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Brandenburg: "Wir können uns keine neuen Menschen schaffen"

Brandenburgs Innenminister Alwin Ziel über Rechtsradikalismus, Stasi und die PDSAlwin Ziel, 55, ist seit Herbst 1990 Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident.Wegen seines harten Kurses gegen Rechtsextremisten hat er sich bundesweit einen Namen gemacht.

Brandenburgs Innenminister Alwin Ziel über Rechtsradikalismus, Stasi und die PDSAlwin Ziel, 55, ist seit Herbst 1990 Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident.Wegen seines harten Kurses gegen Rechtsextremisten hat er sich bundesweit einen Namen gemacht.Andererseits ist der in Quernau (Westpreußen) geborene Lehrer und Jurist, der 1989 in die SPD eintrat, wegen der großen Zahl ehemaliger Stasi-Mitarbeiter in der Polizei und der Überprüfungspraxis seines Ministeriums in die Schußlinie der CDU-Opposition geraten. Mit Ziel sprachen Frank Jansen und Michael Mara.

TAGESSPIEGEL: Die Sicherheitslage im Lande ist prekär, vor allem für potentielle Opfer rechtsradikaler Schläger.In den meisten anderen Bundesländern sind Straftaten von Skins und Neonazis 1996 zurückgegangen, in Brandenburg haben sie zugenommen.Es gab einen Toten und zahlreiche Verletzte.Was ist da für 1997 zu erwarten? ZIEL: Es hat im letzten Jahr eine geringfügige Steigerung gegenüber 1995 gegeben.Ausschlaggebend ist mehr die Qualität der Gewalt, die von den Rechtsextremisten ausgeht.Das Problem ist die Brutalität, die Verrohung der Täter.Ich sehe für 1997 eine besondere Gefahr darin, daß sich das intellektuelle Potential des Rechtsextremismus bündelt, daß die Schläger organisiert werden. TAGESSPIEGEL: Wie will das Innenministerium damit fertig werden? ZIEL: Der Verfassungsschutz wird klare Analysen liefern - weder dramatisierend noch abschwächend. TAGESSPIEGEL: Der Verfassungsschutz hat nach dem Überfall auf drei Briten in Mahlow gesagt, da ist eine Szene, die müssen wir nicht bevorzugt behandeln.Dann stellte sich heraus, daß die Rechtsradikalen seit Jahren am Bahnhof hocken, Ausländer belästigen und schlagen, daß es eine ganze Reihe von Straftaten gegeben hat.Ist das nicht bis zum Verfassungsschutz vorgedrungen? ZIEL: Sofern meine Informationen stimmen, hat es vorher keine tätlichen Auseinandersetzungen gegeben.Es ist sehr schwer vorherzusagen, wann extremistisches Gedankengut umschlägt in Gewalttaten.Deshalb kann ich jetzt nicht einfach sagen, der Verfassungsschutz hat nicht gesehen, wann in Mahlow losgeschlagen wird.Ich sage auch, er wird möglicherweise nicht sehen, wann in einer anderen Stadt in Deutschland losgeschlagen werden wird. TAGESSPIEGEL:Es hat Warnungen gegeben, beispielsweise von antirassistischen Gruppierungen... ZIEL: ...aber sie bezogen sich nicht konkret auf Mahlow.Das sind allgemeine Warnungen, die der Verfassungsschutz miteinbezieht in seine Untersuchungen.Aber wenn Sie jetzt sagen, der organisierte Rechtsextremismus werde bei uns unterschätzt, dann müssen Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir das Land waren mit den stärksten Verboten. TAGESSPIEGEL: Eine Organisierung findet dennoch statt.Der Verein "Die Nationalen" hat 200 Mitglieder, der Schwerpunkt liegt in Brandenburg.Es gibt Hinweise, daß "Die Nationalen" versuchen, beispielsweise die rechte Szene in Fürstenwalde zu organisieren.Halten Sie es für nötig, die Nationalen zu verbieten? ZIEL: Ich kann das noch nicht beantworten.Das erfordert eine konkrete Zusammenarbeit mit Berlin, aber auch mit anderen Bundesländern, wo die Nationalen aktiv sind.Ich schrecke vor Verboten nicht zurück. TAGESSPIEGEL: Die Polizei fällt immer wieder mal durch Versäumnisse auf, etwa nach dem Skinhead-Überfall auf den Döner-Imbiß in Fürstenwalde.Vier Ausländer wurden auf der Polizeiwache stundenlang festgehalten.Ist die Brandenburger Polizei nicht genügend aufgeklärt über den Unterschied zwischen Tätern und Opfern bei rechtsextremistischen Straftaten? ZIEL: Die Polizei ist ausreichend aufgeklärt.Es ist in Fürstenwalde sehr schwierig gewesen, Täter und Opfer auseinanderzuhalten.Weil nämlich auch bei denen, die sich als Opfer bezeichnet haben, Handeln mit zugrundezulegen ist.Sie haben sich dort aufs schärfste auseinandergesetzt.Es ist nicht so gewesen, daß einige nur sozusagen als Nichthandelnde am Rande gestanden haben und das ganze abbekommen haben.Das kann die Polizei nur schwer unterscheiden.Bis dies geklärt ist, muß die Polizei natürlich auch dafür Sorge tragen, daß diese Täter nicht noch einmal neu aufeinander losgehen.Und das hat sie gemacht. TAGESSPIEGEL: Die Zahl der Straftaten nimmt zu, andererseits kürzt die Landesregierung die Mittel für die Jugendarbeit.Halten Sie dies für sinnvoll? ZIEL: Die Jugendstraftaten sind auch in der neuen Statistik bei 30 Prozent, und das ist gewaltig hoch.Bei den Gewaltstraftaten sind es sogar 50 Prozent.Wenn Sie die Frage darauf zuspitzen, wie kommt Ihr als Landesregierung denn dazu, jetzt noch die Mittel für die Jugend zu kürzen, dann muß ich Ihnen leider sagen, wir haben gerade im Kabinett diesen Bereich am besten bedient.Kürzungen sind dort in weit geringerem Maße erfolgt als in allen anderen Bereichen.TAGESSPIEGEL: Der Eindruck des Bürgers ist, daß die Sicherheitsprobleme insgesamt größer werden.Stehen der Polizei genügend Mittel zur Verfügung, gibt es genügend Polizisten in Brandenburg? ZIEL: Also dieser Eindruck hängt natürlich auch mit der Berichterstattung zusammen.Die Kriminalität ist aber zurückgegangen.Wir sind in den neuen Bundesländern immer besser geworden.Wir sind auch in Brandenburg drastisch besser geworden.In der neuen Kriminalstatistik werden Sie lesen, daß ungefähr drei Prozent weniger Straftaten insgesamt vorgefallen sind unddie Aufklärungsquote um drei Prozent gestiegen ist.Das heißt: Die Polizei ist besser geworden, aber wir stabilisieren uns auf einem so hohen Niveau, daß wir selber sagen müssen, das ist nicht akzeptabel.Wir können es nicht zulassen, daß beispielsweise Polizeistellen abgebaut werden.Bei der Personalausstattung legen wir ja sogar etwas zu, in diesem Jahr und auch 1998. TAGESSPIEGEL: Die Polizei ist auch in die Schlagzeilen gekommen wegen der relativ großen Zahl von ehemaligen Stasileuten.Sie haben wiederholt dazu Stellung nehmen müssen.Sind denn im Rahmen der Gauck-Überprüfung noch weitere Fälle aufgedeckt worden und hat es bei der brandenburgischen Polizei weitere Entlassungen wegen verschwiegener Stasi-Tätigkeit gegeben? ZIEL: Ein zwei könnten das gewesen sein.Es hat sich bis jetzt hingezogen.Wir sind ja noch nicht ganz durch mit der Gauck-Behörde. TAGESSPIEGEL: Haben Sie die politische Dimension dieser Geschichte unterschätzt? ZIEL:Nein.Wir hatten eine vernünftige Überprüfung zu machen und der Weg war, vom Parlament festlegen zu lassen, wie diese Überprüfung geschehen soll.Ich würde es auch wieder so machen.Daß dabei keine hundertprozentige Gerechtigkeit möglich ist, weiß man. TAGESSPIEGEL: Es gibt einige hundert ehemalige Stasi-Leute in der Polizei, allein 164 ehemalige Hauptamtliche.Leidet darunter nicht das Image der Brandenburger Polizei? ZIEL: Wir können uns keine neuen Menschen schaffen.Das Image der Polizei in allen neuen Bundesländern ist in dieser Weise tangiert.Da kommen wir nicht dran vorbei. TAGESSPIEGEL: Nun gibt es aber Fälle, wo ehemalige Stasi-Leute heutige Untergebene früher ausspioniert haben und heute schikanieren.Durch die Medien ist ein Fall in Cottbus gegangen.Es gibt Hinweise auf ähnliche Fälle.Meinen Sie nicht, daß darunter das Klima auch in der Polizei leidet? Daß das Stasi-Problem auch ein Problem innerhalb der Polizei ist? ZIEL: Nun, wir werden das Stasi-Problem in der Polizei noch lange Jahre mit uns schleppen müssen, weil wir hier ganz einfach in der DDR gelebt haben.Aber wir wissen, daß nach der Überprüfung, die fast abgeschlossen ist, nicht auszuschließen ist, daß noch neue wichtige Hinweise von der Gauck-Behörde kommen.Ich halte es für falsch zu meinen, wir müßten nun die ganze Polizei noch mal neu überprüfen und zu glauben, daß dann die Polizei sauber wäre. TAGESSPIEGEL: Aber wäre das nicht ein Weg zu mehr Gerechtigkeit? ZIEL: Nein, die Gerechtigkeit haben wir ja herbeigeführt, indem wir zwei Überprüfungen vorgenommen haben.Es gibt keine Polizei in den neuen Bundesländern, in der nicht auch Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes beschäftigt sind. TAGESSPIEGEL: Es gibt aber Befürchtungen, daß die Stasi gerade in Brandenburg, wo sie auch früher feste Standorte hatte,in der Polizei wieder Strukturen aufgebaut hat. ZIEL: Ich sehe solche Strukturen nicht.Bisher sind sie uns nicht bekannt geworden. TAGESSPIEGEL: In den letzten Tagen hat der Menschenhandel über die deutsch-polnische Grenze Schlagzeilen gemacht.Welche Probleme bringt das für Brandenburg? ZIEL: Ich bin vor Weihnachten an der polnischen Ostgrenze gewesen und habe gesehen, wie gerade im Bereich der organisierten Kriminalität - Waffenhandel, Drogenhandel, Menschenhandel, wie die Republik Polen da von ganz Europa ziemlich alleingelassen ist. TAGESSPIEGEL: Was fordern Sie denn vom Bund? ZIEL: Ich fordere vom Bund, daß er entsprechende Vereinbarungen mit der polnischen Seite trifft hinsichtlich der Bekämpfung der Kriminalität, man kann sich streiten über das Rechtshilfeabkommen was es bringt, aber es wäre schon mal nicht schlecht, wenn man es hätte.Da sagt der Bund, Polen habe bestimmte Voraussetzungen noch nicht erfüllt.Aber das kann man ja auch in Verhandlungen vom Tisch bringen.Die Zeit der Sprachlosigkeit zwischen der deutschen Innenpolitik und der polnischen Innenpolitik muß beendet werden. TAGESSPIEGEL: Sprechen wir über die Überprüfung der PDS durch den Verfassungsschutz.In Berlin schlägt dieses Thema hohe Wellen.In Brandenburg werden keine PDS-Politiker, auch keine Gruppen oder Plattformen überwacht.Bleibt es bei diesem Kurs, oder wird er sich ändern? ZIEL: Wir haben ja diesen Kurs nicht eingeschlagen, weil wir eine besondere Lösung für Brandenburg anpeilen.Wir haben keine Hinweise darauf, daß in der PDS in Brandenburg verfassungsfeindliche Bestrebungen im Gange sind.Es hat einen Einzelfall in Belzig gegeben, wo zwei junge Leute gesagt haben, daß sie ihre ideologischen Ziele auch mit Gewalt durchzusetzen wollten.Die waren beide etwa 16 Jahre alt.Dies ist dann vom PDS-Vorstand zurückgenommen worden.Das heißt, die PDS in Brandenburg verhält sich so, daß wir nach dem, was wir wissen, und nach den Recherchen, die angestellt worden sind, keinen Anlaß haben, die PDS in Brandenburg zu beobachten. TAGESSPIEGEL:Heißt das, daß die jungen GenossInnen in Brandenburg weniger radikal sind als die Berliner Fraktionen? ZIEL: Die gibt es ja kaum bei uns. TAGESSPIEGEL: Das bedeutet, das Sie davon ausgehen, in Berlin sind sie radikaler als in Brandenburg? Oder übertreiben die Berliner? ZIEL: Das ist für mich schwer zu sagen, weil ich Berlin nicht so ohne weiteres beurteilen kann und es steht mir auch nicht zu. TAGESSPIEGEL: Wie sehen Sie das denn für den Rest der Linksextremen-Szene? Es gibt ja nicht nur die PDS, es gibt ja auch andere Gruppierungen.In den Berichten des Verfassungsschutzes taucht da meistens nur wenig zu auf.Spielen die keine Rolle in Brandenburg? ZIEL: Meinen Sie die DKP, die KPD-Nachfolger? Die spielen bei uns noch keine große Rolle.Zweckgerichtete Handlungen sind in Brandenburg nicht erfolgt - auch von diesen beiden Jugendlichen nicht. TAGESSPIEGEL:Was ist denn, wenn der Berliner Verfassungsschutz den Brandenburger Verfassungsschutz in Sachen Beobachtung PDS oder einzelne Personen in der PDS um Amtshilfe bittet? ZIEL: Noch ist es ja gar nicht mal so, daß der Berliner Verfassungsschutz beschlossen hätte, die ganze PDS beobachten zu lassen.Es sind Teile der PDS.Sodann haben sie alle Möglichkeiten, das von sich aus zu tun. TAGESSPIEGEL:Sie sind ja als Innenminister wiederholt in die Schlagzeilen gekommen.Stehen Sie in der nächsten Legislaturperiode wieder zur Verfügung? ZIEL: Ich muß erst mal diese Legislaturperiode in Ehren zu Ende bringen.

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