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Selbsterkenntnis-Bilder. Der Maler schaut ins Ich, die Politik schlägt Alarm.

© dpa

Umstrittene Ausstellung im Potsdamer Landtag: Hitler und wir

Kunst und Demokratie: CDU-Abgeordnete laufen Sturm gegen die Präsenz der „Bilder von Diktatoren und Verbrechern“. Andere bezeichnen die Skandalisierung der Bilder als überzogen.

Die parteipolitische Aufregung um „Ich! Meine Selbstporträts zwischen 1635 und 2003“, eine Ausstellung des Künstlers Lutz Friedel im Potsdamer Landtag, entfacht einen Grundsatzstreit: um Kunst und Demokratie. Wie berichtet, zeigt Friedel in Potsdam 112 Gemälde, auf denen er seine eigenen Züge in verfremdete Gesichter historischer Gestalten einträgt, darunter Franz Kafka, Anne Frank, die Altbundeskanzler Konrad Adenauer und Helmut Schmidt, außerdem Stalin, Goebbels sowie – unter dem Titel „Selbst als Helge Schneider als Hitler“ – der berüchtigtste Kanzler des Deutschen Reiches, Adolf Hitler.

Gegen solch prominente Präsenz der „Bilder von Diktatoren und Verbrechern“ laufen CDU-Abgeordnete des Landtags Sturm. Als erste Bundespolitikerin hat die Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, betont, dass sie zwar grundsätzlich für Freiheit der Kunst eintrete, diesen konkreten Fall aber „außerordentlich problematisch“ finde. Die Bundestagspressestelle unterband derweil ein Tagesspiegel-Interview mit dem als Kunst-&- Politik-Experten ausgewiesenen Kurator der Parlaments-Kunstsammlung, Andreas Kaernbach: Als Mitglied der Verwaltung dürfe er hierzu nichts sagen, da die Debatte politisch geführt werde.

Freimütiger äußern sich zwei Mitarbeiterinnen des Jüdischen Museums Berlin, unter dem Vorbehalt, die Qualität der umstrittenen Arbeiten nicht beurteilen zu können, da man die Ausstellung nicht kenne. Programmdirektorin Cilly Kugelmann erinnert an den israelischen Künstler Oz Almog, der vor knapp 20 Jahren in Wien Monumentalschinken nach Art des Personenkults totalitärer Regime gemalt und dabei Hitler und Stalin mit seinem Konterfei versehen habe. Das sei eine Persiflage gewesen. Ob der Maler Friedel sich den Diktatoren ironisch nähere, wisse sie nicht, aber bei einem historischen Bogenschlag von 1635 bis 2003 könne man diesen Aspekt der Geschichte nicht ausblenden, „als habe sie nicht stattgefunden“, man müsse ihn bearbeiten. Kunst folge eigenen Regeln, und wenn man sie in den Landtag einlade, könne man nicht sicher sein vor ihrer Provokation.

Die Sammlungsleiterin des Jüdischen Museums, Inka Bertz, nennt in diesem Zusammenhang auch den Israeli Roee Rosen und dessen Zeichnungen „Live and Die as Eva Braun“ (1995/97), ein Spiel mit Nazimythen. Kunst habe ihren autonomen Freiheitsraum, sei „immer mit Risiko verbunden“, und wenn die Politik sie einlade, um an ihrem Renommee teilzuhaben, sei das wie auf einer Party: Man könne keinen geladenen Gast rauswerfen, weil er „nicht richtig angezogen sei“. Welche Absicht habe der Landtag eigentlich mit seiner Einladung verfolgt?

Christhard Neubert, Kunstbeauftragter der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, kennt Friedel seit Jahren, zweimal hat er mit dessen Werken Ausstellungen in Kirchen realisiert. Die durch Arnulf Rainer eingeführte Technik der Übermalung beschäftige Friedel seit langem, dazu habe es von ihm eine „Totentanz“-Ausstellung in der Berliner Kirche zum Guten Hirten gegeben. Die Potsdamer Skandalisierung, sagt der Pfarrer, sei „überzogen“. Der Ansatz des Künstlers sei nachvollziehbar: Es gehe darum, nicht auf andere zu verweisen, sondern Assoziationen „zu Anne Frank und zu Hitler in sich selbst“ aufzuspüren, Verzweiflung oder den Wahnsinn – oder „die Demagogie eines Goebbels“. Das sei gegen „Verdrängungsstrategien“ gerichtet, gegen das Delegieren von Verantwortung, also geeignet für ein Abgeordneten-Haus. Neubert lobt den Mut, Bilder, die mehr als nur Deko seien, unkommentiert zu zeigen: ohne jene Erklärtafeln, die nun am Wochenende hinzugefügt werden sollen. Das eigene Urteil hätte man den Abgeordneten ruhig zutrauen können, eine „Handreichung“ sei eher ein Rückschritt in die Unmündigkeit.

Es sei durchaus denkbar, Friedels Porträts zur Passionszeit im sakralen Raum zu zeigen, weil sie die Frage stellen „Wer bin ich eigentlich?“ So könne die Kunst „uns helfen, dass wir uns ansehen, wie wir sind“.Thomas Lackmann

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