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Berlin: Bleiberecht an der Mauer

Landgericht urteilt: Mietern der Calvinstraße bleiben Sanierung und Auszug vorerst erspart.

Mit einem Glas Sekt standen sie da, als es vorbei war, im Licht der Scheinwerfer, im Halbkreis aufgestellt, den Kameras zugewandt – unter dem gewaltigen Kuppelgewölbe des Landgerichts. In den vier Jahren seit Beginn des Streits mit einer Immobilienfirma aus Baden-Württemberg haben die Mieter aus der Moabiter Calvinstraße eine gewisse Berühmtheit erlangt. Wegen der Mauer, auf die sie nun blicken, die der Vermieter vor ihrem Küchenfenster hochzog. Und wegen Unterstellungen, Nebentätigkeiten der Richterin für Vermieter- und Grundeigentums-Verbände könnten die Waagschale Justitias aus dem Lot bringen.

Nichts von alldem aber war erkennbar an diesem Tag. Mit weißer berüschter Bluse unter der schwarzen Robe, weißblondem Haar und Lesebrille führte die Richterin besonnen die Verhandlung. Die aufwendige Modernisierung des Hauses, die zu einer Verdoppelung der Miete führen und die Bewohner zum Auszug zwingen würde – nicht zulässig! Die Minderung der Miete wegen des Baulärms auf Nachbargrundstücken, wo im Auftrag des Vermieters gebaut wird, darüber müsse die Kammer noch beraten.

„Handzahm“ nannte Mieteranwalt Christoph Müller die Richterin nach der Sitzung. „Ganz untypisch“ sei das angesichts ihres bisherigen Verhandlungsstils. Am späten Nachmittag änderte sich seine Einschätzung aber, als das Landgericht meldete, dass „in keinem der entschiedenen Fälle die Revision zugelassen“ wurde. Auch für die fünfte Bewohnerin, deren Fall als letzter vor Gericht gelangt war, gilt damit, dass sie ihre Miete wegen des Baulärms nicht mindern darf. Dies hatte das Landgericht begründet mit der „Baulückenrechtsprechung“. Diese besagt, dass Mieter in Innenstädten immer damit rechnen müssen, dass Baulücken geschlossen werden, so dass sie deshalb die Miete nicht mindern dürfen. Eine andere Kammer des Landgerichts hatte aber in ähnlichen Fällen für Mieter entschieden. Die Anwälte wollen deshalb jetzt zum Verfassungsgericht ziehen.

Warum sollten Mieter keinen Anspruch auf Mietminderung gegen Vermieter haben? Die blieben nicht mal auf diesen Kosten sitzen, sondern könnten sie als Schadensersatz vom lärmenden Bauherrn in der Nachbarschaft zurückholen – so sieht das Werner Noffke, der am Amtsgericht den Fall zugunsten der Mieter entschieden hatte. Die Verhandlung am Landgericht verfolgte der pensionierte Richter persönlich – im „Unruhestand“. Auch Kirsten Metter, Rechtsanwältin des Vermieters, kann nun das Urteil, das die Sanierung verbietet, nicht überprüfen lassen. Dass die Richterin wegen des öffentlichen Drucks an diesem Tag von ihrer bisherigen Linie abgerückt sein könnte, wollte sie nicht bemerkt haben. Deutlich machte sie aber, dass der Hauseigentümer einen neuen Anlauf mit einer veränderten Modernisierungsankündigung nehmen wird.

Das ist auch Mieterin Helga Brandenburg klar, während sie vor dem Saal am Sektglas nippt. Verhalten ist auch die Freude ihres Anwaltes über den „Etappensieg“: Wiederholt betont er, man sei bereit, mit dem Vermieter zu verhandeln. Eine gewisse Müdigkeit tritt nach vier Jahren eben doch ein. Ralf Schönball

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