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Schlangenbildung vor den beliebten Museen (hier Pergamonmuseum) gehört gerade bei Sonderausstellungen zum Alltag.

© picture alliance / dpa

Bildband zu Berliner Ausstellungshallen: 227 Museen - und ein einziges Buch

Ein neues, dickes Buch präsentiert alle Berliner Museen – auch die, die es längst nicht mehr gibt. 227 Häuser haben zwei Kunsthistoriker gezählt und dabei Erstaunliches entdeckt.

Die unglaublichste Geschichte aller je in Berlin gegründeten, ansässigen und vielfach auch wieder verschwundenen Museen hat wohl das „Tell Halaf-Museum“ aufzuweisen. Hervorgegangen aus einer privaten Ausgrabungskampagne des Bank-Erben Max von Oppenheim im heutigen Syrien, wurde das Museum 1930 als private Einrichtung ins Leben gerufen. Es zeigte die Überreste eines 3000 Jahre alten Herrscherpalastes. Gleich beim ersten großen Fliegerangriff auf Berlin 1943 wurde das Museum in einer früheren Fabrikhalle zerbombt, seine unschätzbar wertvollen Steinskulpturen in kleinste Teile zersprengt.

27.000 waren es, wie sich bei der mühsamen Bergung nach dem Krieg ergab; unmöglich, sie wieder zu flicken. Doch das gelang Anfang des 21. Jahrhunderts mit Hilfe neuester Technologien, und die Ausstellung der zusammengesetzten Skulpturen lockte 2011 mehr als 700.000 Besucher ins gastgebende PergamonMuseum, dem die Skulpturen von ihrem Erforscher einst zugedacht worden waren.

Diese Geschichte, so märchenhaft schon an sich, bekommt einen zusätzlichen Akzent durch das derzeitige Schicksal Syriens. Infolge des Bürgerkriegs sind alle antiken Funde schutzlos der Plünderung ausgesetzt, und wie viel von Tell Halaf noch vorhanden wäre, hätte Max von Oppenheim die Ruinen nicht entdeckt, lässt sich nur mutmaßen. Aber auch die vermeintliche Rettung durch die Archäologie endete, wie geschildert, in beinahe vollständiger Zerstörung – dann aber in einer neuerlichen Rettung, wie sie für die zahllosen Raubgrabungen unserer Tage nie zu erhoffen sein wird.

Museen sind auf Ewigkeit angelegt

Gewiss, die Geschichte der Berliner Museen verlief nicht immerzu so dramatisch wie im Fall Tell Halaf. Aber eben auch nicht so gleichförmig, wie es der Begriff „Museum“ nahelegt. Museen sind ihrem Selbstverständnis nach auf Ewigkeit angelegt. Sie beherbergen Objekte, die ihre Besucher „erfreuen und belehren“ sollen und zugleich als kulturelles Erbe für künftige Generationen bewahrt werden.

Die Formel vom „Erfreuen und Belehren“ stammt aus der Anfangszeit des öffentlichen Museums in Berlin. 1830 wurde das erste derartige Haus eröffnet, unter dem schlichten Namen „Museum“, weil es ja kein zweites gab. Später wurde daraus das „Alte Museum“, weil ab 1855 ein weiterer Bau zur Verfügung stand, eben das „Neue Museum“. Schinkel war der Architekt des ersten, sein Schüler Stüler der des zweiten Gebäudes.

Aus diesen, freilich überaus glanzvollen Anfängen mit den beiden großartigen Museumsbauten entwickelte sich das Berliner Museumswesen. Wie viele es heute gibt, ist mehr eine Frage der Definition. 227 Museen, die es in Berlin gab und großenteils auch weiterhin gibt, haben die beiden Kunsthistoriker Katrin und Hans Georg Hiller von Gaertringen in mehrjähriger Recherche ausgemacht. Das ist aber gerade das Spannende an ihrem 470 Seiten dicken Buch: dass es, wie sein Titel besagt, „Eine Geschichte der Berliner Museen in 227 Häusern“ darstellt. Etwas, das bislang gefehlt hat. Denn ungeachtet zahlloser Bücher über einzelne Berliner Museen fehlte bislang eine wirklich umfassende Darstellung der Berliner Museumsgeschichte.

227 Museen gebündelt

Aber, und das ist der zweite und eigentliche Clou des soeben im Deutschen Kunstverlag – natürlich Berlin! – erschienenen Buches: Hier wird keine lineare Geschichte erzählt. Alle 227 Häuser, die der Titel verspricht, werden einzeln dargestellt, gerade so wie in einem herkömmlichen Museumsführer. Doch zugleich sind die betreffenden Häuser so gebündelt und zu Kapiteln zusammengefasst, dass sich zuallererst zwar die Geschichte, zugleich aber auch die Typologie und Geografie der Berliner Museumslandschaft herausschält.

Die Museumsgründungen folgen, in Berlin weit mehr als irgendwo sonst, der politischen Geschichte. Das klingt zunächst banal – ist es aber nicht, denn darin stecken die Besonderheit und auch das Dilemma der großen Berliner Museen. Stets waren sie auch als politische Aussagen gemeint und wurden so wahrgenommen. In der ersten Gründungsphase im Preußen der nach-napoleonischen Zeit sollten sie das soeben erwachte Nationalgefühl stärken und zugleich den Bildungsanspruch des preußischen Staates bezeugen.

Im wilhelminischen Kaiserreich sollten die großen archäologischen Museen, die heutzutage auf der Museumsinsel Millionenmassen anziehen, den imperialen Rang des Reiches dokumentieren. Die Weimarer Republik öffnete sich mit der Neuen Abteilung der Nationalgalerie im Kronprinzenpalais ab 1919 ganz entschieden der künstlerischen Moderne und sah in dem (privaten) Antikriegsmuseum ab 1925 die Konfrontation mit dem verdrängten Erbe des Weltkriegs. Dass das Nazi-Regime Gigantisches vorhatte, ist weniger bekannt, es blieb allerdings auch unausgeführt. Und nach dem Zweiten Weltkrieg und der Teilung Deutschlands galt es, die beiden Teile Berlins als „Schaufenster“ des jeweiligen Gesellschaftssystems auszustaffieren.

Seit 1990 vor allem historische Museen entstanden

Die Zeit der Teilung, deren Überwindung im Winter 1989/90 gerade gefeiert wurde, ist dem guten Drittel jener Berliner, die erst danach an die Spree gezogen sind, nicht gewärtig. Dabei erlebten jene Jahrzehnte in West-Berlin die größten Anstrengungen seit der Kaiserzeit: Die Museen in Dahlem wurden gebaut (und millionenfach besucht, was heute meist vergessen wird), das Kulturforum, dieser ewige Problemfall, wurde in Angriff genommen, die Neue Nationalgalerie als weltweit gerühmtes Meisterwerk geschaffen.

„Drüben“ bemühte sich die DDR, angesichts ihrer bescheidenen Möglichkeiten durchaus respektabel, um die Museumsinsel. Nicht ganz korrekt ist insofern das Urteil der beiden Buchautoren, die Museumsinsel habe sich, „was die Aufmerksamkeit des Staats anbelangt, doch am Rand“ befunden. Wäre das Kapitel „Gegenwart“ hinsichtlich der Museumsinsel etwas umfangreicher ausgefallen, hätten die enormen Summen genannt werden müssen, die die Sanierung „der Insel“ verschlingt. Die bringt selbst das vereinte Deutschland nur mit Mühe auf.

Die Gegenwart, und damit meint das Buch die Zeit seit 1990, brachte vor allem historische Museen hervor – wie auch Gedenkstätten, die nach der Eingangsdefinition der Verfasser den Bereich der „eigentlichen“ Museen als Häuser für Objektsammlungen überschreiten. Topographie des Terrors, Stasi-Museum Lichtenberg, Haus der Wannseekonferenz, Alliiertenmuseum, vor allem aber das Jüdische Museum in Kreuzberg und zeitgleich das ins Zeughaus übersiedelte und dort eigentlich erst richtig begründete Deutsche Historische Museum – das sind Marksteine auf dem Weg der Geschichtserinnerung und -bewahrung, den Berlin in den 1990er Jahren beschritt. Und zu beschreiten hatte – als neuerliche Hauptstadt nicht mehr nur für sich selbst wie bei der beiderseits der Mauer mit verbissenem Ehrgeiz begangenen „750-Jahr-Feier“ von 1987, sondern für ganz Deutschland.

Kiezkultur in den Museen

Berlin ist aber auch das Gegenteil von Hauptstadt, nämlich Kiez, und das in jedem Stadtbezirk. Auch das spiegeln die Museen. So viele Heimat- und auch „Nischenmuseen“, wie das Buch sie nennt, gibt es in keiner anderen Stadt. Denn auch die „Nischen“ sind an konkrete Stadtteile gebunden, zumal zu DDR-Zeiten mit dem „Gründerzeitmuseum“ von 1960 oder dem „Friseur- und Handwerksmuseum“, das lange nach der Wende schließlich im großen Ensemble der Stiftung Stadtmuseum aufging – die selbst aus den beiden Vorgängern des Märkischen Museums im Ostteil der Stadt und des 1965 gegründeten Berlin-Museums im Westen geschaffen wurde.

Apropos Berlin-Museum: Es verschwand ganz ungeplant von der Bildfläche. Im Buch wird in nüchternen Worten geschildert, wie in den neunziger Jahren der Konflikt um ein eigenständiges Jüdisches Museum eskalierte und der Berliner Lokalpolitik völlig entglitt. Die internationale Resonanz auf die Idee eines Jüdischen Museums inmitten der Hauptstadt des Nazi-Reiches war viel, viel stärker.

Buch beweist das Museen nicht langweilig sind

Und so wurde der Libeskind-Bau nicht, wie vom Berliner Senat in typisch lokalpolitischer Pfiffigkeit gedacht, als Annex des barocken Gebäudes des Berlin-Museums errichtet, sondern umgekehrt: Das Barockgebäude mutierte zum Foyer des eigenständigen Jüdischen Museums, dem der emigrierte Berliner Michael Blumenthal seine weltweite Strahlkraft verlieh.

Tell-Halaf-Museum und Libeskind-Bau, das sind zwei ganz eigentümliche Eckpfeiler der Berliner Museumsgeschichte. Zwei eigene Geschichten, zwei Schicksale auch. Museen, für die Ewigkeit gedacht, sind zugleich lebendige Zeugnisse ihrer eigenen Entstehungszeit. Museen sind langweilig? Das vorliegende Buch, Mischung aus Erzählung und Lexikon, beweist Seite für Seite das Gegenteil.

Katrin Hiller von Gaertringen, Hans Georg Hiller von Gaertingen: Eine Geschichte der Berliner Museen in 227 Häusern. Deutscher Kunstverlag, Berlin 2014. 472 Seiten, Großformat, 39,90 €.

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