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Brandenburg: Krude Begriffsakrobatik

Jürgen Dittberner diskreditiert die Menschen, die ein Zeichen gegen Rechtsextremisten setzen Von Erardo Rautenberg

Die Freude über die Mobilisierung von 10 000 Demokraten unter dem Motto „Lass Nazi-Träume platzen!“ am 18. November gegen das in nationalsozialistischer Tradition stehende „Heldengedenken“ von Rechtsextremisten in den brandenburgischen Gemeinden Halbe und Seelow war noch nicht verflogen, da schüttete ein Professor aus Potsdam schon Wasser in den Wein. Jürgen Dittberner meint nämlich, dass es in Deutschland keine „Nazis“ oder „Neonazis“ gebe, der Rechtsextremismus mithin aufgeblasen werde. Er bestreitet wohl nicht, dass in der NPD braunes Gedankengut verbreitet ist, denn sie sei „leider, weiter eine zugelassene Partei“. Für ihn darf man aber von „Nazis“ nur sprechen, wenn die Rechtsextremisten ihre politischen Ziele verwirklicht haben, wozu es in der Tat noch nicht gekommen ist und hoffentlich nie kommen wird. Spricht man vorher von „Nazis“, verniedlicht man für Dittberner die „Terrororganisationen NSDAP, Gestapo oder SS“ und missachtet deren Opfer.

Ich finde hingegen, dass durch die krude Begriffsakrobatik Dittberners der heutige Rechtsextremismus verharmlost wird. Aber Dittberner glaubt ja offenbar fest an Karl Marx, wonach sich große weltgeschichtliche Tatsachen zweimal ereignen, und zwar das zweite Mal als „lumpige Farce“. Da ich nicht so Marx-gläubig bin wie das FDP-Mitglied Dittberner, habe ich mit vielen anderen die Sorge, dass sich das unleugbare Erstarken nationalsozialistischen Gedankenguts nicht in einer Farce erschöpfen könnte.

Die Rechtsextremisten profitieren nämlich von einem kürzlich auch von Bundestagspräsident Norbert Lammert beklagten Akzeptanzverlust unseres demokratischen Rechtsstaates in der Bevölkerung. Mitursächlich hierfür ist, dass in den alten Bundesländern das demokratische System nicht mehr mit wachsendem wirtschaftlichen Wohlstand in Verbindung gebracht wird, was seine Akzeptanz in der Nachkriegszeit begünstigt hatte, und in den neuen Bundesländern die an den Systemwechsel vor 16 Jahren geknüpften Erwartungen in wirtschaftlicher Hinsicht vielfach enttäuscht worden sind. Zwar besteht kein Grund zur Panik, doch gilt es, sich zur Demokratie zu bekennen und dem Rechtsextremismus mit rechtsstaatlichen Mitteln entgegenzutreten.

Dittberner diskreditiert jedoch diejenigen, die gegen die Rechtsextremisten demonstrieren: Dies sei heute nämlich anders als 1933 ohne Gefahr möglich und kein „gefühlter Antinazi“ könne sicher sein, „ob und wie er 1933 und danach Courage gezeigt hätte“. Folgt man diesem Gedankengang Dittberners bis zum Ende, sollten wir uns also moralisch verpflichtet fühlen, mangels ausreichender Selbstgefährdung den Rechtsextremisten gleich die Straße überlassen. Soweit wir gegen die NPD als zugelassener Partei demonstrieren und „den missliebigen Rechten Räume“ verweigern, erheben wir uns für Dittberner zudem auch noch „über das Verfassungsgericht und das Parteienprivileg“. Seiner Aufmerksamkeit ist also offenbar entgangen, dass die Verfassung auch Gegendemonstrationen schützt, soweit damit das Demonstrationsrecht anderer nicht verletzt wird, worüber die Justiz wacht. Nach meinem Erkenntnisstand hat sich die ganz überwiegende Mehrheit der Gegendemonstranten am „Tag der Demokraten“ im Rahmen des rechtlich Zulässigen gehalten und auch deshalb ein besonders eindrucksvolles Zeichen gegen den Rechtsextremismus in unserem Land gesetzt. Für Dittberner sind das hingegen „schöne Demokraten … Sie fuchteln gegen die Rechten und wissen, dass sie damit nichts erreichen.“ Ich habe lange nicht mehr so einen von einem Professor verfassten Unsinn gelesen!

Erardo Rautenberg ist Generalstaatsanwalt von Brandenburg. Er antwortet hier auf die Position „Nazis? Gibt’s nicht“ von Jürgen Dittberner, die am 19. November im Tagesspiegel erschienen ist.

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