zum Hauptinhalt
Die Bombentest-Stadt auf dem Dugway Proving Ground in Utah, 1943

© Wikipedia

Bomben auf Berlin: Am "German Village" übten die Amerikaner die Bombardierung deutscher Städte

Um neue Bomben zu testen, baute das US-Militär 1943 in Utah ein "German Village". Dabei half ihnen der aus Berlin emigrierte Architekt Erich Mendelsohn.

Insgesamt 118 Orte mit Namen Berlin, große wie kleine, sollen Geografen der TU vor einiger Zeit weltweit gezählt haben. Die Zahl mag stimmen oder nicht, ein Ort war garantiert noch niemals in dieser Liste, hieß zugegebenermaßen auch nie Berlin und aus gutem Grund hat nie ein Berliner dort gewohnt – und dennoch: Er ist, so hat ihn Mike Davis, Historiker und ehemals Professor für Urbanistik im Southern California Institute of Architecture, in seinem Buch „Dead Cities“ (2002) genannt: „Berlins Leiche in Utahs Keller“.
Ein winziger Ort, mitten in der Wüste, knapp 150 Kilometer südwestlich von Salt Lake City. Genaugenommen nur ein Gebäudekomplex aus sechs Wand an Wand gebauten zweistöckigen Wohnhäusern, mit Spitzdach und Gauben über den gemauerten Ziegelwänden, anspruchslose Architektur, nicht auf den ersten Blick mit der Stadt an der Spree zu assoziieren. Für Davis aber, so formulierte er 1999 im „Spiegel“ zugespitzt, „Berlins entlegenster, unbekanntester Vorort“.
Der Ziegelbau befindet sich auf dem militärischen Testgelände „Dugway Proving Ground“ und ist Rest einer 1943 dort errichteten Wohnsiedlung, die bei den Militärs nur kurz „German Village“ hieß – ein Vorläufer des Mini-Berlins, das die Amerikaner auf ihrem Übungsgelände „Parks Range“ an der Osdorfer Straße in Lichterfelde errichtet hatten. Nur dass es dort in Utah nicht der Verteidigung Berlins diente, sondern seiner Zerstörung: Am German Village übte die Air Force den Bombenkrieg gegen Hitlers Deutschland und erprobte die Waffenindustrie die Effektivität ihrer Produkte.
So unscheinbar das German Village auch war, es hatte doch einen berühmten, mit Berlin über Jahrzehnte verbunden Architekten: Erich Mendelsohn, der 1918 in der deutschen Hauptstadt ein rasch immer erfolgreicheres Büro gegründet hatte. Dort wurden Architekturikonen wie die Schaubühne oder das Mossehaus in Berlin, der Potsdamer Einsteinturm oder die Luckenwalder Hutfabrik entworfen. Wegen seiner jüdischen Herkunft emigrierte Mendelsohn 1933 nach London, zog weiter nach Palästina und wechselte 1941 in die USA.

Die Idee zu solch einem Übungsdorf soll bei einem Treffen zwischen US-Präsident Franklin D. Roosevelt, dem Präsidenten von Standard Oil Robert Russell und zwei Generälen der Air Force und des Chemical Corps entstanden sein. Nur möglichst nah an der Realität seien die auch von Standard Oil neu entwickelten Waffen zu testen. „Flugzeuge warfen Brandbomben auf Kopien deutscher und japanischer Gebäude ab, damit die Prüfer sehen konnten, was passiert, wenn Bomben bestimmter Typen auf feindliche Strukturen treffen“, heißt es heute nüchtern auf der Internetseite des „Dugway Proving Ground“. In den Aufzeichnungen Mendelsohns finden sich keine Unterlagen über das Projekt, was angesichts seiner strikten Geheimhaltung nicht überrascht. Auch halten US-Wissenschaftler es für unwahrscheinlich, dass er oder der ebenfalls beteiligte Emigrant Konrad Wachsmann, Spezialist für Holzkonstruktionen und Architekt des Einsteinhauses in Caputh, je auf dem Testgelände waren. Aber die Arbeit für die Air Force ist verbürgt: „1943 berät Mendelsohn das amerikanische War Department, das den Luftkrieg gegen Deutschland vorbereitet“, heißt es etwa auf der Website des „Erich Mendelsohn Archivs“, das die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin und das Getty Research Institute in Los Angeles gemeinsam betrieben. Und das „German Village“ wurde mit großer Kenntnis deutscher Mietskasernen gebaut, waren den Originalen weitaus näher als Testsiedlungen der Royal Air Force nahe Heathrow. Es gab einen Haustyp wie im Ruhrgebiet und einen nach dem Vorbild der Bauten in Mittel- und Norddeutschland. Auch bei den Materialien bemühte man sich um Detailtreue, versuchte beim Mauerwerk Grundrisse und Stärke der Wände zu kopieren,besorgte sich sogar Holz aus Murmansk, das den deutschen Baustoffen ähnlicher schien als heimische Produkte. Und immer wieder wurden die Holzkonstruktionen mit Wasser besprüht, um deutsche klimatische Verhältnisse zu simulieren. Hochgezogen wurden die Häuser unter anderem durch Häftlinge des Utah State Prison. Ausstatter eines Hollywood-Studios mussten die Wohnungen originalgetreu im deutschen Stil ausstatten. Alles sollte so aussehen und brennen wie in Deutschland. Die Ergebnisse müssen zufriedenstellend gewesen sein: Mindestens dreimal musste „Klein-Berlin“ zwischen Mai und September 1943 nach erfolgreicher Bombardierung wiederaufgebaut werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false