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Hans-Jürgen Mörke wird am 21. Juli in das Amt des Polizeipräsidenten in Brandenburg eingeführt.

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Brandenburgs Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke: "Auch mein Auto wurde schon aufgebrochen"

Brandenburgs neuer Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke über die vermurkste Polizeireform, die Maskenmann-Affäre und seine Zeit bei der Volkspolizei.

Herr Mörke, haben Sie es sich gut überlegt, Polizeipräsident von Brandenburg zu werden?
Ich bin mir sicher, dass sich um diesen Job im Moment niemand wirklich reißt.

Aber Sie tun es trotzdem – obwohl Brandenburgs Polizei ein Bild bietet, das von Negativ-Schlagzeilen geprägt ist: Manipulations-Vorwürfe bei der Kriminalstatistik, Maskenmann-Prozess, vermurkste Polizeireform...
Ich habe es mir reiflich überlegt. Meine Motivation ist die: Ich kneife nicht. Die Polizei in einer schwierigen Situation sich selbst zu überlassen, das ist nicht mein Ding. Persönlich habe ich nichts mehr zu erreichen, schon vom Alter her.

Zum Wesen des Polizeiberufs gehört immer eine klare Lageanalyse am Anfang. Wie steht es um Brandenburgs Polizei, für die Sie die Verantwortung übernehmen?
Diese Lageanalyse habe ich natürlich längst gemacht. Ich fange einmal intern an: Unser Job ist es, Sicherheit zu gewährleisten. Dafür brauche ich motivierte Mitarbeiter, die auch für Polizeiarbeit brennen. Und das tun sie ja eigentlich. Brandenburgs Polizisten leisten viel, die Bilanz ist besser als das Image, und sie leisten immer mehr.

Wir haben heute in der Landespolizei bereits 930 Leute weniger als vor einigen Jahren. Und richtig ist auch, dass wir bei der Polizeireform nicht alle Mitarbeiter mitgenommen haben.

Das frustriert, das hemmt?
Klar, so ist es. Das hat Ursachen, und die kann man offen benennen. Zum Beispiel im Wach- und Wechseldienst: Mit der faktischen Auflösung der Polizeiwachen sind zwei Drittel der unteren Führungsjobs weggefallen. Diese Kollegen sitzen jetzt im Funkwagen oder sind Revierpolizisten – da ist Frust. Oder nehmen wir frühere Wachenleiter, die jetzt Revierleiter sind: Vorher haben sie 40 bis 80 Leute geführt, waren für ein großes Territorium verantwortlich.

Jetzt sind sie, in der Stelle auch noch herabgestuft, Chefs von fünf Revierpolizisten – da ist Frust. Bei der Kriminalpolizei sieht es ähnlich aus, auch dort sind Posten weggefallen. Wenn ehemalige Führungskräfte abrutschen, dann ist da Frust.

Wie wollen Sie die da rausholen?
Ich denke, wir müssen zunächst Gespräche führen. Ich werde gleich am Tag nach meiner Amtseinführung am 21.Juli anfangen, in alle Direktionen zu fahren. Ich will dort meine Ist-Analyse vortragen, zuhören, sie ergänzen lassen. Eingeladen sind alle Führungskräfte bis zur unteren Ebene.

Operation „Reiner Tisch“?
Das ist Ihre Formulierung, aber so kann man es sehen. Jeder muss ehrlich sagen können, wo es klemmt. Aber, wer mich kennt, weiß: Nur Jammern? Nicht mit mir! Ich will auch Vorschläge, wie es besser gemacht werden kann. Denn die Zielrichtung ist klar. Wir müssen in die Offensive kommen. Die Führung muss das Vertrauen der Mitarbeiter zurückgewinnen.

Warum ist es verloren gegangen?
Ich hatte ja schon einen Fakt angeführt. Und wenn 1900 Stellen abgebaut werden sollen, wie es der Landtag, der Souverän per Gesetz mit Blick auf 2020 vorgegeben hatte, dann ist davon jeder Polizist betroffen. Oder, nehmen wir die Debatte um die Polizeiliche Kriminalstatistik, die PKS. Glauben Sie nicht, dass das keine Wirkungen in der Polizei selbst hat! Die Kollegen lesen doch auch Zeitung.

Kann man der Polizeistatistik in Brandenburg jetzt wieder trauen?
Hundertprozentig. Das garantiere ich. Ich habe noch eine Qualitätssicherung einführen lassen, ein Team von Beamten, die überprüfen, dass jede Straftat wirklich hundertprozentig korrekt erfasst wird.

Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) hat die umstrittene Praxis, die vom bundesweiten Standard abwich, Anfang des Jahres gestoppt und die Statistik nachträglich korrigieren lassen. Auf Ihre Anregung hin?
Ich bin im Januar auf das Ministerium zugegangen und habe das zumindest so empfohlen.

Verantwortlich für die Alt-Praxis war Arne Feuring, ihr Vorgänger als Polizeipräsident, der mittlerweile nicht mehr Schröters Staatssekretär ist. Aber Sie waren immerhin lange sein Vize …
… ich sage dazu nur so viel: Als damals entschieden wurde, diese neue Erfassungsmethode einzuführen, war ich gerade auf einer Kur. Manchmal hat man ja auch Glück im Leben. (lacht) Aber im Ernst, ich – und auch andere – hatten damit Bauchschmerzen. Die Entscheidung traf der Polizeipräsident.

Im Zusammenhang mit Ihrer Ernennung hieß es, Sie seien ein „Feuring-Mann“. Der habe sie protegiert, auf den Posten des Polizeipräsidenten gehievt. Hat er das?
Nein! Ich weise strikt von mir, dass Herr Feuring auch nur eine Aktie daran hat, dass ich Behördenleiter bin. Das sage ich sehr deutlich. Er hat dazu nie mit mir auch nur ein Gespräch geführt. Punkt.

Im „Maskenmann-Prozess“ wurden unhaltbare Zustände in der damaligen Soko „Imker“ publik. Ermittler erhoben als Zeugen im Gerichtssaal Vorwürfe von Mobbing, von einseitigen Ermittlungen. Wie konnte es soweit kommen?
Zunächst einmal: Die Sonderkommission „Imker“, die aus 40 Leuten bestand, hat insgesamt ein herausragendes Ergebnis vorgelegt. Wenn am Ende fünf Richter die Indizienlage für ausreichend halten, für eine Verurteilung des Tatverdächtigen in allen Anklagepunkten, dann können die Ermittlungen nicht schlecht gewesen sein.

Aber richtig ist auch: Wenn da nur einer aufgetreten wäre, der dreckige Wäsche wäscht, dann kann das passieren. Aber hier waren es gleich vier. Und da sind wir uns einig, da stinkt etwas. Da gibt es ein internes Problem. Genau das wird von der eingesetzten, beim Staatssekretär angesiedelten Untersuchungsgruppe, aufgearbeitet. Da bitte ich einfach, das Ergebnis abzuwarten.

Wir fragen den künftigen Präsidenten: Kann sich das wiederholen?
So etwas darf sich nicht wiederholen. Niemals.

Brandenburg ist ein großes Flächenland. Seit der Polizeireform sind weniger Streifenwagen unterwegs. Es kann dauern, bis einer eintrifft. Die Politik, der frühere Innenminister hat 2014 versprochen, dass die Zahl aufgestockt wird, im Schnitt wie früher 124 Streifenwagen auf den Straßen sein sollen. Wie viele sind es aktuell?
Die Wahrheit ist: Wir können gar keine 124 Funkwagen besetzen, jedenfalls auf absehbare Zeit nicht. So einfach ist das. Wir haben gar nicht das Personal dafür, und wenn, dann höchstens auf dem Papier. Man muss dazu wissen: Es sind einmal 450 Stellen im Wach- und Wechseldienst gestrichen worden, in dem heute knapp 1900 Beamte tätig sind.

Es ist logisch, dass dann auch weniger Streifen unterwegs sein können. Wenn das jemand anders sieht, ist das nicht mein Problem. Hinzu kommt, dass rund zweihundert Polizisten gebunden sind, um Reviere sichern. Die Idee, das alles technisch zu machen, hat nicht funktioniert.

Das hat noch niemand ausgesprochen.
Ich sage das überall, auch beim Minister. Ich habe nicht mehrere Gesichter, ich habe nur eins. Und das werde ich auch behalten. Die Lage ist aktuell so, dass im Schnitt 105 bis 110 Streifenwagen im Einsatz sind. Natürlich lageabhängig, am Sonntagvormittag sind es 80 oder 90. Und bei kluger Dienstplanung reicht das in der Regel auch aus, die Einsätze zu bewältigen.

So haben wir bei den Interventionszeiten im Mai erstmals die alten Werte von 2010 wieder geschafft. Damit kein Missverständnis entsteht: Ich habe keine weiße Fahne zu hissen. Wir können unseren Job.

Wann werden wieder die versprochenen 124 Streifenwagen auf den Straßen sein?
Wenn der Beschluss der Koalition umgesetzt ist, 855 Stellen weniger abzubauen als bislang geplant war. Im Zuge dessen kann der Wach- und Wechseldienst wieder um 300 Stellen aufgestockt werden. Dann werden wir diesen Standard gewährleisten, trotz der nötigen Sicherung von Revieren, trotz des Krankenstandes. Die ersten 300 Polizeianwärter werden in diesem Jahr eingestellt.

Die kommen allerdings erst in drei Jahren bei uns an. Und bis dahin verliere ich noch Leute. Aber mal sehen, was der Minister mit der Landesregierung aushandelt. Seinen Kurs, noch etwas für die Polizei herauszuholen, unterstütze ich einhundertprozentig. Die Realität gebietet das auch.

Erhebliche Probleme gibt es auch bei der Kripo, die den 24-Stunden-Bereitschaftsdienst bei der Kriminaltechnik nicht gewährleisten, Tatorte nicht ausreichend absuchen kann. Werden Sie da eingreifen?
Aber na klar, wir müssen beim Kriminaldauerdienst nachlegen! Na klar, wir müssen bei der Kriminaltechnik nachlegen! Und ich sage auch: Wenn der Gesetzgeber nur so und so viele Stellen zur Verfügung stellt, dann kann ich damit auch nur eine bestimmte Leistung bringen.

"Ich nehme Sorgen immer ernst"

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (2.v.r, SPD) sowie Wojwodin Lubuskie Katarzyna Osos (l), Polizeipräsident von Brandenburg Hans-Jürgen Mörke (2.v.l.), und Brigadegeneral Andrzej Kaminski (r).
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (2.v.r, SPD) sowie Wojwodin Lubuskie Katarzyna Osos (l), Polizeipräsident von Brandenburg Hans-Jürgen Mörke (2.v.l.), und Brigadegeneral Andrzej Kaminski (r).

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Jüngst wandten sich Regionalbanker aus dem Spreewald mit einem Hilferuf gleich an Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), nachdem das Bankgebäude bei der Sprengung eines Geldautomaten eingestürzt war. Nehmen Sie das ernst?
Ich nehme solche Sorgen, ob von Unternehmen oder von Betroffenen, immer ernst. Mir hat man auch mal vor einer Weile mein Auto vor der Haustür aufgebrochen und das Autoradio geklaut. Wenn man von Kriminalität betroffen ist, dann ist das kein Spaß. Und wir tun da etwas. Natürlich haben wir längst spezielle Ermittlungsgruppen im Einsatz, die dem nachgehen, setzen wir alles dran, die Täter zu ermitteln oder auf frischer Tat zu schnappen.

Aber Wunder kann man nicht vollbringen. Für die Schlapphutbande habe ich damals eineinhalb Jahre gebraucht. Wer der Täter ist, wusste ich zwar schon nach einem halben Jahr. Nur, sie müssen es beweisen, um es einem Richter vorlegen zu können.

Warum sind Brandenburgs Polizisten eigentlich so oft krank?
Ich lese ja auch immer, Brandenburg sei angeblich das Bundesland, mit dem höchsten Krankenstand bei der Polizei. Das stimmt aber nicht. Bei uns sind es im Schnitt 35 Fehltage, in Berlin waren es 41. Andere Länder veröffentlichen die Zahlen gar nicht erst. Aber glauben Sie mir, ich habe sie mir geholt …

Und?
Ich werde da keinen verpetzen. Nur so viel: Danach liegt Brandenburg höchstens im Mittelfeld. Damit Sie mich nicht missverstehen: Ich will nichts beschönigen. Wir haben einen hohen Krankenstand, und der ist unbefriedigend. Da müssen wir etwas tun. Ich habe 800 Leute, die sind mehr als einhundert Tage im Jahr krank, das sind 11,2 Prozent.

Auf der anderen Seite sind 88,8 Prozent der Polizisten, und ich bitte Sie genau zu zuhören, denn auch das ist wahr, nur sechzehn Tage krank. Real sind es sogar nur zwölf Tage, weil bei uns der Samstag und der Sonntag mitzählen.

Dennoch sind es viele Dauerkranke. Machen da einige blau?
Wenn einer behauptet, die sind alle frustriert, faulkrank, antworte ich: Da mag es auch mal einen geben, die große Masse ist das nicht. Denn der Polizeiberuf bringt besondere Belastungen mit sich. Wenn 930 Leute weniger da sind, aber die gleiche Arbeit und sogar noch mehr gemacht wird, dann führt das zu Arbeitsverdichtungen.

Es gibt Leute, die können das ab, andere nicht. Als designierter Polizeipräsident erwarte ich da auch von der Landesregierung mehr. Wir müssen mehr für die Prophylaxe tun, für die 88,8 Prozent, damit die uns nicht auch krank werden. Wir müssen da Programme auflegen. Das kostet auch Geld.

Der Ruf an die Politik ist das eine. Muss die Polizei nicht selbst mehr tun?
Genau das ist mein allererster Ansatz. Wir können selbst noch jede Menge in Ordnung bringen, ich meine sogar 80, 90 Prozent. Wir haben tolle Mitarbeiter, wir haben auch Führungskräfte, die ihren Job ordentlich machen. So muss zum Beispiel die Revierpolizei deutlich präsenter werden.

Ich erwarte, dass die Revierpolizisten draußen sind, mindestens zu 50 Prozent, also im Außendienst, mit dem Funkwagen, vor allem als Fußstreife unterwegs sind. Generell gilt: Wir müssen noch flexibler werden, die einzelnen Bereiche noch eigenständiger und wir müssen uns noch mehr auf Schwerpunkte konzentrieren. Nehmen wir die GEG, die gemeinsame Ermittlungsgruppe gegen Wohnungseinbrüche in Berlin und Brandenburg. Schauen sie sich die Ergebnisse an. Das ist doch Wahnsinn! Oder die Sonderkommission „Grenze“, als Struktureinheit beim LKA, genau richtig!

Werden Sie enger mit Berlin kooperieren?
Wir haben da schon viel getan. Wir haben ja ein Abkommen, wonach wir Funkwagen, wenn nötig, jeweils auch über die Landesgrenze schicken. Das funktioniert. Aber nichts ist so gut, dass es nicht besser gemacht werden kann. Das ist der Anspruch. Klaus Kandt, den Berliner Präsidenten, kenne ich ja persönlich aus seiner Brandenburger Zeit. Er war als Stabsleiter in Frankfurt (Oder) mein Vorgesetzter. Ein Gespräch mit ihm wird einer meiner ersten Termine sein.

Es gab einige Verwunderung, dass ein früherer Chef eines Volkspolizeikreisamtes nun Polizeipräsident wird ...
Ich kann damit leben. Ich war VPKA-Chef in Nauen, ein Jahr. Ich habe mir aus dieser Zeit nichts vorzuwerfen, gegen kein Gesetz verstoßen, ich war nicht bei der Stasi. Natürlich habe ich mich später selbst gefragt, warum ich nicht erkannt habe, was alles schief lief. Ich habe erkannt, dass die alten Säcke weg müssen, aber mehr auch nicht. Und trotzdem, wissen Sie, war die Realität damals vielschichtiger.

Was meinen Sie damit?
Ein Beispiel: Eines Tages kam eine Dame zu mir, die ihren Onkel in der Bundesrepublik besuchen wollte. Einen Anlass gab es nicht. Sie fragte mich, was denn genehmigt würden. Ich antworte, wenn ein Verwandter 70 wird oder sterbenskrank ist. Zwei, drei Tage später kam sie wieder, wollte unbedingt mich sprechen, und präsentierte mir ein Telegramm: Onkel schwer krank. Als ich ihr sagte, dass das getürkt sein müsse, weinte sie jämmerlich. Diese Frau hat mir einfach leid getan. Ich habe sie fahren lassen. Ich erzähle das nur deshalb: Auch so etwas gab es.

Und als in Nauen das Neue Forum im Herbst 1989 eine Demonstration machte, haben wir für die Tonübertragung einen Streifenwagen zur Verfügung gestellt, weil der Lautsprecherwagen der Bürgerbewegung nicht gekommen war. Meine Vorgesetzten waren darüber nicht amüsiert. Und normalerweise spreche ich darüber nicht, ich sage es hier aber trotzdem, weil es vielleicht auch Einiges erklären mag: Meine Mutter war gläubig. Und auch ich habe immer an Gott geglaubt. In diesem Widerspruch, so schizophren es erscheinen mag, habe ich damals immer gestanden.

Liest Brandenburgs ranghöchster Polizist eigentlich Krimis, schauen Sie gern Tatort?
Nein, beides langweilt mich. Ich habe fast alle Großeinsätze in Brandenburg mitgemacht, den G8-Gipfel etwa, war bei der Aufklärung von Kapitalverbrechen dabei. Die Realität ist immer spannender.

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