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Bücher im Regal

© Brakemeier/dpa

Büchereien in Berlin: Bibliotheksausweis soll gratis werden

Die Ausleihe in Berliner Bibliotheken soll im kommenden Jahr nichts kosten – um die Hemmschwelle zu senken. Acht neue Projekte sollen Büchereien digitaler machen.

„Ich habe mir das Paradies immer als eine Art Bibliothek vorgestellt“, schrieb der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges in seinem Buch „Die letzte Reise des Odysseus“. Wenn er damit recht hat, ist das Paradies bald für alle Berliner ein Jahr lang gratis. Die Ausstellung des Bibliotheksausweises wird, auch für Erwachsene ab 18 Jahren, im nächsten Jahr kostenfrei sein. Bisher kostete der Ausweis zehn Euro – beziehungsweise fünf Euro für Studenten oder Auszubildende. Für Empfänger von Sozialleistungen sowie für Schüler mit Schulausweis war der Ausweis schon vorher entgeltfrei.

Gebühren werden erhöht

Die neue Regelung soll im Frühjahr 2016 in Kraft treten. Dann kann ganz hemmungslos ausgeliehen werden, in einer der Stadtbibliotheken Berlins und auch in der Zentral- und Landesbibliothek. Gleichzeitig werden die Säumnisentgelte, also Gebühren, die anfallen, wenn Medien zu spät zurückgegeben werden, bei Erwachsenen von 25 Cent auf 50 Cent pro Tag und Medium erhöht. Damit sei der kostenlose Ausweis finanzierbar, „auch ohne ein großes Loch in den Haushalt zu reißen”, sagt Jörg Arndt Sprecher des Landesverbands Berlin im Deutschen Bibliotheksverband. Im Jahr 2015 wurden 1,79 Millionen Euro solcher Säumnisentgelte von den Stadtbibliotheken der Bezirke und der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) eingenommen. Wie es nach dem ersten Jahr weitergeht, ist noch nicht klar.

Meiste Bibliotheken in Mitte

Mit dem Pilotprojekt des Gratis-Ausweises soll vor allem jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund, sogenannten bildungsfernen Jugendlichen, und geflüchteten Menschen die Benutzung von Bibliotheken und damit der Zugang zu Informationen erleichtert werden. Denn auch wenn die Bibliothek in Zeiten von iPhones und Tablets seltsam aus der Zeit gefallen scheint, ist sie noch immer populär. Eine repräsentative Umfrage der ZLB im Jahr 2014 ergab, dass fast 90 Prozent derer, die Bibliotheken gar nicht nutzten, diese dennoch als wichtige öffentliche Räume empfanden. Fast 21 Millionen Medien wurden laut Statistischem Jahrbuch in den rund 80 Berliner Bibliotheken 2014 ausgeliehen. Das sind rund sieben Entleihen pro Einwohner. Die meisten Bibliotheken gibt es in Mitte, die wenigsten in Neukölln.

Die Bibliothek als moderner Dorfplatz

„Die Bibliothek wird immer mehr zu einem sozialen Ort“, sagt Benita Hanke, Leiterin des Fachbereichs Bibliotheken in Marzahn-Hellersdorf. Die Besucher kommen nicht nur, um etwas auszuleihen und dann wieder zu gehen, sie sitzen zusammen, lernen, plaudern, arbeiten. Die Bibliothek sei eine Art moderner Dorfplatz, sagt Hanke. „Die Leute wollen nicht nur einsam zu Hause an ihrem Computer sitzen“, sagt sie. In der Bibliothek sei man zwar für sich, aber nie allein. Soziale Veränderungen in den Bezirken sind aber auch eine Herausforderung. In der Stadtteilbibliothek Kaulsdorf-Nord, auch Teil von Hankes Bezirk, gibt es ab 2016 deshalb ein neues Projekt rund um Sprache und Integration. Ziel ist es, Kindern aus Familien in sozialen Brennpunkten dabei zu helfen, ihre Lese- und Schreibfähigkeiten zu verbessern. Auch Flüchtlinge sollen dabei unterstützt werden, die deutsche Sprache zu lernen. Die Bibliothek wird Hausaufgabenbetreuung und Sprachkurse anbieten, zweisprachige Bücher und Lernmittel sollen angeschafft werden, 75 000 Euro stehen dafür zur Verfügung. „Wir versuchen uns noch besser mit anderen Akteuren im Bezirk zu vernetzen“, sagt Hanke.

Integration und Sprachförderung

Zum Beispiel mit Grundschulen, Wohnungsunternehmen und Stadtteilzentren. Das Vorhaben ist eines von acht Projekten, die von der Berliner Kulturverwaltung unter anderem mit Mitteln aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) mit rund einer Million Euro gefördert werden. „Die Vorhaben finden in Quartieren mit sozial-wirtschaftlicher Problemlage statt, die sich in der Regel durch einen erhöhten Anteil von Migranten an der Wohnbevölkerung und durch deutlich erhöhte Arbeitslosigkeits- und Armutsraten auszeichnen“, sagt Reiner Schmock-Bathe aus der Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten.

Digitaler "Makerspacer" in Wedding

Doch es geht nicht nur um Integration, sondern auch um die Frage, was eine moderne Bibliothek ausmacht. In Wedding, zwischen Automatencasinos und Karstadt, wird es 2016 digital: Für 50 000 Euro plant dort der Bezirk Mitte die Einrichtung eines „Makerspace“ in der neuen Schiller-Bibliothek am Leopoldplatz. Klingt abstrakt, heißt aber: Hier wird es Besuchern bald möglich sein, 3-D-Drucker zu nutzen, Digitalfotografie auszuprobieren, digital Musik zu komponieren oder im Bewerbungsstudio mit Videodokumentation für das nächste Bewerbungsgespräch zu üben. Bereits jetzt gibt es kostenfreien W-Lan-Zugang, Leseecken an den Panoramafenstern, jede Menge E-Books und Spielekonsolen auf der Jugend-Medien-Etage. „Wir wollen die Öffnung hin zu digitalen Angeboten in allen Bibliotheken“, sagt Verbandssprecher Jörg Arndt. Online-Ausleihe von E-Books und eine Bibliotheksapp des Verbunds der Öffentlichen Bibliotheken Berlins gibt es bereits. Das Paradies ist nicht nur gratis, es kommt auch bis auf das eigene Sofa.

Pascale Müller

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