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Video: Die Schönen und Leisen

Auf der "Miss Deaf Germany 2012" wurde nach dem schönsten gehörlosen Mädchen Deutschlands gesucht. Gewonnen hat eine 22-jährige Berlinerin. Aber irgendwie auch alle anderen 15 Teilnehmerinnen.

Karolina, Startnummer 16, hat noch eine Frage. Sie rudert aufgeregt mit den Armen, aber keiner sieht sie rufen. Als es die Nummer 15 bemerkt, tippt sie die Nummer 14 an. Alle 16 Kandidatinnen stehen in einer Reihe, das Antippen rauscht bis zur Nummer 1 durch, die zupft am Glitzersakko von Steve – dem Laufstegtrainer der Mädchen. Er hört Karolinas Bewegungen zu, nickt und antwortet ihr mit Handzeichen. Dann zeigt er noch mal die Pose, die Karolina erbeten hatte: Hüfte eindrehen, lächeln, Kinn hoch. Die Mädchen seufzen tonlos.

Es ist die Wahl zur „Miss Deaf Germany“, dem Schönheitswettbewerb für hörgeschädigte Mädchen. Und es ist still im Veranstaltungssaal des andels-Hotels Berlin: Zwei Moderatoren stehen auf der Bühne, aber sie halten keine Mikrofone in der Hand. Sie begrüßen ihr Publikum mit Gebärdensprache. Mit hochgehobenen Armen die Hände schütteln – Applaus, Applaus. Gut 400 Gäste sitzen im Saal, fast alle schütteln jetzt gut sichtbar ihre Hände. Ein paar wenige, die Hörenden, klatschen. Später werden auch sie auf das geräuschlose Schütteln umsteigen.

„Wir wollen Akzeptanz“, sagt Arne Blumeier. Anders als Rollstuhlfahrer oder Blinde seien Gehörlose in der Gesellschaft unsichtbar. „Die Leute wissen oft nicht, was wir alles leisten können – und dass Taubheit keine Behinderung ist, die uns ausschließt“. Er organisiert mit seinem Zwillingsbruder Björn die „Miss Deaf Germany“. Beide sind selbst hörgeschädigt. Unter Berliner Gehörlosen kennt man die Blumeier-Zwillinge als immer gut gelauntes Party-Team. Die 36-Jährigen haben Tattoo-Conventions und Techno-Partys auf die Beine gestellt. Seit letztem Jahr nun kümmern sie sich um den Schönheitswettbewerb.

„Den gab es schon in den 1970ern“, sagt Björn. Aber irgendwann sei er eingeschlafen. Als die Brüder ein „Miss Deaf World“-Finale in Polen besuchten, kam die Idee, auch wieder deutsche Teilnehmer ins Rennen zu schicken. Sie holten sich die Markenrechte und richteten 2011 die erste Miss-Wahl aus. Die Gewinnerin gewann im Anschluss prompt den internationalen Wettbewerb.

Für die Neuauflage gab es fünf Runden: Alle jungen Frauen stellten sich der Jury vor, mussten besondere Talente präsentieren – vom Bauchtanz bis zum Manga-Zeichnen - und liefen auf dem Catwalk sowohl im Bikini als auch im Abendkleid. Die besten sechs Mädchen durften in der Finalrunde noch mal mit Engelsflügeln auf die Bühne – „wie bei Victoria’s Secret“, schwärmt Christine Vonyo.

Christine ist aus München angereist. Die 24-Jährige hat schon einige Model-Erfahrungen. Aber auch Rückschläge: Für ihre Fotos habe sie bei Agenturen zwar schon viele Komplimente erhalten, aber sobald ihre Hörschädigung ins Gespräch kommt, erhält sie Absagen. „Sie sagen dann, ich könne ja keine Aufträge telefonisch entgegennehmen oder die Befehle von Fotografen verstehen“. Dabei kann sie hören. Christine ist unter den Teilnehmerinnen eine der wenigen, die nicht komplett gehörlos sind. Mit Hörgeräten versteht sie ganz gut, was andere so sagen. „Ich bin sozusagen zweisprachig: Ich kann deutsch und Gebärdensprache“. Den Makel als Vorteil zu erkennen, hat gedauert. Es gab in ihrer Jugend Momente, wo sie sich für das taub sein geschämt hat.

Die „Miss Deaf Germany“ wurde von den Blumeier-Brüdern mit einem mehrtägigen Begleitprogramm ausgerüstet. Es gab ein Fotoshooting in einer Schwimmhalle, Laufsteg-Training und Schaulaufen im Berliner Shoppingcenter Alexa. Alles, selbst die Unterbringung im Hotel, bekamen die Brüder von Berliner Unternehmen gesponsert. „Wir möchten den Mädchen ermöglichen, einfach mal ernst genommen zu werden“, sagt Arne Blumeier. Und vielleicht würde das einige soweit motivieren, nach der Wahl mit mehr Selbstbewusstsein wieder heimzufahren.

Den Titel der „Miss Deaf Germany 2012“ hat am Ende die 22-jährige Magdalena Schulze aus Berlin geholt. Doch auch Christine gehört zu den Siegerinnen: Sie erhielt die erstmal vergebene Krone der „Miss Sympathy“ für ihren besonderen Talentauftritt – eine Live-Gebärdensynchronisation von Michael Jacksons „You Are Not Alone“. Als die jungen Frauen vor den Pressefotografen stehen, ist es nicht länger leise im Saal. Man hört jetzt dutzendfach das Fiepen der Blitzlichter. 

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