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Berlin: Böger rechnet vor: Zehntausende Schüler schwänzen regelmäßig Erste Erhebung über Fehlzeiten in Deutschland

An Haupt- und Sonderschulen ist die Bilanz am schlimmsten

In Berlin haben zum Ende des vergangenen Schuljahres nahezu 15 000 Schüler 20 Prozent und mehr des Unterrichts versäumt – das sind mehr als bislang geschätzt. An Hauptschulen schwänzt sogar bis zu einem Drittel regelmäßig. Auch an Sonderschulen liegt die Quote „besorgniserregend hoch“, sagte Bildungssenator Klaus Böger (SPD) gestern. „Erste Alarmglocken“ müssten zudem bei den 36 200 Schülern läuten, die an immerhin 11 bis 20 Tagen fehlen. Die von Böger vorgestellte Erhebung ist die erste umfassende Schulversäumnis-Studie in Deutschland.

Demnach bleiben vor allem in Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln, Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg die Stühle leer. Am wenigsten wurde in Steglitz-Zehlendorf geschwänzt. Innerhalb des untersuchten zweiten Schulhalbjahres, das 100 Tage dauerte, versäumten 10 751 Schüler 21 bis 40 Tage – und damit 20 bis 40 Prozent des Unterrichts ( 3,5 % aller Schüler). Insgesamt 4079 Jugendliche (1,3 %) fehlten sogar mehr als 40 Tage – und bekamen über 40 Prozent des Stoffes nicht mit. Jeweils zehn Prozent dieser Schüler konnten eine Entschuldigung vorlegen. Die verbleibende Zahl von 12 500 über 20 Tage lang unentschuldigt Fehlenden sei dennoch beunruhigend, so Böger. Zehn Fehltage seien normaler Schnitt, bei bis zu 20 müsse man langsam aufhorchen.

Vergleiche man die Berliner Daten mit anderen Regionen, fielen die Zahlen aber nicht höher aus, sagte Studien-Experte Hermann Rademacher. Besonders überraschend: Schüler nicht deutscher Herkunftssprache fehlen zwar etwas häufiger als deutsche Klassenkameraden. „Aber nicht so oft, dass man sagen könnte, sie erreichen Abschlüsse nur deswegen nicht, weil sie so viel versäumen“, sagte Böger. Offensichtlich sind vielmehr Sprachprobleme im Unterricht entscheidend.

Um an die Daten zu kommen, hatte die Verwaltung alle Lehrer allgemeinbildender Schulen kurz vor den Sommerferien gebeten, die Fehlzeiten ihrer Schüler der 1. bis 10. Klassen im zweiten Halbjahr aufzulisten. 94,4 Prozent der Pädagogen gaben ab. Welche Schlüsse die Verwaltung nun zieht? Zuerst gehe sein Appell an Eltern und Lehrer, so Böger: „Hingucken, nicht wegsehen.“ Pädagogen sollten lieber einmal zu viel als zu wenig bei den Eltern nachhaken. Eine Arbeitsgemeinschaft in der Verwaltung erarbeite gerade eine Handreichung zum Umgang mit dem Schuleschwänzen. Schließlich stelle sich auch die Frage, „ob die Lernkultur in Schulen verändert werden muss“. So ist es oft das fehlende Erfolgserlebnis, mangelnde Anerkennung, die die Motivation der Schüler trübt. Außenseiter flüchten zudem häufiger als beliebte Schüler vorm Unterricht.

Angesicht der Tatsache, dass sich Fehlzeiten in den 8. Hauptschul-Klassen – für viele Sitzenbleiber das letzte Schuljahr – summieren, forderte GEW-Pressesprecherin Sigrid Baumgardt „mehr Ausbildungsplätze und Fördermaßnahmen“ für Schüler aus sozial schwachen Schichten: „Mehr Perspektiven sind das beste Mittel gegen Schwänzen.“ Ordnungsgelder zu erheben oder Kinder durch Polizisten zur Schule zu geleiten, sieht Böger als letztes Mittel. Dass Pädagogen noch zu wenig eingreifen, zeigt sich an einer Polizeistatistik. Im Schuljahr 1999/2000 gab es 2335 Schulversäumnis-Anzeigen. In Wedding etwa wurde keine einzige geschrieben.

Annette Kögel

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