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Berlin: Bildrestauration: Weg mit dem Grauschleier! Bilder haben häufig eine Odyssee hinter sich, die ihnen schlecht bekommen ist.

Das Gemälde hat eine Odyssee hinter sich, sie ist ihm nicht bekommen. Es wurde zusammengerollt, nach außen und innen, lag lange so herum.

Das Gemälde hat eine Odyssee hinter sich, sie ist ihm nicht bekommen. Es wurde zusammengerollt, nach außen und innen, lag lange so herum. Die Leinwand ist wellig, gestaucht, Knicke sind entstanden. Farbe, sogar Grundierung ist abgebröckelt, auch die halbwegs intakten Partien sind marode. Schimmelpilze haben sich ausgebreitet, Feuchtigkeit hat dem harzhaltigen Farbbindemittel zugesetzt, jede Brillanz ist unter Grauschleiern verschwunden. Kurz: "Eine Ruine."

Ingo Timm, Restaurator beim Stadtmuseum, ist dennoch zuversichtlich, dass er der Mühlhausener Stadtansicht des ehemals in Berlin ansässigen, 1933 nach Palästina emigrierten Malers Jakob Steinhardt wieder zur alten Farbigkeit verhelfen wird. Auch wenn er sich dem jüngst als Schenkung ins Stadtmuseum gelangten Ölgemälde vorerst kaum widmen kann - die nächste Ausstellung geht vor -, hat er doch konkrete Vorstellungen, wie zu verfahren sei. Jedenfalls "theoretisch", schränkt er ein. Vor Überraschungen ist er in seinem Metier nie sicher.

Man kann den Zustand des Bildes den Vorbesitzern nicht vorwerfen, die Zeitumstände waren nun mal nicht so, dass an konservatorische Belange groß zu denken war. Das Bild dürfte in den Zwanzigern bei einem Besuch Steinhardts im thüringischen Mühlhausen entstanden sein. Man erkennt die Befestigungsmauer, eine Kapelle, Häuser, im Vordergrund Bäume, Spaziergänger. Eine Stadtimpression, ganz anders als die Werke, die Steinhardt noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg als Mitglied der expressionistischen Gruppe "Die Pathetiker" geschaffen hatte.

Der 1887 in Zerkow, Posen, geborene, 1968 in Nahariyya, Israel, gestorbene Künstler lebte damals schon lange in Berlin. Da Posen nach Kriegsende zu Polen kam, war seine Familie, die Mutter, der jüngere Bruder, die beiden jüngeren Schwestern und der Mann der einen, nach Mühlhausen übergesiedelt. Nur Steinhardt selbst und seine Schwester Selma, die ebenfalls nach Palästina emigrierte, sollten den Holocaust überleben.

Selma, die 1949 starb, muss das Bild aus Mühlhausen mitgenommen und an ihre Tochter vererbt haben, die einen Engländer heiratete und heute in Birmingham lebt. Von dort hat es jetzt Josefa Bar-On, die Tochter Steinhardts, mitgebracht und dem Stadtmuseum Berlin geschenkt, zusammen mit zwei Kreidezeichnungen, die Selma und deren Mutter Therese zeigen.

Josefa Bar-On hat schon viele Werke ihres Vaters aus Israel zurück nach Berlin gegeben, erst das Archiv, das ans Jüdische Museum ging, unlängst Zeichnungen, die noch bis zum 3. September im Ephraim-Palais zu sehen sind, eine Schenkung ans Stadtmuseum. Die Aufteilung werde die Zusammenarbeit der beiden Häuser fördern, so hofft sie. Ans Stadtmuseum gingen daher auch die drei Werke, die sie von ihrer Kusine erhalten hatte. Diese war sofort einverstanden.

Bevor das Ölgemälde und die beiden Zeichnungen aber einmal gezeigt werden können, ist das Geschick von Ingo Timm und seinen Kollegen gefragt. Zunächst geht es darum, die Leinwand zu glätten, Knicke zu beseitigen, die Substanz zu fixieren. Früher haben Restauratoren einfach eine zweite Leinwand daruntergeklebt, eine jetzt verpönte Methode. Auch die Leinwand als Bildträger gehöre zum Original, erläutert Timm die heutige Philosophie. Das lädierte Werk wird auf einen perforierten Unterdrucktisch gelegt, von unten gewissermassen festgesaugt. Fehlende und gelockerte Stellen werden mit einem Nebel aus Festigungsmittel behandelt, einem aus Tierknochen gewonnenen Leim, voraussichtlich vom Fisch, der die höchste Elastizität hat. Verwendet wird ein Ultraschall-Vernebelungsgerät, sehr fein und präzise dosierbar.

Offenbar hatte Steinhardt das Gemälde nur mit Reißzwecken befestigt, ohne Spannrahmen mit entsprechend größerer Leinwand. Um es auf einem solchen Rahmen befestigen zu können, muss also an den Rändern von hinten ein zusätzlicher Leinwandstreifen aufgeklebt werden, an den Innenrändern extra ausgefranst, um Kantenbildung auf dem Gemälde zu vermeiden. Fehlende Grundierung wird nun ausgeglichen, Alkoholdämpfe, Antipilzmittel kommen zum Einsatz, langsam gewinnen die alten Farben wieder ihre Leuchtkraft. Wo sie fehlen, muss der Pinsel retuschierend helfen, möglichst in zartem Tupfen, was sich aber nur begrenzt empfiehlt. Nicht, dass so ein restauriertes Gemälde hinterher versehentlich dem Pointillismus zugerechnet wird.

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