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"Transparent und wesentlich gerechter als vorher": Bildungssenator Jürgen Zöllner verteidigt das neue Anmeldeverfahren für Oberschulen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Bildungssenator Jürgen Zöllner im Interview: „Das neue Anmeldeverfahren ist gerechter“

Jetzt beginnt für viele Familien die heiße Phase im Kampf um Plätze an ihrer Wunschschule. Bildungssenator Zöllner wehrt sich gegen Vorwürfe von Eltern, die das neue Anmeldeverfahren als intransparent empfinden. Das Sekundarschul-Modell sieht er derweil auf dem richtigen Weg.

Herr Zöllner, welche Bilanz ziehen Sie nach einem halben Jahr Sekundarschule?

Unterm Strich eine gute. Die formalen Voraussetzungen sind gut und schnell geschaffen worden, die Akzeptanz ist in der Mehrzahl der Fälle groß. Mir sagen überregionale Bildungsexperten, sie hätten es nie für möglich gehalten, dass wir in Berlin derart schnell und in so großem Konsens zu einem der bundesweit zukunftsträchtigsten Schulsysteme kommen. Das ist sehr erfreulich. Ich gebe aber zu, an der einen oder anderen Stelle gibt es noch Probleme.

Gibt es diese Probleme eher an den ehemaligen Hauptschulen, die aus sich heraus zu Sekundarschulen werden, oder an den Fusionsschulen, die aus Haupt- und Realschulen zusammenwachsen?

Die Probleme sind keine, die man pauschal früheren Haupt- oder Fusionsschulen zuordnen kann. Ohne Zweifel haben etwa Fusionsschulen keine so großen Probleme bezüglich der Zusammensetzung ihrer Schülerschaft. Aber dafür müssen dort eben die Kollegien zusammenwachsen – was wiederum bei den ehemaligen Hauptschulen nicht der Fall ist. Einige dieser Schulen haben sich hervorragend auf den Weg gemacht, über Profilbildung schon im Aufschlag attraktiv zu sein – auch für Schüler, die vorher nicht auf eine Hauptschule gegangen wären. Andere müssen das noch vermitteln.

Können Sie denn jetzt noch etwas dafür tun, dass auch Schulen, die schlechtere Ausgangsbedingungen hatten, eine bessere Schülermischung hinbekommen?

Ich bin davon überzeugt, dass an den meisten Sekundarschulen eine gute Förderung jedes Einzelnen gelingt, die bei entsprechender Leistung bis zum Abitur führt. Gewisse Dinge liegen nun mal in der Hand der Schulen. Unterrichten ist ein individueller Prozess, der nicht von oben verordnet werden kann und sollte. In einem gewissen Maß sind nun die Schulen ihres Glückes Schmied, sie müssen ihre Chance ergreifen. Wir werden natürlich dort, wo wir können und es von der Schule gewünscht ist, unterstützen. Ich habe den Eindruck, dass die Möglichkeit des Aufbruchs von vielen genutzt wird.

Einige Schulen werden trotz Losverfahren voraussichtlich kaum Problemschüler bekommen, andere umso mehr. Hier gibt es die Angst, Brennpunktschule zu bleiben. Mit dem Verzicht auf eine Sozialquote haben Sie sich der Möglichkeit beraubt, die Problemkinder besser über die Stadt zu verteilen. Bedauern Sie das?

Ich bin der festen Überzeugung, dass dirigistische Maßnahmen wie Sozialquoten letzten Endes kontraproduktiv sind und halte sie auch aus grundsätzlichen Erwägungen für falsch. Natürlich sollten junge Menschen dieselben Chancen haben, auch wenn sie aus unterschiedlichen Elternhäusern kommen. Dabei kommt es auf entsprechende Rahmenbedingungen an, die wir schaffen müssen. Sogenannte Brennpunktschulen unterstützen wir bereits zusätzlich und werden die Unterstützung weiter ausbauen. Wir lassen diese Schulen mit ihren Problemen nicht allein.

Berlinweit wird über Lehrermangel geklagt. Dies liegt nicht in der Verantwortung der Bezirke.

Das ist natürlich ein wunder Punkt. Letztes Jahr ist das gut gelaufen, dieses Jahr leider nicht. Das Problem ist allerdings nicht, dass wir insgesamt zu wenig Lehrer haben – das Problem ist die Streuung. Es ist uns nicht gelungen, die Lehrerstellen gleichmäßig auf die Schulen zu verteilen. Dazu kommt, dass die Zuweisungen in vielen Fällen zu spät kamen. Das bedeutet natürlich, dass die Probleme, die es an einigen Schulen gibt, mit dem noch immer zu großen Defizit von Lehrkräften zusammenhängen.

Wie wollen Sie das in den Griff bekommen?

Wir machen jetzt schon einen Einstellungsschub, werden den entscheidenden im März beginnen und im April hoffentlich weitgehend abschließen. Damit sind wir früh genug dran, um guten Referendaren in Berlin eine Perspektive bieten zu können und vom Zeitpunkt her mit den anderen Bundesländern wettbewerbsfähig zu sein. Außerdem haben wir dann noch genügend Zeit zum Nachsteuern.

Das neue Anmeldeverfahren für die Oberschulen wird von vielen Eltern als intransparent empfunden.

Ich halte das Verfahren für transparent und wesentlich gerechter als vorher. Vielleicht haben wir die Eltern nicht genügend informiert. Ich danke aber allen Schulen, die in den vergangenen Wochen einen „Tag der offenen Tür“ organisiert haben, um Eltern und Schüler zu informieren.

Sie wollten keinen NC an Gymnasien. Den wird es aber nun geben, und zwar an jeder begehrten Sekundarschule und jedem begehrten Gymnasium einen anderen. Das verunsichert die Eltern immens.

Ich wollte nicht, dass Noten darüber entscheiden, welche Schulart – Gymnasium oder Integrierte Sekundarschule – man besuchen kann. Dies ist erreicht. Ohne Zweifel gehen Veränderungen mit Verunsicherungen einher. Aber der Elternwille wurde nicht angetastet. Die Eltern sind die aktiv Handelnden.

Das empfinden die Eltern anders.

Wer sich bisher mit einem Scheinwohnsitz oder einer Zweitwohnung einen Schulplatz für sein Kind beschaffen konnte, fand vielleicht das alte System besser – gerechter ist das neue.

Aber es wird zu längeren Fahrtwegen führen, weil der Wohnsitz nicht mehr zählt. Das heißt, dass Turboabiturienten noch weniger Zeit für Schularbeiten oder Hobbys haben werden.

Die Fahrtwege werden nur in wenigen Fällen so lang sein. Im Übrigen können solche Zusatzaktivitäten auch an Schulen belegt werden. Dafür brauchen wir eine Weiterentwicklung des Gymnasiums. Auch hier muss die Entwicklung langfristig so laufen, dass es zusätzliche Möglichkeiten an den Nachmittagen gibt, etwa in Kooperation mit Sportvereinen. Das ermöglicht auch Profilbildung.

Das ist eine langfristige Perspektive, hilft den Schülern jetzt aber nicht weiter.

Dass bei mehr Schulstunden pro Woche weniger Zeit für Freizeit bleibt, haben all diejenigen gewusst, die vor Jahren die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur beschlossen haben. Deshalb machen wir jetzt das Angebot über die Integrierte Sekundarschule als Ganztagsschule und Abitur in 13 Jahren. Dies haben wir im ersten Schritt zusätzlich auch einem Gymnasium in jedem Bezirk ermöglicht.

Künftig wird die Förderprognose bei übernachgefragten Schulen eine wichtige Rolle spielen. Werden Sie die Notengebung an Grundschulen vereinheitlichen?

Ich habe keine Veranlassung, etwas daran zu ändern. Es wird bei Bewertungen immer eine Bandbreite geben, mit diesem Grundproblem lebt unsere Gesellschaft – auch beim Übergang an die Hochschule.

Der Landeselternausschuss plant eine Kampagne gegen den „Mangel an den Schulen“ – er fordert mehr Geld.

Wir in Berlin geben im bundesweiten Vergleich mit am meisten Geld für den Schulbereich aus. Aber auch, wenn Bildung das Wichtigste ist, was wir in dieser Gesellschaft vermitteln, müssen wir das Geld, das wir dafür haben, effektiv einsetzen. Die Chancen, mehr Geld zu bekommen, werden umso größer, je überzeugender wir zeigen können, dass wir das tun.

Wie geht’s mit dem Qualitätspaket weiter?

Ich bin dankbar dafür, dass sich so viele interessierte Menschen an dieser wichtigen Diskussion beteiligen. Wir werten jetzt aus, was es an Anregungen von außen gegeben hat. Dabei wird etwa über die von mir gewünschte größere Transparenz bei den Leistungsdaten der Schulen mit Sicherheit härter diskutiert werden als beispielsweise über verpflichtende Lehrerfortbildungen. Bis Ostern soll das Qualitätspaket fertig sein.

Das Interview führten Patricia Hecht und Susanne Vieth-Entus.

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