlich und in Schule oder Beruf gut zurechtfindet, sollte ein Bleiberecht erhalten anstatt abgeschoben zu werden, um – koste es menschlich, was es wolle – die Zahl der erfolgten Abschiebungen hochzutreiben.

Auch alteingesessene Deutsche sind nicht alle gesetzestreu

Pauschalurteile über eine Religion, ein Herkunftsland, gar einen ganzen Kontinent haben in politischen Debatten nichts zu suchen. Wenn – wie zahlreiche Untersuchungen bewiesen haben – die meisten Menschen muslimischen Glaubens oder muslimischer Abstammung, die schon länger in Deutschland leben, unsere Gesetze einhalten und die im Grundgesetz verankerten Werte respektieren, dann können wir das den aktuell ankommenden Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan auch zutrauen. Und uns klar machen, dass es in keinem Land nur gesetzestreue Menschen gibt. Auch unter alt eingesessenen Deutschen nicht.

Wenn die Türkei über zwei Millionen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge aufnehmen kann, müsste das Deutschland auch können. Viele der Menschen, die aktuell auf der Balkanroute oder in der Türkei festhängen und nach Deutschland wollen, sind Ehepartner oder Kinder von Menschen, die schon in Deutschland gelandet sind. Ihnen im Rahmen der vereinbarten Kontingente einen Weg nach Deutschland ohne Schleuser und ohne Lebensgefahr zu eröffnen ist nicht nur menschenrechtlich geboten – es erleichtert auch die Integration derer, die schon hier sind. Die in London vereinbarten Hilfen für die Nachbarländer Syriens können parallel dazu denjenigen, die als Familie in der Region geblieben sind, eine Perspektive bieten, dort zu bleiben.

Die Bezeichnung sicheres Herkunftsland ist kein "menschenrechtliches Gütesiegel"

Länder, in denen es mit der Umsetzung der wichtigsten Menschenrechtsabkommen nach wie vor hapert, dürfen nicht formell oder de facto zu sicheren Herkunftsländern oder sicheren Drittstaaten erklärt werden. Die Asylverfahren werden durch diesen Status nur wenig beschleunigt, es ist aber zu befürchten, dass die dort Regierenden den Status als sicheres Herkunfts- oder Drittland propagandistisch als menschenrechtliches Gütesiegel ausschlachten und keine Anstrengungen mehr unternehmen werden, die Abkommen umzusetzen.

Über diese Einschätzungen und die politischen Konsequenzen, die ich daraus in öffentlichen Äußerungen oder bei Abstimmungen im deutschen Bundestag ziehe, können und müssen sich die Bürgerinnen und Bürger dann ein Bild von mir als Politikerin machen. Und sie können mit mir darüber diskutieren – auf Veranstaltungen, in meiner Sprechstunde oder in diesem Blog.

Der Text erscheint auf dem Tagesspiegel-Zehlendorf, dem digitalen Stadtteil- und Debattenportal aus dem Südwesten. Der Blog steht als Diskussionsforum allen Parteien zur Verfügung. Folgen Sie der Redaktion Zehlendorf gerne auch auf Twitter.

Ute Finckh-Krämer

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