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Brandenburg: Wem gehört Teltow-Seehof?: Der Fall eines ehemaligen Gutshofes beschäftigt jetzt die Gutachter

Der Mann am Ende der Hannemannstraße in Teltow-Seehof gibt dem Haus gegenüber keine großen Chancen mehr. Nach dem Tod der letzten Bewohner vor längerer Zeit verfalle die kleine Villa aus den dreißiger Jahren zusehends.

Der Mann am Ende der Hannemannstraße in Teltow-Seehof gibt dem Haus gegenüber keine großen Chancen mehr. Nach dem Tod der letzten Bewohner vor längerer Zeit verfalle die kleine Villa aus den dreißiger Jahren zusehends. Das Dach müsste zuerst erneuert werden. Doch den Nachkommen fehle für eine Reparatur wohl das Geld, mutmaßt der ältere Herr. Da bleibe wohl nur die Abrissbirne, die in dem Viertel an der südlichen Grenze zu Berlin in den vergangenen Jahren schon so manches Haus getroffen habe. "Verkaufen können es die Erben nicht. Da müssen die erst die Saberskys auszahlen." Der Mann winkt ab. "Das ist eine lange Geschichte."

"Sabersky". In allen Gesprächen im schönen Vorort rechts und links der Lichterfelder Allee taucht dieser Name auf. Er prangt nicht nur auf dem Schild einer Allee unweit des Teltowkanals, sondern hat unter den 3000 Bewohnern ein emsiges Stöbern in Familienchroniken, Fotoalben und Kisten mit alten Papieren ausgelöst. Saberskys Erben beanspruchen die Rückgabe aller 850 Grundstücke und einiger weiterer Parzellen des ehemaligen Gutes Seehof. Nicht nur der Fall an sich - er gehört zu den größten Forderungen in ganz Ostdeutschland - beschäftigt die verunsicherten Bewohner. Vor allem die lange Zeit der Ungewissheit macht ihnen zu schaffen, genauso wie den Sabersky-Erben. Fast zehn Jahre nach der Einheit ist der Streit um Seehof immer noch nicht entschieden, was zuletzt auch Reporter des "Wall Street Journal", von "Le Monde" und der "New York Times" verwunderte.

Denn auf den ersten Blick liegt der Fall ziemlich klar. Teltow-Seehof befand sich in der Weimarer Republik im Eigentum einer jüdischen Erbengemeinschaft - Nachkommen der Brüder Max und Albert Sabersky. Diese hatten 1878 das 84 Hektar große Gut Seehof sowie Grundstücke am Potsdamer Platz (heute Teil des debis-Geländes), in Lichterfelde und Teltow erworben. Nach dem Machtantritt der Nazis wurden die Mitglieder der Familie Sabersky und der durch Heirat 1906 entstandenen Familie Sonnenthal zunächst mit Berufsverbot belegt. Sie durften nicht mehr als Rechtsanwälte oder Ärzte arbeiten. Am 1. Oktober 1933 trat das Reichserbhofgesetz in Kraft, dass Juden keine selbstständige landwirtschaftliche Tätigkeit erlaubte. Damit verloren die Saberskys in Seehof ihre letzte Einnahmequelle. Sie entschlossen sich zur Flucht und zum Abschluss eines Vertrages über den Verkauf ihrer Grundstücke in Berlin und Umgebung.

Während die heute vorwiegend in den USA lebenden Erben sämtliches Grundvermögen in Berlin - im Westen schon nach dem Kriege - zurückerhielten, stoßen sie im Fall von Teltow-Seehof auf eine "Mauer aus Feindschaft und Verschleppung". So formulierte es der amerikanische Anwalt Peter Sonnenthal, der die Erbengemeinschaft in Amerika vertritt. Er kritisiert vor allem das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen des Landkreises Potsdam-Mittelmark, das global alle Ansprüche der jüdischen Erben ablehnte. Inzwischen haben die Erben gegen den Landrat von Potsdam-Mittelmark als Dienstherr des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen eine Untätigkeitsklage erhoben.

Der Streit dreht sich um drei Fragen: War der von den Erben ab 1933 erzielte Kaufpreis für Seehof angemessen? Haben die Erben den Kaufpreis überhaupt erhalten? Konnten die Erben über den Kaufpreis frei verfügen? Die Antworten darauf liegen weit auseinander. Das Vermögensamt sagt im Wesentlichen "Ja", denn es sieht für die Parzellierung der Gutsfläche und deren Verkauf an einen Makler mit NSDAP-Parteibuch keine "Gründe der Verfolgung". Beide Seiten belegen ihren Standpunkt mit zahlreichen Dokumenten, die jeweils das Gegenteil beweisen. Mit fast schon kriminalistischem Gespür forscht eine Bürgerinitiative in alten Archiven und Schubladen nach Dokumenten, um den vermeintlich redlichen Verkauf der Grundstücke nachweisen zu können.

Das internationale Interesse verdankt der Fall seiner Einzigartigkeit. Denn die deutsche Rechtsprechung geht in der Regel von "Zwangsverkäufen" aus, denen sich individuell und kollektiv Verfolgte zwischen dem 31. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 nicht entziehen konnten. "Die Sabersky-Erben haben durch den Grundstücksverkauf ab 1933 sehr wohl Vermögensverluste erlitten", sagt Anwalt Florian C. Lewens, der Anwalt der jüdischen Erbengemeinschaft in Potsdam. Ohne den Machtantritt der Nazis hätte die Familie ihr Vermögen nicht veräußert.

Derzeit beschäftigt sich ein vom Potsdamer Verwaltungsgericht bestellter Gutachter mit zwei konkreten Fällen. "Ich gehe davon aus, dass die Expertise bis Ende des Jahres vorliegen wird", sagte Lewens am Mittwoch. Seiner Einschätzung nach wird das Potsdamer Verwaltungsgericht noch vor Weihnachten eine mündliche Verhandlung anberaumen. Ein Vergleich zu den beiden Fällen war im April vor der Potsdamer Kammer gescheitert.

Für die betroffenen Einwohner hat der Rechtsstreit fatale Folgen. Sie dürfen wegen des Rückgabeanspruches ihre Häuser wie in der Hannemannstraße nicht verkaufen. Banken geben keine Kredite für notwendige Reparaturen. Inzwischen ist in rund 200 Fällen eine private Lösung gefunden worden. Gegen die Zahlung der Hälfte des Verkehrswertes des Grundstückes verzichtet die Erbengemeinschaft auf das Restitutionsverfahren. Doch längst nicht alle Familien können das Geld aufbringen, die Quadratmeterpreise liegen zwischen 340 und 380 Mark.

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