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Bischof Markus Dröge: Gekommen, um Mauern einzureißen

Markus Dröge trat sein Bischofsamt an – und machte der Kirche Mut für die anstehenden Aufgaben.

Am gestrigen Sonnabend war es auf einmal wie Weihnachten. Die Menschen, festlich gekleidet, drängten sich wie an Heiligabend, um noch eingelassen zu werden in die Marienkirche am Alexanderplatz. Manche waren schon eine Stunde vorher da. Aus allen Teilen der Stadt und auch aus Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz waren sie gekommen, um dabei zu sein, wenn Bischof Wolfgang Huber nach 15 Jahren sein Amt an Markus Dröge weitergibt. Darunter Senatoren, Kardinal Sterzinsky, Lala Süsskind von der Jüdischen Gemeinde, Margot Käßmann und Katrin Göring-Eckardt, die neuen Spitzenfrauen der Evangelischen Kirche in Deutschland. Viele wollten einfach schauen, was das für einer ist, dieser Koblenzer, ihr neuer Bischof.

So viel Zuversicht mischte sich in die kühle Luft der Marienkirche, als Markus Dröge in seiner Predigt das „Hohelied der Hoffnung“ anstimmte. Mit dem „Hohelied der Hoffnung“ hatte sich einst der Apostel Paulus in der Gemeinde in Rom vorgestellt. Es geht in der Bibelpassage um den „Geist der Freiheit, der die Angst vertreibt, der Neues schafft, der auch ein verkrustetes Herz aufbrechen kann“, wie Dröge mit fröhlichem Lächeln von der Kanzel verkündete.

Mit seiner Predigt machte sich der neue Bischof wohl auch selbst Mut. Der wird nötig sein, um die gewaltigen Aufgaben zu meistern, die auf ihn und die Landeskirche mit ihren 1,2 Millionen Protestanten, 1500 Gemeinden und 38 Kirchenkreisen zukommen. Denn die Kirchensteuereinnahmen gehen deutlich zurück, jeder zweite Gläubige ist über 50, und auch die Pfarrerschaft bräuchte einen Verjüngungsschub. Und, ja, Gottes evangelisches Biotop in Berlin ist sehr bunt.

Es gibt die wohlhabenden, aber überalterten Pfarreien in Charlottenburg, Wilmersdorf und Zehlendorf und solche, die in Wedding, Neukölln oder Kreuzberg um jeden Euro und Ehrenamtlichen ringen. Es gibt die boomenden Gemeinden in Prenzlauer Berg, in Mitte und im Speckgürtel, die unerwarteten Zuwachs bekommen haben durch die aus Westdeutschland zugezogenen Familien mit kleinen Kindern. Diese Familien sind zur Freude der Pfarrer viel fester im Glauben verwurzelt als viele Berliner, sie wollen die Gemeinden aber auch nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten – was nicht jedem Alteingesessenen passt. In Ost-Berlin gibt es die strenggläubigen Lutheraner, die ihre aus der DDR-Erfahrung mitgebrachte Einkapselung nicht aufgeben wollen. Und dann gibt es die Protestierenden im Zechliner Land, die sich heftig gegen die Gemeindefusionen zur Wehr setzten. In vielen Brandenburger Dörfern sind die Pfarrer und ihr ehrenamtliches Team oft die einzigen verlässlichen Anlaufstellen, die einzigen, die sich zivilgesellschaftlich engagieren – auch gegen die Rechtsextremen.

In all diesen Orten mit ihren unterschiedlichen Traditionen muss gespart und näher zusammengerückt werden. Einerseits soll dabei ein Gefühl von Gemeinschaft erzeugt, andererseits die Identität der Gemeinden gewahrt bleiben. Wie schwierig das ist, zeigten die heftigen Debatten im Kirchenparlament, das Ende der Woche tagte und die Fusion der Sprengel Cottbus und Görlitz beschlossen hat. Cottbus verliert den Superintendenten. Das tut weh. Der Bischof ist für solche Prozesse nicht alleine verantwortlich. Aber er gibt den Ton vor. „Wir müssen die Mauern zwischen den Hoffnungsstarken und den Resignierten ernst nehmen“, predigte der frisch Gekürte. Und fragte: „Wird die Evangelische Kirche wie vor 20 Jahren Kräften Raum geben, die Mauern zum Fallen bringen?“

„Manchmal fühlt man sich hier draußen wie in einem gallischen Dorf“, sagte Thorsten Schaare vormittags in Kreuzberg. Er ist Mitglied in der Gemeinde St. Thomas am Mariannenplatz. Hier sind gerade mal noch zehn Prozent der Bevölkerung Protestanten. Die Gemeinde versucht, im Kiez verankert zu bleiben, sie unterhält ein Obdachlosencafé und eine Kita und versucht andererseits, mit anspruchsvollen Ausstellungen und Konzerten die neu zugezogenen Professoren und Kreativen anzusprechen. Mit meditativen Angeboten will man Studenten locken. „Alles sehr mühsam“, sagt Schaare, „wir kämpfen um jeden.“ Ohne Ehrenamtliche und ohne die Hartz-IV-Empfänger, die in der tagsüber offenen Kirche Besuchern Auskunft geben, Laub harken und Kranke besuchen, ginge das überhaupt nicht. In der Öffentlichkeit aber würden immer nur eine Handvoll großer Kirchen gewürdigt, die Gedächtniskirche, der Dom, St. Marien und Gethsemane wegen der jungen Familien. Schaare wünscht sich vom neuen Bischof, „dass er die Mühen der Ebene wahrnimmt“. Ein Wunsch, den viele an der Basis äußern.

Die Berliner wollen ihrem neuen Bischof nicht nur im Fernsehen begegnen. Sie wollen ihn nicht nur im Dom und St. Marien predigen hören, sondern auch in ihrer kleinen Kiezgemeinde. Und sie wollen wie Wolfgang Schellig vom Gemeindekirchenrat in Prenzlauer Berg und Kristian Gaiser aus der Zionsgemeinde in Mitte, dass Dröge sieht, wie viel die Ehrenamtlichen leisten. Das ist kein abseitiger Wunsch, schließlich helfen 40 000 Freiwillige in der Landeskirche mit. Sie schmücken Kirchen, leiten Gemeinden, kümmern sich um den Kindergottesdienst, machen mit den Senioren Ausflüge und organisieren Freizeiten für die Jugendlichen. Sie hoffen, dass der Bischof neue Impulse setzt, um ihr ehrenamtliches Engagement besser zu fördern.

Die „Mauern der Armut, der Unversöhnlichkeit und der lähmenden Resignation“ will Dröge ebenfalls einreißen helfen – auch in der Kirche. Verbal stehen zwar viele Protestanten an der Seite der Schwachen, aber von ihrer Mitgliederstruktur her ist die evangelische Kirche vor allem eine bürgerliche Akademikerkirche. Leiden dürfe nicht mit frommen Gesängen übertönt werden, predigte Dröge. Man müsse den Seufzenden auf Augenhöhe begegnen und mit ihnen gemeinsam „trotzige Widerstandslieder“singen. Schließlich appellierte der neue Bischof an alle in der multireligiösen und atheistischen Stadt, ob Jude, evangelischer oder katholischer Christ, ob Muslim, Humanist oder Atheist – „jeder hat die Verpflichtung, sein Hoffnungslied zu Markte zu tragen und nach den Gemeinsamkeiten zu suchen, um die Mauern zwischen den Menschen einzureißen“.

„Gott bewahre ihn vor Eitelkeit wie vor Verzagtheit und erfülle ihn mit Zuversicht“, sagte der neue Altbischof Huber und legte dem vor ihm knieenden Markus Dröge die Hand zum Segen auf den Kopf. „Fürchte Dich nicht, ich bin mit Dir, ich stärke Dich“, sprach der Chef des Kirchenparlaments. Dann legte er Dröge das schwere goldene Amtskreuz um.

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