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Das Kriminalgericht Moabit an der Turmstraße.

© Paul Zinken/dpa

Brandbrief aus dem Berliner Landgericht: "Wir sind am Ende. Wir können nicht mehr"

Die Strafkammern des Berliner Landgerichts sind fast komplett überlastet. Ein Hilferuf der Präsidentin stößt beim Senator bislang auf Desinteresse.

Von Fatina Keilani

Der Brief wirkt zunächst harmlos, doch steckt in ihm politische Brisanz. Im Kern steht drin, dass die großen Strafkammern keine Verfahren mehr bearbeiten können, außer Haftsachen, und auch diese nicht in den rechtlich vorgeschriebenen Zeiträumen. „Das ist ein ausgesprochen dramatisches Schreiben. Es bedeutet: Wir sind am Ende. Wir können nicht mehr“, kommentiert ein Staatsanwalt.

Den Brief vom 28. September 2017 hat der Vizepräsident des Landgerichts, Christoph Mauntel, in Vertretung der Gerichtspräsidentin Gabriele Nieradzik an die Justizverwaltung geschickt; auch der Kammergerichtspräsident, der Präsident des Amtsgerichts Tiergarten und die Staatsanwaltschaft bekamen ihn. Er liegt dem Tagesspiegel vor.

„Wir wissen nicht, wie wir die Eingänge verteilen sollen“

„Belastung der großen Strafkammern“ steht in der Betreffzeile. „Zum 15. September waren bereits 17 von 21 allgemeinen großen Strafkammern von der turnusmäßigen Verteilung neu eingehender Haftverfahren ausgenommen“, schreibt Mauntel. Von den vier verbliebenen Kammern hätten sodann zwei weitere Überlastung angezeigt, eine weitere hat Überlastung angekündigt. „Wir wissen nicht, wie wir die Eingänge verteilen sollen“, heißt es dazu aus dem Gericht.

Große Strafkammer, das bedeutet, es handelt sich um schwere Taten mit einer Strafandrohung von mehr als vier Jahren, also Kapitaldelikte, Wirtschaftsstrafverfahren, auch Sexualstraftaten, deren Zahl infolge des neuen Rechts stark gestiegen ist. Die Staatsanwaltschaft schreibt immer mehr Kammeranklagen, also Anklagen, die bei einer großen Strafkammer erhoben werden statt vor dem Schöffengericht oder dem Strafrichter.

" ... kommt es zu Entlassungen aus der Untersuchungshaft"

„Wir können nicht mehr damit rechnen, dass unsere Anklagen verhandelt werden und müssen befürchten, dass es zu Entlassungen aus der Untersuchungshaft kommt“, sagt ein Staatsanwalt. „Wir versuchen schon, den Anklagevorwurf möglichst runterzukochen, um beim Amtsgericht vor dem erweiterten Schöffengericht anklagen zu können.“ Eine tat- und schuldangemessene Ahndung von Straftaten sei beim Landgericht nicht mehr zu erwarten.

Spätestens vier Monate nach Anklageerhebung muss die Hauptverhandlung beginnen, das ist ständige Rechtsprechung des Kammergerichts. Es entspricht auch den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Hiergegen verstößt das Landgericht dem Inhalt des Brief zufolge.

Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen).
Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen).

© dpa

„Die Lage bei den großen Strafkammern ist alarmierend und erfordert sofortiges Handeln des Justizsenators“, sagte der CDU-Rechtspolitiker Sven Rissmann. „Es droht ein Kollaps, der dazu führen kann, dass Haft- und große Strafsachen nicht oder nicht mehr sachgerecht bearbeitet werden können, was unerträglich ist und nicht sein darf. Behrendt muss diesen Vorgang sofort zur Chefsache machen und sicherstellen, dass Straftäter nicht wegen Überlastung der Gerichte auf freien Fuß kommen.“

Senator Behrendt ignoriere die Lage trotz ihrer Dramatik, konstatiert ein Richter. „Dass der Justizsenator den klaren Hilferuf der Präsidentin des Landgerichts dem Parlament schlicht verschwiegen hat – insbesondere während der Haushaltsberatungen – ist eine Täuschung durch Unterlassen“, sagte der FDP-Innenpolitiker Marcel Luthe. „Damit hat der Senator verhindert, dass das Parlament auf diesen unhaltbaren Zustand reagieren kann.“

Engpässe seien "keine neue Erkenntnis"

Am Mittwoch habe der Justizsenator den Inhalt des Briefs noch nicht gekannt, heißt es in der Justizverwaltung. Am Freitag sagte Justizsenator Behrendt dem Tagesspiegel, die in dem Brief beschriebenen Engpässe seien „keine neue Erkenntnis“, und sie besorgten ihn. „Seit Jahren ist es ein Ärgernis, dass die Verfahren länger und komplizierter werden.“ Fehlende Verhandlungssäle und fehlendes Personal seien bekannte Probleme.

In der Justizverwaltung schiebt man der CDU die Schuld zu. "Herr Dr. Mauntel (...) verweist zurecht auf den desaströsen Zustand, den die CDU in der Berliner Justiz hinterlassen hat“, sagte Behrendts Sprecher Sebastian Brux. „Deshalb kommt nun die Trendwende“, sagte der Justizsenator mit Blick auf den verhandelten Haushalt.

„Wir können in den ersten zehn Monaten nicht alles reparieren, was die CDU vier Jahre lang heruntergerockt hat. Senator Behrendt macht sich mit dem Doppelhaushalt auf den Weg, die Berliner Justiz wieder zu reparieren."

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