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Berlin: Bitte ein Tässchen Karl-Marx-Straße

Wie schmeckt die Neuköllner Meile als Tee? Ein Kunstprojekt verrät es. Und nicht nur das

Zweifelnd blickt eine junge Frau in das Schaufenster der Karl-Marx-Straße 204 in Neukölln. Ein Strauß Goldraute steht dort, Töpfchen mit Kamille und Schöllkraut. Dazwischen ein Exemplar von Friedrich Engels’ „Dialektik der Natur“. Auf dem Boden trocknet Hopfen auf den Seiten von Karl Marx’ „Kapital“. Ein Blumenladen? Eine esoterische Kräuterstube?

Der Gedanke an ein Kunstprojekt kommt den wenigsten Passanten. Dabei ist der „Botanische Lehrpfad Karl-Marx- Straße“ eine von sieben Aktionen, die im Rahmen des Projekts „Okkupation“ im September stattfinden. Der Bochumer Künstler Matthias Schamp möchte einen anderen Blick auf die befahrene Geschäftsstraße zwischen U-Bahnhof Hermannplatz und S-Bahnhof Grenzallee werfen. Wer sie bisher nur als stinkende Verkehrsachse wahrgenommen hat, dem öffnet Schamp die Augen für lebendige Hinterhöfe, kunstvoll drapierte Obststände und Kunstrasengärten vor Eckkneipen. Das alles dokumentiert er auf Fotos. Außerdem sammelt er Kräuter und Blüten für einen „Karl-Marx-Straßen-Tee“ und eine „Sei deine eigene Karl-Marx-Straße“-Salbe. „Der Tee soll anregend und zugleich beruhigend wirken“, sagt Schamp. „Ganz im Sinne der Dialektik.“ Der erste Aufguss aus beruhigendem Hopfen, belebendem Löwenzahn und Holunderbeeren ist übrigens recht bitter geraten.

Für Neukölln-Interessierte will Schamp bis zum 25. September donnerstags um 17 Uhr Führungen anbieten, zum Beispiel zu einer Ulme, deren starke Wurzeln in einem Hof ein uraltes hölzernen Klohäuschen zerstört haben, das aus der Zeit stammt, als WCs noch kein Standard waren. „Die Natur schafft sich auch im urbanen Raum ihren Platz“, sagt er. Schamps Laden ist aber auch Begegnungsstätte. „Wer weiß, um welche Apfelsorte es sich hierbei handelt“, fragt ein Nachbar auf einem Zettel im Schaufenster, der die Frucht von einem Baum in seinem Garten geerntet hat.

Auch andere Projekte wie das Künstlerkollektiv „Public Works“ widmen sich während der „Okkupation“ der Kommunikation im Bezirk. Über einen Boten kann man beispielsweise Nachrichten vom Maybachufer an die Sonnenallee übermitteln lassen. Der finnische Performance-Künstler Roi Vaara will zwischen dem 12. und dem 16. September mit einem Frack bekleidet und mit Blumen im Arm täglich an einem belebten Platz in Neukölln stehen – so lange, bis der Strauß verwelkt ist. Dazu kann sich dann jeder so seine Gedanken machen.

Die weniger beschauliche Seite des Bezirks betrachtet Hans Winklers Kurzfilm „Letzte Ausfahrt 44“. Mit Passanten und Anwohnern hat er Kriminalfälle und überlieferte Abenteuergeschichten aus Neukölln nachgestellt. Der Film läuft zwischen dem 12. und dem 16. September im Vorprogramm verschiedener Neuköllner Kinos.

Informationen zum Thema unter

www.okkupation.com

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