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Berlin: Bilder einer Großstadt

Berlin ist so neu und so schön und so hektisch, dass man gar keine Zeit hat, es richtig zu betrachten. Richtige Berliner erkennt man unter anderem daran, dass sie immer eilig durch die Gegend hasten.

Berlin ist so neu und so schön und so hektisch, dass man gar keine Zeit hat, es richtig zu betrachten. Richtige Berliner erkennt man unter anderem daran, dass sie immer eilig duch die Gegend hasten. Das hat sich seit Tucholskys Zeiten nicht gebessert. Umso wichtiger, ein Stück neues Berlin dort auf sich wirken zu lassen, wo man sich notgedrungen immer mal wieder auch länger aufhalten muss: zu Hause oder im Büro. Die Aufnahmen von Rainer Gaertner zeigen die Stadt aus ihren schönsten Blickwinkeln, seine Kamera findet Details, auch feierlich stimmende, die dem wandernden Auge verborgen bleiben. Liebevoll widmet er sich den Kontrasten von Alt und Neu.

Zusätzlich bietet der Kalender Texte in Deutsch und Englisch zur Beschreibung, was die wachsende internationale Gemeinde sehr zu schätzen wissen wird. Das Bundeskanzleramt, der neue Gebäudestar in der Stadt, durfte aufs Cover, das leicht verschneite Schloss Charlottenburg verbreitet Januar-Stimmung, ein Sarkophag-Detail aus dem Pergamon-Museum leitet im März in den Frühling über; verwirrend wie der Monat April wirkt das Bild vom Sony Center, julibunt gibt sich eine Straße in Prenzlauer Berg, und im September spiegelt sich der Deutsche Dom in den Friedrichstadtpassagen. Ein sehr schönes Foto aus der Synagoge in der Rykestraße ziert im Oktober die jüdischen Feste, und mit der Quadriga klingt das Jahr klassisch aus. Auch für repräsentative Räume bestens geeignet.

Ebenso repräsentativ, im Format wie in der Qualität der Motive, ist der von Florian Profitlich fotografierte, bei Jovis herausgegebene Berlin-Kalender. Anders als Gärtner hat Profitlich sich für Schwarzweiß entschieden, gedruckt wurde im aufwendigen Duoton-Verfahren. Die sonst allgegenwärtige Quadriga fehlt diesmal, schon dies ein kleines Indiz für den besonderen Blick des Fotografen. Nicht, dass er sich auf Abseitiges konzentriert hätte, Bundeskanzleramt und Sony-Center finden sich auch bei ihm. Aber Profitlich versucht doch, dem allseits Bekannten eine neue Seite abzugewinnen, scheint seine Fotografien durch Bildausschnitt und Perspektive gleichsam neu zu komponieren. Manche Aufnahme lässt einen rätseln, um welchen Ort in Berlin es sich wohl handelt, ohne dass aber dem Fotokünstler irgendein Manierismus vorzuwerfen wäre. Und selbst wer tagein, tagaus am Gleisdreieck vorbeifährt, wird an den hintereinander gestaffelten Bildebenen aus Brücken, Rosinenbomber und Technikmuseum ästhetisches Vergnügen finden.

Weniger kunstvoll als historisch kommen dagegen die im Verlag Jürgen Schacht herausgegebenen Kalender daher. Gewiss, es gibt auch wieder Modernes, sogar in Farbe wie die Kalender "Heute in Berlin" oder "Bilder aus der alten Mark Brandenburg", beides ordentlich fotografiert, aber kaum originell. Die Stärke des kleinen Verlages sind die historischen Fotoführer durchs Jahr, mit klassischen Themen wie "Berlin nach 1900", "Die Straße Unter den Linden in historischen Ansichten" oder "Historische Luftbilder". Das klingt ein wenig gefällig und nostalgielastig, aber dem Vorwurf einer Verklärung der Vergangenheit beugt der Verlag vor: "Bilder der Fünfziger Jahre" zeigen eben nicht nur winkende Mannequins bei einer Modenschau, die 1954 anlässlich der Eröffnung der Fluglinie Berlin - Düsseldorf veranstaltet wurde. In einen Kalender über dieses Jahrzehnt gehören für Jürgen Schacht auch die Ereignisse vom 17. Juni 1953 oder der Novemberblick durch den angeholzten Tiergarten aufs Brandenburger Tor.

Auch die Mauer erhält einen eigenen Kalender, samt Karte ihres Verlaufs. Fragt sich nur, wer den "sozialistischen Schutzwall" in wechselnden Motiven ein Jahr lang an die Wand hängen will.

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