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Märkische Stimme. Oberbürgermeisterin Dietlinde Tiemann will in den Bundestag.

© dpa

Brandenburg vor der Bundestagswahl: Viele Kandidaten, wenig Plätze

Prominente Kandidaten, gemeine Vergleiche und kernige Worte: In Brandenburg sind die Parteien bereits im Vorwahlkampfmodus.

Er sieht sich als Patriot. Und deshalb zieht es ihn jetzt noch in die Politik, trotz des Risikos, 63 Jahre alt, SPD, seit 1996 Generalstaatsanwalt in Brandenburg, dienstältester in Deutschland. Und nun will Rautenberg in seiner Heimatstadt Brandenburg an der Havel im Herbst 2017 für den Bundestag kandidieren. Was ihn dazu bewog? Auslöser seien die „fürchterlichen Wahlprognosen“, die im Land die rechtspopulistische AfD auf Platz zwei hinter der CDU sehen und vor der SPD, sagt er. „Da habe ich mir gesagt: Ich muss meiner Partei diesen Dienst anbieten.“ Er sei zur Kandidatur bereit, entscheiden müsse das die Basis.

Für ihn hat das innere Logik, da er seit zweieinhalb Jahrzehnten in und außerhalb des Dienstes gegen Rechtsextremismus focht, zur Hassfigur von Neonazis wurde – Mordaufrufe inklusive. Er stritt zugleich darum, mit Gespür für Identitätsfragen und dem Detailwissen um Geschichte, den Braunen nicht die „Nation“ zu überlassen: „Wir müssen dem Nationalismus der Rechtsextremen den Patriotismus der Demokraten entgegensetzen.“ Und deshalb weht vor dem Dienstsitz die schwarz-rot-goldene Fahne, nach dem Hambacher Vorbild, Gold nicht Gelb. Vor allem aber, sagt er, wolle er seine Kompetenz für Innere Sicherheit einbringen. Auch da hatte Rautenberg zuletzt sogar bundesweit für Schlagzeilen gesorgt, als er im Herbst 2016 versuchte, Flüchtlingsdateien vom Bundesamt für Migration zu beschlagnahmen, um „Schläfer“ schneller zu enttarnen. Das war vor dem Berliner Anschlag.

Folgt auf Steinmeier Rautenberg?

Rautenberg will nicht irgendwo kandidieren. Der Wahlkreis 60 in und um Brandenburg, zu dem Teile des Havellandes, Potsdam-Mittelmarks, sogar Teltow-Flämings gehören, ist besonders umkämpft. Direkt gewählter Abgeordneter ist dort Bundesaußenminister Frank–Walter Steinmeier (SPD), der Bundespräsident werden will. 2013 hatte Steinmeier hier, für die SPD im Land, mit hauchdünnem Vorsprung, das einzige Direktmandat geholt. Nach jüngsten Umfragen führt aktuell wieder im Land die CDU haushoch, und sie würde nach einer aktuellen Prognose der Plattform election.de acht der zehn Wahlkreise direkt gewinnen – einen die Linke, einen die SPD, nämlich den Wahlkreis 60, Steinmeier–Effekt einkalkuliert. Für die Linke tritt eine Prominente an, nämlich die parteilose Netz-Aktivistin Anke Domscheit-Berg.

Erardo Rautenberg will in den Bundestag.
Erardo Rautenberg will in den Bundestag.

© picture alliance / dpa

Favoritin aber ist Oberbürgermeisterin Dietlind Tiemann (CDU), die seit 2003 die Havelstadt regiert, zwei Mal direkt gewählt. „Es ist für mich eine Chance, 13 Jahre kommunale Erfahrungen in die Bundespolitik einzubringen“, sagt Tiemann. Schließlich erlebe man doch immer wieder, dass dort Gesetze beschlossen werden, die weit weg von der Realität sind. Verrät sie damit nicht die Stadt, die sie just im Kampf gegen die rot-rote Kreisgebietsreform verließe? Da reagiert sie empfindlich. „Überhaupt nicht!“ Schließlich gebe es mit ihrem Rathaus-Stellvertreter Steffen Scheller einen Kandidaten, der gute Chancen habe, bei dem Brandenburg nahtlos in guten Händen bliebe. Und für den Wahlkreis wolle sie mehr herausholen als Steinmeier, sagt sie. Tiemann erinnert daran, wie der damalige Kanzlerkandidat Steinmeier 2009 im Ortsteil Kichmöser demonstrativ ein Bauschild für ein neues Bahntechnologiezentrum enthüllt hatte. „Auf die Investition warten wir vergeblich. Es ist wie beim Flughafen“, sagt Tiemann.

Gauland tritt dort an, wo er "nicht einmal die Hauptstraße mit Namen" kennt

Und dann gibt es im Osten einen Wahlkreis, wo der Ausgang wohl sogar über die Grenzen des Landes hinaus bedeutsam wird: In Frankfurt an der Oder (WK 63) tritt AfD-Landeschef und Bundessprecher Alexander Gauland an, obwohl er dies kategorisch ausgeschlossen hatte, da dies „völlig falsch und unauthentisch“ wäre, „wo ich wahrscheinlich noch nicht einmal die Hauptstraße mit Namen kenne“. Nun tut er es also doch, offenbar in der Hoffnung, dass er in der Grenzstadt mit Anti-Flüchtings-Parolen punkten kann. Im Wahlkreis 63 kandidiert auch Thomas Nord, MdB, Linke, Bundesschatzmeister seiner Partei, früher Landeschef. Favorit ist ein Mann, der für die CDU im Bundestag sitzt, in der Flüchtlingspolitik der Gegenentwurf zu Gauland: Martin Patzelt, Ex-Oberbürgermeister der Stadt, der privat Flüchtlinge aufnahm, der alles darauf setzt, dass die Frankfurter Menschlichkeit wählen. Er hat sich von seiner Partei auf der Landesliste für den Bundestag auf den aussichtslosen Platz 10 setzen lassen, um in Frankfurt/Oder zu gewinnen.

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