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Braune Gelbe: Wie aus der BVG-Familie ein Nazibetrieb wurde

Eine kleine Ausstellung im U-Bahnhof Alexanderplatz beleuchtet die Geschichte der BVG während des Nationalsozialismus. Zur Eröffnung kamen auch Zeitzeugen - und berichteten, was sie damals erlebt haben.

Zur Feierstunde hat die BVG auch Bernhard Speyer eingeladen. Herr Speyer hat mit den Berliner Verkehrsbetrieben gar nicht so furchtbar viel zu tun, aber zu seinen Vorfahren zählt ein höchst bemerkenswerter Großonkel. Dieser Georg Speyer war BVGer der ersten Stunde, aber wegen seines jüdischen Vaters mochte sein Arbeitgeber in den tausend Jahren zwischen 1933 und 1945 ihn den Fahrgästen nicht mehr als Schaffner zumuten und stellte ihm die Kündigung zu. Georg Speyer musste sich als Zwangsarbeiter an der Westfront verdingen und unter härtesten Bedingungen Bunker bauen. Als er nach dem Krieg nach Berlin zurückkehrte, führte ihn sein erster Weg zur BVG. Nicht, um Beschwerde über seine Entlassung zu führen oder Entschädigung zu erklagen. Georg Speyer ersuchte höflich um Wiedereinstellung, weil er sich im Betrieb unter seinen Kameraden immer so wohl gefühlt hatte.

Mit einiger Anrührung erzählt der Banker Bernhard Speyer diese Geschichte am Donnerstag. Muss schon ein besonderer Laden sein, diese BVG. Speyer ist Ehrengast bei der Eröffnung der Ausstellung „Aus Rot wird Braun“. Im Zwischengeschoss des U-Bahnhofs Alexanderplatz dokumentiert die BVG auf vier Schautafeln mit vielen Bildern und nicht ganz so viel Text, wie aus dem kommunalen Musterunternehmen der Weimarer Republik ein den Nazis gefügiger Betrieb wurde. Jüdische und kommunistische Mitarbeiter wurden „zu Tausenden aus ihren Jobs gedrängt“, sagt die BVG-Vorstandsvorsitzende Sigrid Nikutta. „Die Bürokratie hat perfekt funktioniert. Für jede Entlassung aus dem Dienst wurde ordentlich ein Formular ausgefüllt.“ Auf einer der Infotafeln ist das Schicksal des Arbeiters Leonhard Röckmann nachzulesen. In der Liste der Entlassungen aus dem Februar 1937 findet sich hinter seinem Namen in der Rubrik „Entlassungsgrund“ der Eintrag: „Für den Betrieb untragbar (Jude)“.

Die Ausstellung folgt der vom Kulturstaatssekretär André Schmitz ersonnenen Initiative „Zerstörte Vielfalt“ über das Berlin in der Zeit des Nationalsozialismus. Bei der BVG begann der Farbwechsel eher banal damit, dass die betriebseigene Musikkapelle bei Naziveranstaltungen aufspielte. Aber schon 1934 war für alle Lehrlinge der Ariernachweis Pflicht, und zwei Jahre später herrschten Verhältnisse wie bei der Reichswehr: Jeder Mitarbeiter hatte einen Treueeid auf Adolf Hitler zu leisten.

„Dieser vorauseilende Gehorsam macht einen sprachlos“, sagt André Schmitz. Doch ganz so überraschend kam die willfährige Hinwendung zu den braunen Machthabern nicht. Die BVG von 1933 war schon nicht mehr das kommunale Musterunternehmen, die große Familie mit eigenen Wohnungen, Ferienheimen, Sportklubs. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise hatte sich das Unternehmen bei Grundstücksgeschäften verschuldet, Arbeiter zu Tausenden entlassen, Strecken stillgelegt und die Tarife dramatisch erhöht. Verantwortlich dafür war in den Augen der Öffentlichkeit die Sozialdemokratie. Die SPD hatte bei der BVG-Gründung im Dezember 1928 die Kontrolle über den Aufsichtsrat übernommen. Die folgenden Affären nahmen die politischen Gegner auf der rechten und linken Seite dankbar zum Anlass, die SPD als Bonzenpartei zu diffamieren.

Ende 1932 verbündeten sich Nazis beim BVG-Streik ein erstes und einziges Mal mit den Kommunisten. Vordergründig endete die Aktion mit einem Fiasko. Aber wie vom Berliner Gauleiter Joseph Goebbels erhofft, konnten sich die Nazis als Kämpfer für die Sache der Arbeiter profilieren. Die Nationalsozialistische Betriebsorganisation (NSBO) hielt den Streik sogar einen Tag länger durch als die kommunistischen Gewerkschafter. Zur Belohnung bekam NSBO-Chef Johannes Engel 1933 den Job als Aufsichtsratsvorsitzender der BVG. Mit den bekannten Folgen für Männer wie den Arbeiter Leonhard Röckmann oder den Schaffner Georg Speyer.

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