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Berlin: Brandanschläge, Drohungen und Patronenhülsen – wie gefährlich ist die „Militante Gruppe“?

Von Otto Diederichs Die Sicherheitsbehörden blicken mit Sorge auf den Besuch des US-Präsidenten. Am 29.

Von Otto Diederichs

Die Sicherheitsbehörden blicken mit Sorge auf den Besuch des US-Präsidenten. Am 29. April gab es bereits einen Brandanschlag auf eine DaimlerChrysler-Niederlassung im brandenburgischen Großziethen. Zu dem Anschlag, den sie „als Teil des sich formierenden Widerstandes gegen den Kriegstreiber Bush“ bezeichnete, bekannte sich eine so genannte „Militante Gruppe“ (MG) aus Berlin. Generalbundesanwalt Kay Nehm hat das Ermittlungsverfahren übernommen. Ist mit der „Militanten Gruppe“ eine neue linksradikale Feierabend-Guerrilla entstanden? Darüber sind die Sicherheitsbehörden unterschiedlicher Meinung. Der Berliner Verfassungsschutz betrachtet die Gruppe eher gelassen, auf Bundesebene hingegen gehört die MG bereits seit einiger Zeit mit zu den Themen interner Gesprächsrunden zwischen der Generalbundesanwaltschaft, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundeskriminalamt.

Der Öffentlichkeit wurde die Gruppe erstmalig im Sommer 2001 bekannt. Damals war drei Prominenten, die die deutsche Zwangsarbeiterentschädigung mitausgehandelt hatten, zeitgleich ein Drohbrief zugegangen. In Berlin, Bonn und Stuttgart hatten der Beauftragte des Bundeskanzlers in diesen Verhandlungen, Otto Graf Lambsdorff (FDP), DaimlerChrysler-Vorstand Manfred Gentz und der Sprecher der „Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft“, Wolfgang Gibowski in ihrer Post ein Schreiben gefunden, dem eine scharfe Patrone beigelegt war. Zu den Briefen sowie einem Brandanschlag auf dem Gelände der DaimlerChrysler-Niederlassung in Marienfelde bekannte sich seinerzeit die „Militante Gruppe“. In ihrem Bekennerschreiben vom Juni 2001 erklärt sie: „Diese symbolische Aktion ist Ausdruck unseres militanten Widerstandes gegen die geschichtliche Entsorgungspolitik der Stiftungsinitiative“.

Mit dieser Aktion sei die MG dem Berliner Verfassungsschutz erstmalig „in den Blick geraten“, sagten Mitarbeiter dem Tagesspiegel. Für den damaligen Chef des Polizeilichen Staatsschutzes und heutigen Leiter des Landeskriminalamtes (LKA), Peter Michael Haeberer, war sie hingegen schon rund ein Jahr vor diesen Schreiben in der linksradikalen Szene-Zeitschrift „interim“ „im selben Begründungszusammenhang in Erscheinung getreten“ .

Da das Ermittlungsverfahren seit der Aktion gegen Lambsdorff, Gentz und Gibowski von der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe geführt wird, gibt es vom Berliner Staatsschutz keine Auskünfte mehr zur MG. Dort allerdings verweigert man weitergehende Auskünfte generell, „um die Ermittlungen nicht zu stören“, wie es lapidar heisst. Uneinig ist man sich offenbar auch darüber, wie ernst man sie nehmen muss. Aus der Ermittlungsübernahme durch den Generalbundesanwalt eine „erhöhte Gefährlichkeit abzuleiten ist nicht richtig“, meinen die hiesigen Verfassungsschützer. Daran ändere sich auch nichts durch die Drohaktion gegen den Reinickendorfer Sozialstadtrat Frank Balzer (CDU) im Februar diesen Jahres. Als „Personifizierung des alltäglichen Sozialamtsterrors“ war ihm eine scharfe Patrone und ein Messer zugeschickt worden. Zeitgleich wurde in den Kellerräumen des Sozialamtes ein Brandsatz gezündet, der ohne größeren Schaden anzurichten von selbst erlosch. Zu beiden Aktionen bekannte sich die MG.

Die Verfassungsschützer gehen davon aus, dass es sich bei der „mehr als zwei aber unter zehn“ Personen umfassenden MG um keine feste Gruppierung handelt. Anschläge gegen Fahrzeuge und Gebäude wie nun in Großziethen seien auch künftig zu erwarten, heisst es. Die Täter zu fassen, sei jedoch schwierig. Mit ernsten Angriffen auf Personen rechnet man derzeit nicht, da dies momentan „in der Szene nicht vermittelbar“ sei. Daher suche die MG hierzu über die „interim“ eine Diskussion, „die für sie wichtig ist“. Diese Position hatte die Leiterin des Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, kürzlich in einer Sitzung des parlamentarischen Verfassungsschutzausschusses vertreten.

Ganz falsch scheint die These nicht zu sein. Bereits das Bekennerschreiben vom Sommer 2001 forderte zu einer „Debatte in alle erdenklichen Richtungen“ auf. Eine klare Linie ist bei dieser Diskussion, an der sich auch eine „Autonome Miliz“ und eine Magdeburger Gruppe beteiligen, jedoch nicht zu erkennen. Zwar sieht man sich gern in der Tradition der inzwischen aufgelösten „Revolutionären Zellen“ und schwadroniert von „Knieschüssen“ und „politischen Liquidationen“. Zugleich aber will die MG auch Erfahrungen anderer westeuropäischer „Organisationen und Befreiungsbewegungen“ beim Aufbau „revolutionärer Parteien“ mitdiskutiert wissen, um „unsere Phobie vor Prozessen eines Parteiaufbaues zu hinterfragen“.

Das passt nicht so recht zusammen. Knieschüsse halten die Berliner Geheimdienstler daher zur Zeit für wenig wahrscheinlich: „Die sind noch unterhalb dieser Schwelle“. Alte Erinnerungen wecken die Drohaktionen der MG gleichwohl. So wurde etwa dem damaligen Ressortleiter der „Tageszeitung“ im Frühjahr 1993 eine 9-mm-Patrone zugeschickt und mit Knieschüssen gedroht. Wahrgemacht wurde die Drohung nie, die dahinter stehende Gruppe „Klasse gegen Klasse“ ist längst Geschichte, gefasst wurde niemand.

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