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Berlin: Bockwurst mit Kaviar

Von Bernd Matthies Die Zeiten sind, alles in allem, etwas ruhiger geworden im Hotelgewerbe. Die meisten Gäste benehmen sich ordentlich, selbst unter Rockstars ist es nicht mehr üblich, die Suite zu zerhacken.

Von Bernd Matthies

Die Zeiten sind, alles in allem, etwas ruhiger geworden im Hotelgewerbe. Die meisten Gäste benehmen sich ordentlich, selbst unter Rockstars ist es nicht mehr üblich, die Suite zu zerhacken. Und unappetitliche Diktatoren, sofern es sie noch gibt, bleiben sicherheitshalber ohnehin zu Hause. Deshalb wird es im Bristol Kempinski am Kurfürstendamm auch nicht mehr vorkommen, dass einer wie Idi Amin Bockwurst mit Kaviar bestellt und dann die Wurstpelle säuberlich abzieht und hinter sich auf den Boden wirft.

Doch es ist passiert - eine Randerscheinung in der 50-jährigen Geschichte des Hauses, das bis zur Wiedereröffnung des Adlon unangefochten die Nummer eins in Berlin war und deshalb in seinen Gästebüchern die Unterschriften zahlloser weltweit bekannter Prominenter gesammelt hat. Aus Berliner Sicht allerdings sind eher lokale Phänomene im Gedächtnis geblieben, ist das Hotel vor allem als Dauerdomizil Hildegard Knefs sprichwörtlich geworden; das sei ja das „Knefpinski“, sagte Curd Jürgens missmutig, als er zu seinem 60.Geburtstag anreiste und die Lieblingssuite auf Monate von der Kollegin blockiert sah.

Das Bristol Kempinski wurde am 29.Juli 1952 eröffnet, dort, wo die jüdische Firma zwischen den Weltkriegen eine Dependance ihres erfolgreichen Restaurants in der Leipziger Straße betrieben hatte. Kurz vor Kriegsende fiel das Haus einem Bombenabgriff zum Opfer. Der sachlich-unterkühlte Neubau, einer der ersten größeren nach dem Neubeginn Berlins, galt als Hoffnungszeichen des Wiederaufbaus, allerdings nicht bei allen Zeitgenossen. Die „BZ am Abend“ mäkelte, hier würden wertvolle Marshall-Plan-Mittel verschleudert, „um ein weiteres Luxusschaufenster zur Verdeckung des West-Berliner Elends“ zu schaffen. Doch die Stadt dachte nicht daran, ins Elend zu fallen, und das neue hochmoderne Hotel passte genau in das Bild einer aufstrebenden Metropole. Berlin wurde zum Modezentrum und zur Filmstadt, und die Stars quartierten sich nahezu automatisch am Kurfürstendamm 27 ein.

Eine viel erzählte Legende besagt, dass der französische Filmstar Jean Marais seine Krawatte signierte, in Streifen schnitt und aus dem Hotelfenster warf. Charles Aznavour gab nie einen Pfennig Trinkgeld, der Tenor Mario Lanza aß während wochenlanger Dreharbeiten allabendlich eine große Dose Kaviar und ein T-Bone-Steak, und da seine Frau ihm den Alkohol verboten hatte, ließ er sich vom Personal in regelmäßigen Abständen ans Telefon rufen – hinter einer Säule stand ein Kübel mit einer Flasche Champagner parat. Elke Sommer bekam immer erst nach Mitternacht Hunger, Christian Barnaard fiel durch exorbitante Telefonrechnungen auf, weil er sich Tag und Nacht nach dem Befinden seiner Patienten in Kapstadt erkundigte, Liza Minelli benötigte ein Mädchen zum Ausführen ihrer drei Pudel, Leonard Bernstein ließ sich einen Flügel in seine Suite hieven, und orderte im Morgengrauen unentwegt Hummer in Biersauce, Ava Gardner dagegen Kartoffelpuffer...

Die Geschichte des Hotels ist aber auch eine Geschichte schwindender Kleiderordnungen. Heute scheint es undenkbar, dass Rainer Werner Fassbinder in sein Zimmer zurückgeschickt wurde, weil er keine Krawatte umgebunden hatte, dass Shirley Bassey nicht in den Grill eingelassen wurde, weil sie Jeans trug. Heute geht es viel lockerer zu, und auch das Personal geht längst mit weniger formeller Distanz ans Werk.

Auch das Hotel, wie es heute aussieht, hat mit dem Neubau der Architekten Paul Schwebes und Hans Schoßberger nur noch die äußere Hülle gemein. Denn der nahezu revolutionäre Standard des modernsten europäischen Hotels der frühen 50er Jahre wäre heute indiskutabel. Die Süddeutsche Zeitung lobte seinerzeit: „Endlich ein Hotelzimmer, das ein ganzes Appartement ersetzte, weil das durchaus komfortable Schlaraffiabett hochgeklappt werden konnte.“

Besonders verblüffend wirkte damals, dass es gelungen war, den Verkehrslärm nahezu vollständig aus dem Gebäudeinneren herauszuhalten, so wirksam, als seien die Mauern meterdick. Die Bäder ohne Außenlicht, heute ganz normal und fast schon wieder unbeliebt, wirkten befremdlich, und viele skeptische Gäste mussten erst davon überzeugt werden, dass die Lüftung alle Dampfschwaden blitzschnell absaugen würde. Zwischen Küche, Service und Restaurant schickte ein Rohrpostsystem Bons und Bestellungen hin und her. Zur damaligen Zeit passte auch, dass kleine Zimmer für eventuell mitgebrachte Dienstboten eingeplant wurden; einige davon gibt es heute noch, passend für die neuzeitlichen Personenschützer. Doch umgebaut, neu gestaltet, entkernt, modernisiert worden ist das gesamte Hotel schon mehrfach; die Pool-Anlage zum Beispiel kam erst 1972 hinzu.

Doch stilistisch allzu modern möchte man auch in Zukunft nicht sein. Es gebe immer Gäste, die es gern kühler, design-orientierter mögen, sagt der Direktor Manfred Nissen. Man sehe sie ungern gehen, habe aber Verständnis für eine solche Entscheidung - und freut sich, wenn solche Gäste später reuevoll zurückkehren zum Kurfürstendamm 27.

Am morgigen Montag gibt es von 15 bis 18 Uhr am Hotel ein Straßenfest mit Kaffee, Torte und Unterhaltungsprogramm.

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