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Berlin: Britischer Blick auf Berliner Mauerdrama

Künstler stellt in London die Ereignisse um den Tod Peter Fechters nach. Er will seinen Landsleuten Nachhilfe in Geschichte geben

Von Markus Hesselmann

Mark Gubb lief kreuz und quer durch die Stadt. Der britische Künstler war in Berlin zu Besuch, seine Frau hatte bei der Berlinale zu tun. Doch er ist kein ganz so großer Cineast und ging lieber auf Wanderschaft. „Ich wollte Berlin in mich aufnehmen“, sagt Gubb. Die Stadt und ihre Geschichte faszinierten ihn. Er verfolgte den Lauf, den die Mauer einst nahm. Bald erfuhr er von Peter Fechter, dem Maurergesellen aus Ost-Berlin, der am 17. August 1962, ein Jahr nach dem Bau der Mauer, bei einem Fluchtversuch getötet worden war. „Das hat mich gepackt“, sagt Mark Gubb. „Die Geschichte eines Menschen, der starb beim Versuch, in ein besseres Leben zu fliehen.“ Peter Fechters Schicksal würde Bedeutung haben für die Arbeit des Künstlers, das stand bald fest. Da passte es, dass das Londoner Institut für zeitgenössische Kunst um Vorschläge bat für seine Reihe von „re-enactments“, einmalige Aufführungen, in denen ein wichtiges Ereignis nachgespielt wird. Das englische Wort „re-enact“ bedeutet, etwas nachzustellen, aber auch: etwas wieder in Kraft zu setzen, ihm wieder Wirkung zu verschaffen.

Mark Gubb möchte mit seinem Projekt „The Death of Peter Fechter“ dazu beitragen, der Berliner Mauer in Großbritannien eine andere Wirkung zu verschaffen. „Die Bedeutung der Mauer, die das Leben vieler Menschen zerrissen hat, ist verloren gegangen“, sagt der 32-jährige Künstler. Das Monument der Teilung ist zum Klischee herunterironisiert worden. „Die Briten denken dabei sofort an David Hasselhoff“, sagt Gubb. Dahinter steckt eine schräge Geschichte, die den meisten Deutschen gar nicht bewusst ist, den Briten aber die gern genutzte Gelegenheit gibt, sich über tumbe Teutonen zu amüsieren. Dem Mythos nach sind nämlich alle Deutschen große Hasselhoff-Fans, weil der amerikanische Schauspieler und Sänger 1989 mit seinem Lied „Looking for Freedom“ und einem Konzert an der kurz zuvor geöffneten Mauer entscheidend zum Ende des Kommunismus beigetragen hat.

Weg von Hasselhoff, hin zu Fechter – Mark Gubb will den Blick seiner Landsleute schärfen. Den Blick darauf, „was die Mauer wirklich bedeutete für den Alltag der Menschen“. Gubb stellt das Geschehen jenes Berliner Augusttages mit Schauspielern – Profis und Laien – am 18. August in London nach, einen Tag nach dem 45. Jahrestag des Todes von Peter Fechter. Um den genauen Inhalt und Ort der Aufführung macht Mark Gubb ein Geheimnis. Die Zuschauer werden mit dem Bus dorthin gebracht und wissen zunächst nicht, wo es hingeht und was sie erwartet. „Das verleiht dem Ganzen noch etwas mehr Faszination“, sagt Gubb, der sich als Multimedia-Künstler in Großbritannien profiliert hat. Die Aufführung wird gefilmt und später im Institut für zeitgenössische Kunst gezeigt. Die Performance als einmaliges Ereignis wird in eine andere, bleibende Kunstform überführt: das Video.

Eine geschichtlich wie biografisch genaue Rekonstruktion der Ereignisse um Fechters Tod ist nicht das Ziel des Künstlers. Dies ist kein Event für Hobbyhistoriker wie die allseits beliebten Nachstellungen großer Schlachten. Mark Gubb interessiert das Übergreifende, Sinnbildliche am Schicksal eines Menschen, der mitten hinein in die Weltgeschichte gerät und als Individuum nicht mehr zählt. Der 18-jährige Fechter wird im Grenzstreifen angeschossen und einfach liegen gelassen, obwohl er um Hilfe ruft. Auf der Westseite des Grenzstreifens fordert eine Menschenmenge die Grenzsoldaten lautstark auf, dem Sterbenden zu helfen. Doch die DDR-Grenzer transportieren Fechter erst nach einer Stunde ab. Er verblutet. „Ich habe nicht vor, die DDR zu dämonisieren“, sagt Mark Gubb. Ohne damit das Verhalten der Grenzer entschuldigen zu wollen: Gubb nimmt auch deren wie gut auch immer begründete Angst vor Schüssen von der anderen Seite ernst. „Ich will so wenig politisch wie möglich sein“, sagt Gubb über sein Projekt.

Das heißt nicht, dass der historische Berliner Kontext ihn generell nicht interessiert. Auf seinen Wanderungen durch die Stadt hat Mark Gubb sich eingehend mit der Mauer beschäftigt.

Die Linie aus Steinen, die den früheren Verlauf anzeigt, hält er für eine gelungene Art der Erinnerung. „Das hat eine sehr starke Wirkung. Es wird klar: Hier konnte man früher nicht einfach mit einem Schritt drüber hinweggehen.“ Ohnehin ist Gubb angetan vom Umgang Berlins mit der Vergangenheit – sowohl mit der DDR- als auch der Nazizeit: „Das hat einen hohen Grad an Objektivität. Man spürt die Bereitschaft zur Offenheit, aber auch den Willen, nach vorn zu blicken.“

Emma Quinn war noch nie in Berlin, doch Mark Gubbs Berliner Thema hat die Programmdirektorin vom Institut für zeitgenössische Kunst gleich begeistert. „Sein Exposé hat mich sehr bewegt“, sagt Emma Quinn. Die Geschichte von Peter Fechter sei in Großbritannien bislang nur wenig bekannt.

„Wir haben offenbar einen Hang zu Berlin-Themen“, sagt Emma Quinn, lacht und verweist auf ein anderes Re-enactment-Projekt mit Berlin-Bezug: Am Institut für zeitgenössische Kunst stellten Schauspieler und Musiker im Februar ein Konzert nach, das die Berliner Band Einstürzende Neubauten vor 23 Jahren an gleicher Stelle gegeben hatte. Ein re-enactment des Hasselhoff-Konzerts ist nicht geplant.

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