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Berlin: Brief von Padre Wolfgang S.

"An die Opfer meiner Bosheit" - Padre S. bekennt sich zu seinen Taten.

An alle Personen, die ich als Kinder und Jugendliche missbraucht habe

Von verschiedenen Seiten bin ich in letzter Zeit auf meine Lehrerjahre am Berliner Canisius-Kolleg und meinen teilweise verbrecherischen Umgang mit Schülern sowohl im Kindes- als auch im Jugendalter angesprochen worden. Ich möchte dazu wie folgt Stellung nehmen:

1. Es ist eine traurige Tatsache, dass ich jahrelang Kinder und Jugendliche, darunter auch dich, unter pseudopädagogischen Vorwänden missbraucht und misshandelt habe. Daran ist nichts zu entschuldigen.

2. Dabei hat mir meine Rolle als Priester und Ordensmann mehr als meine Lehrerrolle oder meine persönliche Autorität den Vertrauensvorschuss gesichert, ohne den ich wohl kaum den Zugang zu dir und meinen anderen Opfern erhalten hätte. Der Priester Wolfgang Statt, der Lebensmut und Lebensfreude zu verbreiten vorgab und dem Worte wie Menschenwürde, Solidarität und Engagement für die Armen und Schwachen so leicht von den Lippen kamen, hat dich und andere Schicksalgefährten gedemütigt, entwürdigt, gequält.

3. Rückschauend wird es dir und den anderen Betroffenen wenig helfen, wenn ich dir von meinen vielen Versuchen berichte, aus dem Teufelskreis herauszukommen und vom Unmenschen wieder zum Menschen zu werden. Vielleicht hast du trotz allem wenigstens etwas von dem anderen Wolfgang Statt ahnen oder erfühlen können, der ich für dich und alle, die mir Vertrauen schenkten, eigentlich sein wollte.

4. In meinen ersten Jahren in Chile hat mich dieser innere Widerspruch fast in die Verzweiflung getrieben. Da ich unter der Pinochet-Diktatur immer wieder engen Kontakt sowohl mit Folterern als auch mit ihren Opfern hatte, war ich fast täglich mit meinem Spiegelbild als jahrelanger Kinderquäler konfrontiert.

5. Um überhaupt überleben zu können, zog ich die Notbremse, informierte, meinen damaligen deutschen Provinzialoberen eingehend über meine verbrecherische Vergangenheit und entschied mich aus diesem Grunde für den Autritt aus dem Orden und die Laisierung als Priester. Mein an die vatikanischen Behörden gerichtetes Austritts- und Laisierungsgesuch legt Zeugnis von meiner nichts beschönigenden Ehrlichkeit in diesem Punkte ab.

6. Diese Ehrlichkeit mutetete ich auch meiner Freundin zu, mit der ich ein neues, gemeinsames Leben beginnen wollte. Sie reagierte mit Ekel und Entsetzen. Dennoch wagte sie es nach einer Besinnungspause, in Hinblick auf die Zukunft an mich zu glauben und darum meine Lebenspartnerin zu werden. Übrigens hat sie auch diese Zeilen gelesen und mit mir besprochen, bevor ich sie unterschrieben habe. Sollte in diesen Tagen etwas von meinen Missbrauchs- und Misshandlungspraktiken an die Öffentlichkeit dringen, so ist meine Frau darauf vorbereitet.

7. Nicht vorbereitet auf mögliche Konsequenzen ist unsere 12jährige Tochter, die nichts von allem weiß. Über ihre mögliche Reaktion und das künftige Verhältnis zwischen ihr und mir mache ich mir im Augenblick die meisten Sorgen.

8. Nun habe ich eine schon Jahrzehnte lange gute Erfahrung mit mir selbst im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Kein Kind, kein Jugendlicher ist jemals wieder von mir missbraucht und misshandelt worden, und mit einer Reihe meiner früheren Opfer, mit denen ich in den letzten Jahren Kontakt hatte (und teilweise permanent habe), habe mich inzwischen ausgesprochen.

9. Bitte kein Missverständnis: Nichts von all dem, was ich in den vorstehenden Punkten 3 bis 9 ausgeführt habe, soll mir in deinen und der anderen Augen "mildernde Umstände" verschaffen. Doch ist euch vielleicht dieser kurze Blick auf bestimmte Zusammenhänge in meinem Leben hilfreich, um die bösen Erfahrungen mit mir weiter zu verarbeiten.

Das Folgende mag zunächst banal und klischeehaft klingen; dennoch möchte ich es dir und den anderen Opfern meiner Bosheit sagen: Was ich dir und euch getan habe, tut mir leid, und falls du fähig bist, mir diese Schuld zu vergeben, bitte ich dich darum.

Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen. Ab März werde ich mit meiner Familie übrigens wieder endgültig in Deutschland leben. Dann bin ich auch zu einem persönlichen Treffen bereit.

Santiago de Chile, 20. Januar 2010

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