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Berlin: Bombenbauer kam mit Aldi-Tüte

Ermittler: Täter vom Weddinger Schillerpark ist technisch versiert. Ähnlichkeit mit früherem Sprengsatz

Die Menschen gehen jetzt mit anderen Augen durch den Weddinger Schillerpark. Wie die zwei Mitarbeiter des Grünflächenamtes, die am Montag Pause machen neben einer Wiese. Gebannt starren sie auf die gefüllte Plastiktüte unter der gegenüberliegenden Bank. „Einen Tag ist das her, und jetzt liegt da schon wieder eine“, sagt die Gärtnerin. Genau an dieser Stelle war am Sonntag eine in einer Plastiktüte versteckte Bombe explodiert. Als ein 58-jähriger Spaziergänger hineinschaute, ging der Sprengsatz hoch. Er wurde dabei so stark am Auge verletzt, dass er operiert werden musste. Vom Täter fehlt bisher jede Spur, doch die Frage nach seinem Motiv treibt die Parkbesucher um. „Hier gibt es viele arme Leute“, sagt die Gärtnerin, die seit acht Jahren regelmäßig im Schillerpark ist. Parkbesucher ließen abends oft große Tüten mit Pfandflaschen zurück. Sie glaubt, dass es der Täter auf die Flaschensammler abgesehen haben könnte. Andere sind überzeugt, dass es einen der Trinker im Park erwischen sollte. „Ich fasse jedenfalls keine Tüte mehr an.“ Am Montagabend gegen 20 Uhr wurde dann der rund drei Kilometer entfernte S-Bahnhof Bornholmer Straße vorübergehend geräumt, nachdem dort eine verdächtig erscheinende Plastiktüte gefunden worden war. Deren Inhalt erwies sich aber als harmlos – es handelte sich um Gartenabfall.

Inzwischen fragen sich viele Menschen: Kann dieser Täter je ermittelt werden? Ist es ein Serientäter?  Es ist schwer, den Mann zu finden, sagen Experten und Ermittler. Anhaltspunkte gibt es nur wenige. Im Mai konnte eine sprengfähige Rohrbombe am Nordufer in Wedding gerade noch entschärft werden. Am Sonntag nun explodierte der Sprengsatz im Schillerpark, nicht einmal zwei Kilometer entfernt. Beide Bomben waren in Plastiktüten versteckt, beide lagen in mehr oder weniger ungepflegten Grünanlagen. In beiden Fällen recht versteckt, eben nicht auf dem Präsentierteller. Dem Vernehmen nach sehen Ermittler Ähnlichkeiten bei den Konstruktionen vom Nordufer und vom Schillerpark. Beide seien technisch recht versiert gebaut, hieß es.

Der oder die Täter scheinen keine Skrupel zu kennen. Schließlich hätte auch ein Kleinkind die Tüten anfassen können, wenn es ins Gebüsch hinter der Bank gekrabbelt wäre – und wäre möglicherweise getötet worden durch die Explosion. Kriminaltechniker prüfen jetzt die Sprengkraft des heimtückischen Sprengsatzes. Von diesem Ergebnis hängt es ab, ob die Ermittlungen – bislang „Herbeiführen einer Explosion“ – ausgeweitet werden auf versuchten Mord. Eine Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft noch nicht gefällt. Um ein „Profil“ des Täters zu erstellen, gebe es zu wenige Taten, hieß es. Niemand könne sich derzeit in den Kopf des Täters hineinversetzen, dies mache den Fall so schwierig. „Die Hintergründe der Tat sind bisher völlig unklar“, teilte das Polizeipräsidium am Montag mit. In einem ganz anderen Licht erscheinen jetzt zwei Vorfälle aus den Jahren 2007 und 2008. Jeweils im Juni dieser beiden Jahre waren in Grünanlagen am Weddinger Dohnagestell – also wiederum keine zwei Kilometer entfernt – bereits explodierte Rohrbomben gefunden worden. Möglicherweise habe der Täter die Sprengkraft seiner Werke dort getestet, hatte die Polizei vermutet. 2008 im September war auf einem Schulhof in Pankow – nahe der Grenze zu Wedding – eine Rohrbombe gefunden worden.

Rohrbomben sind leicht zu bauen. Terroristen haben sie gezündet, Rechtsextremisten, zuletzt auch Rocker.  Schwarzpulver aus Böllern oder von Wunderkerzen reicht, dazu ein Metallrohr. Vor vier Jahren war in Brandenburg ein 18-Jähriger getötet worden, als er mit zwei Freunden eine selbst gebastelte Rohrbombe zündeten. Das Opfer hatte die Explosion noch mit dem Handy gefilmt. Vor mehreren Jahren hatten zwei Jugendliche in Wedding eine Rohrbombe nachts auf einen BVG-Bus geworfen. Sie wurden gefasst und zu Bewährungsstrafen verurteilt.

Hier sehen Experten jedoch einen anderen Tätertypus am Werke als beim Ablegen eines raffinierteren Sprengsatzes, der erst bei Berührung explodiert.Natürlich überprüfen die Ermittler des für Sprengstoffdelikte zuständigen Staatsschutzes, ob im Fall Schillerpark das Opfer auch als Täter infrage komme. Dies gehöre zur polizeilichen Routine, hieß es. Bislang gilt der 58-jährige Siegfried L. jedoch als harmloser Spaziergänger, der mit Hund im Park unterwegs war. Er liegt mit schweren Verletzungen im Gesicht und an den Armen im Virchow-Klinikum. Es besteht aber keine Lebensgefahr.

„Da war ein lauter Knall“, sagt eine 75-jährige Anwohnerin. Sie wohnt in der Nähe, in der Barfusstraße: „Ich habe mir nichts dabei gedacht, hier wird das ganze Jahr geböllert.“ Am Sonntag war sie mit ihrem Hund noch kurz vor 12 Uhr im Park spazieren. Weil der Hund sie in diese Ecke gezogen habe, habe sie auf der Bank – dem späteren Tatort – jemanden in kariertem Hemd gesehen, der dort „an etwas herumwerkelte“. Bei der Polizei hat sich die Anwohnerin bislang nicht gemeldet. Dabei sucht diese Zeugen, die am Sonntag oder in den Tagen zuvor „eine Person mit einer Alditüte“ im Schillerpark gesehen haben (Hinweise unter Telefon 4664 909 040). Juliane Hirschfeld vom Kinderladen Gänseblümchen kommt fast täglich auf den Spielplatz nahe der Edinburger Straße. „Klar waren wir schockiert“, sagt sie. Aber die Kinder wüssten: „Gebüsch und Müll sind tabu.“ Außerhalb des Spielplatzes lägen Spritzen, Scherben und Fäkalien herum. „Wir sind schon sehr wachsam.“ (mit tabu,sik)

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