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Berlin: Boxen statt prügeln

Schöneberger Wohnungsbaugesellschaft eröffnet Boxclub: Sport als Prävention für gefährdete Jugendliche

Pünktlichkeit, Ordnung, Disziplin: Es seien die „preußischen Tugenden“, die das Boxen lehre, sagt Wolfram Tarras, Prokurist der Wohnungsbaugesellschaft Gewobag und legt seinen Arm auf die Seile des Boxrings. „Werte, die auch im Leben wichtig sind.“

Dass sich der Geschäftsmann so sehr für diesen Sport ins Zeug legt, hängt mit dem Engagement seiner Firma in einem Nord-Schöneberger Kiezprojekt zusammen. Gestern eröffnete in der Potsdamer Straße 152 der Sportclub „Wir aktiv. Boxsport & mehr“. Das Gebäude, ein ehemaliger Teppichladen von fast 500 Quadratmetern Größe, wurde von der Gewobag gestellt, der im Bezirk rund 3800 Wohnungen gehören, das Training übernehmen ehrenamtliche Mitarbeiter. Die Ausstattung stammt von Sponsoren. Ziel der Aktion ist es in erster Linie, ein sinnvolles Freizeitangebot für die Jugendlichen im Kiez zu schaffen und sie vor einem Abrutschen auf die schiefe Bahn zu bewahren. Für die Gewobag „Ehrensache“ und bereits das zweite Engagement für Kiez und Boxsport.

Im August 2005 wurde in der Kurfürstenstraße ein kleineres Studio eingerichtet, in dem Jugendliche kostenlos trainieren konnten. Weil die Räumlichkeiten jedoch schnell nicht mehr ausreichten, folgte nun der Umzug. Dass die Gewobag sich ausgerechnet für den Boxsport engagiere, erklärt Tarras damit, dass dieser Sport im Kiez besonders gut angenommen würde und niemanden ausgrenze. „Eine Fußballmannschaft ist mit elf Leuten komplett, ein Boxclub noch lange nicht.“ Außerdem sei das Boxen in der Lage, den Jugendlichen Visionen und Hoffnung zu vermitteln. „Beim Boxen hat jeder die Möglichkeit, erfolgreich zu sein. Das spornt an.“

Rund 150 Jugendliche haben das Angebot in den alten Räumen genutzt, in den neuen sollen es noch mehr werden. Darüber hinaus richtet sich der Club auch an alle übrigen Bewohner der Gegend zwischen Nollendorfplatz und Yorckbrücken, weshalb neben Boxkursen in Zukunft auch Angebote für Senioren und Aerobic zum Programm gehören sollen.

Der sich so ergebende Kontakt nicht nur zwischen den Kulturen, sondern auch zwischen den Generationen, sei ebenfalls ausdrückliches Ziel der Einrichtung. Das erklärten alle Redner der Eröffnungsfeier – darunter der türkische Generalkonsul in Berlin, Ahmet Alpman, und Rainer Kotecki, Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung von Tempelhof-Schöneberg. Auch sie rühmten die positiven Nebeneffekte des Sports: Teamgeist, Fairness – und Pünktlichkeit.

„Na ja, das Boxen und Pünktlichkeit“, sagt Oktay Urkal und muss lachen. Der Boxprofi, der am 3. März in Costa Rica um die Weltmeisterschaft im Weltergewicht kämpft, und dessen Karriere vor über 20 Jahren ebenfalls in einem Schöneberger Boxclub begann, ist zur Eröffnungsfeier zu spät gekommen. Schuld war allerdings nicht Schlampigkeit, sondern der Verkehr. Den kostenlosen Boxclub jedenfalls hält er für eine „sehr sinnvolle Idee“, gerade in einem „Ghetto“ wie Nord-Schöneberg. „Viele Jugendliche hier haben nichts zu tun und machen deshalb Blödsinn“, sagt er. „Der Club gibt ihnen eine Möglichkeit, sich sinnvoll zu beschäftigen.“ Ginge es nach ihm, gäbe es mehr solcher Einrichtungen.

Auch die Polizei ist von der Idee angetan. „Sport ist in der Lage, als Stabilisator für Jugendliche zu dienen, die in Gefahr stehen abzurutschen“, sagt Hauptkommissar Henry Maiwald, in dessen Einsatzbereich der Sportclub eröffnet wurde. Gerade in diesem Quartier sei eine solche Einrichtung wichtig, erklärt er. Zwar nennt er Nord-Schöneberg nicht „Ghetto“, ein „Problemkiez“ sei der Bezirk aber fraglos. Die Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit der Jugend seien hoch. Es entstehe Frust, der oft in Aggression umschlage. Ein Sportclub sei da ein guter Ansatz, die potenziellen Delinquenten erst mal von der Straße zu holen. Da geht Maiwald mit Urkal konform. „Wer etwas zu tun hat, stellt keinen Quatsch an.“

Davon abgesehen seien solche Einrichtungen auch immer eine Chance für die Polizei, mit der Jugend in Kontakt zu kommen und Vorurteile abzubauen. Deshalb fördere die Polizei zusammen mit der Sportjugend Berlin und den Jugendämtern in zehn Berliner Bezirken ein eigenes Projekt namens „Kick – Sport gegen Jugenddelinquenz“.

Das Kick-Projekt in Marzahn-Hellersdorf stand jetzt allerdings kurz vor dem Aus. „Auf Grund von Kürzungen im Etat konnten die Betriebskosten des Gebäudes nicht mehr gedeckt werden“, erklärt eine Sprecherin des Bezirksamtes. Nur eine Spende von 7000 Euro durch den im Bezirk ansäßigen Messtechnikhersteller Flexim rettete das Projekt und ermöglicht einen Weiterbetrieb für ein Jahr.

Auch hier war der Auslöser für das Engagement der Wunsch, eine sinnvolle Einrichtung im Kiez zu unterstützen, erklärt Flexim-Geschäftsführer Jens Hilpert. „Marzahn-Hellersdorf ist ein manchmal schwieriger Bezirk und Projekte wie ,Kick‘ sind in der Lage, soziale Spannungen abzubauen.“ Eine Weiterförderung des Projektes im kommenden Jahr schloss Hilpert daher nicht aus.

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