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Brandenburg: „Wir kämpfen gegen rechtsextremen Alltagsterror“ - Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg über fremdenfeindliche Gewalt in Brandenburg

Übergriffe auf Ausländer und Farbige sind in Brandenburg keine Ausnahme. Warum hat der Generalbundesanwalt diesmal die Ermittlungen an sich gezogen?

Übergriffe auf Ausländer und Farbige sind in Brandenburg keine Ausnahme. Warum hat der Generalbundesanwalt diesmal die Ermittlungen an sich gezogen?

Versuchter Mord aus fremdenfeindlicher Gesinnung ist nun doch nicht die Regel. Nur bei derart schwerwiegenden Straftaten hat der Generalbundesanwalt überhaupt die Möglichkeit, die Verfolgung zu übernehmen. Ob die weiteren Voraussetzungen für eine Übernahme vorliegen, nämlich die Gefährdung der „inneren Sicherheit der Bundesrepublik“ und die „besondere Bedeutung des Falles“ wird bei einer Anklageerhebung das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden haben.

Das Brandenburger Innenministerium hat kürzlich einen Rückgang rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Gewaltstraftaten im Land verkündet. Gibt es eine Trendwende?

Nein. Für eine derartige Feststellung reicht der Rückgang der Fälle in einem Jahr nicht aus. Die weitere Entwicklung bleibt also abzuwarten. Die Zahlen sind immer noch unerträglich hoch.

Hat man sich an Übergriffe auf Ausländer, anders Aussehende oder Linke gewöhnt?

Nein. Ich denke, dass die 1997 vom Land begonnenen Maßnahmen zur Mobilisierung der Gesellschaft immerhin bewirkt haben, dass die Rechtsextremisten sich in der Regel nur noch auf Großdemonstrationen trauen, ihre Gesinnung öffentlich zur Schau zu stellen.

Trotzdem kann das, was in Potsdam passiert ist, überall im Land passieren?

Ja. Leider.

Gibt es Regionen, die Farbige lieber meiden sollten?

Nein.

Besteht die Gefahr eines rechtsextremen Alltagsterrors?

Dieser Gefahr begegnen wir bereits. Der Bundesgerichtshof hat am 10. Januar die Verurteilung von fünf Jugendlichen und Heranwachsenden wegen Bildung der terroristischen Vereinigung „Freikorps“ durch das Brandenburgische Oberlandesgericht bestätigt. Die Gruppe wollte durch Brandanschläge auf von Ausländern betriebene Imbissbuden ein „ausländerfreies Havelland“ erreichen. Als ich im November 2004 die Anklage erhob, konnte ich in der Presse auch lesen, dass der Vorwurf des Terrorismus wohl überzogen sei…

Die Brutalität nimmt zu. Reicht der Verfolgungsdruck aus?

Von einer Zunahme der Brutalität kann man nicht sprechen. Das Eintreten und Einschlagen auf wehrlose „Andersartige“ mit dumpfer Vernichtungstendenz ist vielmehr ein Verhaltensmuster rechtsextremistischer Gewalttäter, mit dem ich seit 1993 immer wieder dienstlich befasst worden bin. Seit etwa zehn Jahren halten Staatsanwaltschaft und Polizei einen hohen Verfolgungsdruck dagegen, der kaum zu erhöhen ist.

Der Bund stellt die Weiterfinanzierung von Projekten gegen Rechtsextremismus in Frage.

Das wäre nicht der richtige Weg.

Wie kann man der stark verbreiteten Fremdenfeindlichkeit begegnen?

Man muss den „demokratischen Grundkonsens“ stärken. Fremdenhasser lehnen auch den Rechtsstaat ab, der die Menschenwürde aller garantiert. Leider sind die Erwartungen vieler „im Osten“ an das demokratische System enttäuscht worden. Auch „im Westen“ wird damit im Bewusstsein der Bevölkerung längst nicht mehr wachsender Wohlstand verbunden, was nach Überwindung der NS-Diktatur wesentlich zur Akzeptanz des Gesellschaftssystems der Bundesrepublik beigetragen hatte. Die demokratischen Politiker sollten daher bei allem notwendigen Streit der Bevölkerung auch ihre gemeinsamen Grundüberzeugungen deutlicher machen als bisher.

Die Fragen stellte Michael Mara

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