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Berlin: Blaulicht versus Stubenküken

Beim Dinner des Bundespräsidenten verdrängte köstliche Gelassenheit die äußere Sicherheit

Der Kontrast hätte größer nicht sein können. Wer zum festlichen Abendessen wollte, das der Bundespräsident aus Anlass der Antisemitismuskonferenz in Anwesenheit des israelischen Staatspräsidenten Moshe Katzav gab, musste sich schon ausweisen, lange bevor das Schloss Bellevue auch nur in Sichtweite kam. Polizei auf Pferden und Motorrädern, in Mannschaftswagen und Limousinen, die hohe Sicherheitsstufe war überall zu spüren. Innen war von Anspannung nichts mehr zu spüren. Da ging es besonders lebhaft, angeregt und unsteif zu.

Protokollchef Bernhard von der Planitz, der an diesem Tag mehrere politisch hochrangige Gäste empfangen hatte, plauderte äußerlich völlig gelassen mit den Delegierten über die wichtigsten Reden des Tages. Überhaupt hatte sich so viel Gesprächsbedarf angesammelt, dass es die überwiegend männlichen Gäste auch zwischen den Gängen nicht auf den Sitzen hielt. Dass der Rahmen dennoch sehr festlich wirkte, lag an den fünfarmigen Kandelabern, den rotweißen Blumenkränzen und dem viergängigen Menü mit Mousse von Räucherfischen, Kabeljau im Strudelblatt, Stubenküken und Schokoladentarte, mit dem sich Deutschland auch kulinarisch als modernes, weltoffenes Land empfahl.

Äußere Zeichen können wichtig sein. Dass Deutschland offiziell als Gastgeber der Konferenz auftrat, war für die Berliner Leiterin des American Jewish Committee, Deidre Berger, im Vergleich zur letzten Zusammenkunft in Wien eine deutliche Aufwertung. Ihr amerikanischer Chef David Harris erntete viele Komplimente für seine Rede. Nobelpreisträger Elie Wiesel war ebenso dabei wie der Politiker Natan Sharansky. Auch Joschka Fischer, Paul Spiegel, Bischof Wolfgang Huber, Walter Kardinal Kasper, Iris Berben und Ralph Giordano waren gekommen. Die persönliche Wertschätzung, die Moshe Katzav dem Bundespräsidenten gegenüber ausdrückte für seine „weise und moralische Führung“, seine große Freundschaft zu Israel und seine „persönliche Entschlossenheit im Kampf gegen den Antisemitismus“ setzte einen vergleichsweise sanften Schlusspunkt unter eine Ansprache, die an Entschiedenheit nichts schuldig blieb. „Sehr deutlich“ heißt der korrekte diplomatische Kommentar dazu. Katzav zeigte Problembewusstsein, indem er am Anfang augenzwinkernd auf den Unterschied zwischen Geduld („meiner Rede zuhören“) und Toleranz („meiner Rede zustimmen“) hinwies. Dann wurde er aber sehr rasch sehr ernst. Es sei schwer und traurig für ihn, 60 Jahre nach dem Holocaust in Berlin zu stehen und über Antisemitismus zu sprechen. Wieder seien Juden in den Straßen Europas Ziel physischer und emotionaler Gewalt. Juden würden als Quelle von Krieg und globalen Katastrophen dargestellt. Es sei nicht genug, gegen Antisemitismus zu reden: „Wir müssen handeln!“ rief er. Johannes Rau betonte, dass der Kampf für die Gesellschaft genauso wichtig sei, wie für die Regierung. Das Ziel lasse sich aber nur auf friedlichem Weg erreichen: „Alle müssen das Völkerrecht einhalten.“

Bei Kaffee und Grappa wurde weiter diskutiert, bis vor dem Schloss wieder die Blaulichter aufflackerten und daran erinnerten, dass bis zu einer allumfassenden Entspannung noch viel zu tun bleibt.

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