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Berlin: Bitte zahlen

Gericht kippt Erschließungsbeitragsgesetz Nun sind Ost und West doch nicht gleichgestellt

Es schien gesichert, dass die Anwohner im Osten und Westen der Stadt gleich behandelt würden, wenn vor ihrer Tür Straßen gebaut, umgebaut oder ausgebessert werden. Sie sollten sich an den Kosten nur dann beteiligen müssen, wenn die Arbeiten nach der Wende vorgenommen wurden. Geregelt war das seit kurzem in einem neuen Erschließungsbeitragsgesetz, das das Abgeordnetenhaus mit den Stimmen von SPD und die Linkspartei/PDS gegen den Widerstand der Opposition im März verabschiedete.

Sehr alt ist die Regelung aber nicht geworden, zumindest nicht der wichtige Paragraf 15a. Er sollte Anwohner in den Westbezirken von der Zahlungspflicht befreien, unter der oben erwähnten Voraussetzung. Diese Regelung aber hat das Oberverwaltungsgericht nun kassiert: Es urteilte, dass eine einmal entstandene Beitragspflicht nicht rückwirkend entfalle.

Die Entscheidung der Richter hat grundsätzlichen Charakter, denn es war die erste Gerichtsentscheidung in Berlin in einem solchen Fall. Für die Anwohner der Spandauer Nonnendammallee bedeutet das Urteil, dass sie für 1,22 Millionen teure Bauarbeiten in ihrer Straße zahlen müssen. Obwohl diese schon seit 1987, seit 19 Jahren also, abgeschlossen sind. Dies war der konkrete Fall, über den das Gericht zu befinden hatte. Er ist reichlich kompliziert. Die Kurzfassung: Sechs Anlieger hatten gegen Zahlungsbescheide geklagt, die ihnen im Jahr 2000 auf Basis des damals geltenden Rechts zugestellt worden waren. Zwischen den Bauarbeiten und der Zahlungsaufforderung an die Anwohner lagen also dreizehn Jahre. Die Richter entschieden, dass die Voraussetzungen zur Beitragspflicht aufgrund rechtlicher Besonderheiten zwar erst im Jahr 1999 erfüllt waren, obwohl das Gesetz eigentlich seit 1995 gelten sollte. Doch sie ließen keinen Zweifel daran, dass die Beiträge nun fällig seien und bestätigten damit das Verwaltungsgericht, das sich als erste Instanz mit dem Fall befasst hatte.

Wer die Kläger sind, Privatleute oder Firmen, blieb gestern unklar. Unabhängig davon sieht sich die Opposition nun in ihrer Skepsis gegenüber dem Gesetz bestätigt. „Das OVG-Urteil ist eine schallende Ohrfeige für die Senatskoalition“, sagte Klaus-Peter von Lüdeke, der stadtentwicklungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion. Er und Claudia Hämmerling, seine Amtskollegin bei den Grünen warfen Rot-Rot „handwerkliche Fehler“ vor. Ein Insider bestätigt, dass Senats-Juristen Schwierigkeiten mit dem Gesetz vorhergesagt hatten. Mario Czaja, Baufachmann der Union, unterstellt der Regierung gar bewusste Täuschung: Man habe trotz besseren Wissens den Bürgern „suggeriert, dass keine rückwirkenden Forderungen auf sie zukommen könnten – um größeren Widerstand gegen das Gesetzespaket zu verhindern“. Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) nannte diese Vorwürfe „völlig abwegig“. Sie kündigte einen neuen Gesetzentwurf an. Dass der noch vor der Wahl zu erwarten ist, hielten gestern selbst Parteifreunde für unwahrscheinlich. „Wir müssen jetzt das schriftliche Urteil abwarten und dann sehen, welche Straßen von der Gerichtsentscheidung überhaupt betroffen sind“, sagte SPD-Bauexperte Bernd Schimmler. mne

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