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Broken-Windows-Theorie: Immer schön sauber bleiben

Wo Zerstörung ist, wird noch mehr zerstört, wo Dreck ist, kommt mehr Dreck dazu. Was tun? Null Toleranz? Aber die Berliner wollen kein autoritäres Ordnungsamt. Einige engagieren sich, andere verwahrlosen lieber. Und die Politik kehrt nur vor ihrer eigenen Tür.

Carsten Spalleks Herrschaftsgebiet ist an diesem Nachmittag in mäßig unordentlichem Zustand. Auf dem Weg zum Rathaus Wedding an der Müllerstraße, wo Spallek als Stadtrat für Wirtschaft, Immobilien und das Ordnungsamt sein Büro hat, sieht man: Hundekot in Beeten, ein paar Dosen und Tüten auf den Spielplätzen, das ein oder andere verrottende Möbelstück auf dem Fußweg. Die Besatzung eines Streifenwagens kümmert sich am Rand einer Grünanlage um einen kleinen Trinkertrupp. Zwei weitere Trinker bewegen sich den Gehweg hinab in Richtung Rathaus, sie in Jogginghose und ausgelatschten Turnschuhen, er mit einer Gitarre über der Schulter. „Du musst doch wissen“, sagt er, „ob du dir jetzt wichtig bist oder die anderen.“ – „Manchmal bin ich mir wichtig“, antwortet sie, „manchmal die anderen.“

Suff am Nachmittag, in aller Öffentlichkeit, gehört unbestritten zu den Anzeichen von Niedergang. Verwahrlosung ist: wenn es irgendwo aussieht, als würde sich keiner kümmern. Wenn Dreck herumliegt, obwohl die Leute von der Stadtreinigung ihren Job gemacht haben. Verwahrlosung ist ein anderes Wort für Hundekacke, kaputte Flaschen, Essensreste, Müll auf den Straßen oder auf Spielplätzen. Verwahrlosung verunsichert viele Leute. Und viele ärgern sich über verdreckte Parks oder Spielplätze. Oder über Trinker, die dort herumkrakeelen. Verwahrlosung ist ein Politikum.

Wenn Stadtforscher und Psychologen das Vermüllungsverhalten der Großstädter untersuchen, stellen sie fest, dass die Leute schon Zigarettenkippen und Graffiti als Zeichen von Verwahrlosung ansehen. Kriminalitätsforscher betrachten die Verwahrlosung eines Kiezes als Zeichen einer kriminellen Entwicklung. Das ist, verkürzt, die „Broken Windows“-Theorie: Wo Zerstörung ist und Dreck, wird noch mehr zerstört, kommt Dreck hinzu. Abstrakter gesagt: Wo Verwahrlosung ist, wird Kriminalität hinkommen. Oder jedenfalls unordentliches, regelwidriges Verhalten: Mir scheißegal, was andere denken! Leute beschweren sich beim Ordnungsamt, wenn Radfahrer über den Bürgersteig rasen und Fußgänger gefährden. Regeln werden missachtet, Sitten verfallen.

Die Weddinger Trinkerszene gehört nicht zu Stadtrat Spalleks größten Problemen. Der CDU-Mann ist in Wedding aufgewachsen und herbe Verhältnisse gewöhnt. „Wedding war nie schick und schön“, sagt er. Der Wedding sei früher „schroff und ehrlich“ gewesen. „Das ist nicht mehr so. Der Charakter des Kiezes kippt“, sagt Spallek. Woran man das merkt, wo Verwahrlosung beginnt – darüber kann man streiten. Die Politiker tun es gern. Nicht nur zuständigkeitshalber, sondern auch, weil man am Umgang mit der Verwahrlosung zeigen kann, wie man Gesellschaft versteht und Ordnung und Sicherheit und Regeln. Der Kampf gegen Verwahrlosung ist Gesellschaftspolitik.

Lesen Sie auf Seite 2, an was es dem Ordnungsamt fehlt.

Spallek hat sehr klare Vorstellungen. Den Platz vor dem Rathaus ließ er vor anderthalb Jahren zur alkoholfreien Zone erklären. Ein Sicherheitsdienst patrouillierte anderthalb Monate zweimal am Tag und wies die Trinker auf das Alkoholverbot hin. Rund 870 Euro habe das gekostet, sagt Spallek. Dann waren die Trinker weg, umgezogen auf andere Plätze und in die Grünanlagen – aber weg vom Rathausvorplatz. Das hatte Spallek immerhin erreicht: dass Kinder zur Stadtbibliothek im Rathaus gehen konnten, ohne an der lokalen Säuferszene vorbei zu müssen. Das war das eine. Das andere war: Für den 39 Jahre alten CDU-Mann hatte der Zustand des Rathausvorplatzes vor allem und zunächst mit seinem Amtsverständnis zu tun. Was ist das für einer, so muss er sich gefragt haben, der für die öffentliche Ordnung zuständig ist und nicht mal vor seinem Amtssitz Ordnung halten kann, sondern Trinker dasitzen hat – 20 bis 25 Leute, wie Spallek sich erinnert, die eine Kiste Bier leer machten? Das würde bedeuten, Verwahrlosung einfach hinzunehmen. So einer wollte Spallek nicht sein.

Es gibt unterschiedliche Typen von Ordnungsstadträten, Antagonisten im Umgang mit Verwahrlosung sozusagen. Spallek gehört zu denen, die Verwahrlosung auf die Erosion vormals anerkannter Regeln, den Verfall und die gleichzeitige Überforderung staatlicher Autorität zurückführen. Und kein gutes Gefühl dabei haben. Mit zwölf Jahren sei er mal von einem Polizisten angesprochen worden, weil er auf dem Fußweg Fahrrad fuhr – Spallek macht sein erschrockenes Kindergesicht von damals nach: „Natürlich hatte der Autorität!“ So eine Szene kann man sich in Wedding heute nicht mehr vorstellen. Der Staat heute und seine Repräsentanten mögen vieles haben, vor allem viele Angebote – Autorität aber nicht.

Spallek lacht gern im Gespräch. Er sieht ein bisschen streng aus, aber er redet locker, etwa von der „Vollkasko-Mentalität“ mancher Mitte-Bewohner. Probleme? Der Staat wird es schon richten. Das Gefühl, dass politisch etwas massiv ins Rutschen gekommen ist und dieser Prozess sich an der Verwahrlosung ganzer Kieze zeigt, lässt ihn offenbar nicht los. Der Mann aus Wedding hätte den Staat gern ein wenig stärker, als er sich darstellt. Er spricht von der „Wumme“, die einem Polizisten immer noch etwas mehr Autorität verleihe als dem Mann vom Ordnungsamt sein Pfefferspray. Aber gerade der ist zuständig für „die Ordnung“. Man sei in einer Endlosschleife aus Erwartungen der Bürger, neuen Gesetzen, die auf die Erwartungen reagieren, aber nicht durchgesetzt würden, sagt Carsten Spallek. Bürger und Ordnungsamtsmitarbeiter seien gleichermaßen frustriert.

Spalleks Kollege Peter Beckers steht für einen anderen Typ des Ordnungspolitikers. Der Stadtrat für Wirtschaft, Bürgerdienste und das Ordnungsamt im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat natürlich ebenfalls Müll-Probleme. Aber er sieht die Entwicklung nicht ganz so zivilisationskritisch wie Spallek. Ordnungspolitik ist für ihn eher eine Sache der Motivation und der Zusammenarbeit von Behörde und Bürger – da, wo der Bürger dazu bereit ist. Der SPD-Mann versteht sich als Organisator neuer Lösungen. Das funktioniert in Friedrichshain und Kreuzberg eher basisdemokratisch und mit Gefühl. Die heruntergekommenen Teile des Bezirks sind für Beckers etwas, mit dem man umgehen muss, aber kein gesellschaftspolitisches Thema. Manche Kieze vermüllen eben. Von einem Bürgertreffen zitiert der Stadtrat Sätze wie: „Ich möchte hier kein Ordnungsamt!“ oder: „Ich möchte hier keine soziale Kontrolle.“

Auf der nächsten Seite lesen Sie, welche Ecke in Berlin zu den Ordnungsamt-Problem-Gegenden gehört.

Wer in Kreuzberg und Friedrichshain Politik macht, braucht wohl ein zurückgenommenes, sehr serviceorientiertes Politikverständnis. Regeln und Konventionen sind im Bezirk seit langem schon Interpretationssache. Beckers’ Sicht der Dinge wird an einer Begebenheit deutlich, die er selbst beobachtet hat. In einem Haus in Kreuzberg sei ein Bad renoviert worden. Die alte Badewanne stand im Innenhof. Von Tag zu Tag sei sie dann etwas weiter in Richtung Straße befördert worden: vom Innenhof in den Durchgang, dann auf den Gehweg, immer ein paar Meter weiter. Als er die Badrenovierer ansprach – „eine Firma aus Brandenburg“, betont Beckers –, hätten die gesagt: „Wir dachten, das ist hier so üblich.“ Ob Beckers damit indirekt, mit still-resignierter Ironie, Kreuzberg charakterisieren will oder die Vorurteile des Brandenburgers gegenüber dem Kreuzberger, steht dahin.

Eine der Ordnungsamts-Problem-Gegenden ist die Rigaer Straße. Wer das Büro des Stadtrats an der Frankfurter Allee verlassen hat, muss bloß zweimal um die Ecke gehen – schon steht man dort, wo offenbar viele Leute mit Müll nicht umgehen können. Eine kleine Bestandsaufnahme in der Rigaer Straße, der Szene-, Ausgeh- und Abhäng-Straße im Kiez nördlich der U-Bahn-Haltestelle Samariterstraße. Es geht los mit einer leeren Wodkaflasche am Wegesrand. Kein Stromkasten, der nicht beklebt ist – vorzugsweise mit Plakaten, die für die Diskussion der Frage „Wem gehört Berlin?“ geworben haben. Hundescheiße alle paar Meter. Ein Papp-Kaffeebecher, ein Karton für Mitnehm-Essen. Graffiti an jedem Haus, dessen Fassade nicht bemalt ist. Abermals Hundescheiße. Ein Haufen Bauschutt mit Stahlarmierungen. Auf einer Baumscheibe liegen haufenweise Pflastersteine. Um eine halb zusammengefaltete Matratze, mit Klebeband in diesem Zustand festgehalten, stehen drei Punks. Ein paar Meter weiter lagert ein alter Computerbildschirm. Ansonsten Kippen, kaputte Flaschen, Bierdeckel, verlorene Socken. Dann ein Müll-Rätsel: zwei Fischkonservenbüchsen undefinierbaren Inhalts, halb leer, dazu zwei ausgepresste Zitronenhälften.

Beckers würde das nicht bewerten. Wie Leute mit ihrem Kiez umgehen – „das ist eine Frage der grundsätzlichen Lebenseinstellung.“ Dass in Kiezen wie diesem die Leute vom Ordnungsamt allenfalls gelitten sind, versteht sich von selbst. Nur eine „aktive Bürgerschaft“ ändere etwas an solchen Zuständen. Dann gebe es auch „gemeinsame Aktionen“ von Bürgern und Ämtern. Indes findet Beckers auch nicht, dass die Vermüllung immer schlimmer wird: „Es ist nicht mehr geworden, es ist einfach geblieben.“ Beim Umgang mit dem Hundekot ändere sich sogar ganz langsam etwas zum Positiven: Die Bereitschaft, den Haufen in die Tüte zu packen, nehme zu, sagt Beckers. Das gelte sogar für „Punks und andere Leute, bei denen man es nicht erwartet hätte“.

Also tut sich was? Dass manche Hundebesitzer dazulernen, meint man sogar bei der Stadtreinigung zu bemerken. Aber sonst? Jens-Holger Kirchner, grüner Stadtrat für Öffentliche Ordnung in Pankow, bringt das Ordnungsproblem auf eine fast philosophische These: „Die Stadt, deren Label Freiheit ist, müsste sich eigentlich selbst organisieren.“ Stattdessen bemerkt er zwei gegenläufige Tendenzen: einerseits den Verzicht auf Selbstorganisation – Verwahrlosung in Freiheit. Andererseits „zivilgesellschaftliches Engagement im besten Sinn“. Leute kümmern sich, wie etwa die Freunde des Mauerparks, die dort versuchen, ein paar Ordnungsstandards durchzusetzen.

Lesen Sie auf Seite 4 wie viele Ordnungshüter die Stadt bräuchte, um sauber zu bleiben.

Manchmal hat der grüne Kommunalpolitiker den Eindruck, die Politik werde Opfer ihres eigenen Erfolges. Da versucht man, Prenzlauer Berg zum Radlerparadies zu machen – und dann sind da Radfahrer überall, vorzugsweise auf Gehwegen und gern mit Rädern, auf denen Kinder mitreisen. Kirchner hat sich die Fähigkeit bewahrt, über Ordnungsfragen zu lachen, trotz oder wegen 30 Hinweisen auf Ordnungsprobleme täglich. Seine Lieblingsgeschichte handelt von den „sozialistischen“ Erwartungen des Bürgers an den Staat: Da habe einer angerufen beim Ordnungsamt und gesagt, bei ihm vor dem Haus stehe ein alter Kühlschrank. Das Amt rückte an, sah routinemäßig in den Kühlschrank und fand ein altes Medikament. Auf dem Etikett hatte die Apotheke den Namen des Kunden vermerkt. Es war der, der beim Ordnungsamt angerufen hatte, um auf den Kühlschrank hinzuweisen.

Radfahrer auf dem Bürgersteig, Falschparker, Lärm, die Trinker vom Helmholtzplatz, die Leute am grünen Rand von Pankow, die zum von der BSR eingesammelten Laub den Grünmüll aus dem eigenen Garten stellen und vielleicht auch noch eine alte Autobatterie – „das Ordnungsamt ist eigentlich immer an der falschen Stelle“, sagt Kirchner und trifft auch mit dieser These den Kern des Verwahrlosungsproblems. Spaßeshalber habe er mal ausgerechnet, wie viele Mitarbeiter sein Ordnungsamt auf der Straße haben müsste, wollte es alle Aufgaben lösen und alle Regeln durchsetzen: 6000, sagt Kirchner. Das würde reichen, um alle 200 Meter an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr eine Doppelstreife zu postieren.

Was nicht passt zu Berlin. Zu Berlin passt eher der Hader über die Verwahrlosung hier und da bei gleichzeitiger Betonung der eigenen Lässigkeit. Die Leute ärgern sich – aber nicht zu sehr. Die Ordnungsämter von Berlin sind überladen mit Aufgaben und personell unterbesetzt, „weil wir sozialistische Verhältnisse haben und weil wir eine Stadt der Freiheit sind“, sagt Kirchner, der Philosoph unter den Ordnungspolitikern: Der Staat soll immer zuständig sein. Doch seine Zuständigkeit darf nicht repressiv erscheinen.

Was tun? Stadtrat Beckers aus Friedrichshain-Kreuzberg würde, um beim Grundsätzlichen anzufangen, gern den Leuten vom Ordnungsamt erlauben, auch mal ohne Uniform unterwegs zu sein. Damit sich die Leute nicht nur dann an Regeln halten, wenn die blauen Uniformen nahen. Beckers findet überdies höhere Ordnungsstrafen sinnvoll – damit die Leute merken, dass der Staat es ernst meint. Kollege Spallek aus Mitte hätte gern mehr Mitarbeiter. Und er findet, dass nur Erziehung gegen die Art von Verwahrlosung hilft, mit der er es in Wedding zu tun hat. Weil die Erziehungsfähigkeiten vieler Eltern verwahrlost sind, denkt der CDU-Mann Spallek an Kindergartenpflicht und Integrationskonferenzen. Da müsse es um Antworten auf die zentrale Frage gehen: „Was wollen wir voneinander?“ Kollege Kirchner aus Pankow setzt auf Bürger, die sich engagieren. Aber er erwartet auch, dass in den kommenden Jahren eine Menge neuer Regeln kommen – etwa für Radfahrer. Das könnten eine Kennzeichenpflicht sein, ein Führerschein – oder Einträge im Flensburger Verkehrssünder-Register.

Die Psychologin Rebekka Gerlach hat an mehreren Untersuchungen zum „Littering“ mitgearbeitet – der englische Begriff für den Umgang des Stadtmenschen mit dem Müll. Da kommt man zu komplexen Erkenntnissen. So sagen Leute, die beim Wegwerfen von Müll ertappt worden sind, es sei kein Mülleimer in der Nähe gewesen – auch wenn das nicht zutrifft.

Und auf der nächsten Seiten erfahren Sie, wo die Lösung für Berlins Müll-Problem liegen könnte.

Der Müllwegwerfer in der Stadt beurteilt aber nicht nur die Umgebung falsch, sondern auch die anderen. Auf die Frage, warum überhaupt Menschen Müll wegwerfen, setzt er „Faulheit“ als Motiv Nummer eins, „Gleichgültigkeit“ als Motiv Nummer zwei. Dabei haben die meisten Menschen sehr wohl die Norm verinnerlicht, dass man Müll nicht einfach wegwirft, so Rebekka Gerlach. Das zeigten Studien. „Nur richten sich Menschen aus unterschiedlichen Gründen nicht danach, zum Beispiel aus Bequemlichkeit. Wenn man sie aber erwischt, haben die meisten ein schlechtes Gewissen. Was auch dafür spricht, dass die innere Norm des ,Nichtlitterns’ vorhanden ist.“ Doch die wirkt nur, wenn sie „aktiviert wird“, sagt die Psychologin. Und das funktioniere durch Kampagnen oder die Organisation von Patenschaften für bestimmte Gebiete. Wichtig sei, das Gefühl der Kiezzugehörigkeit der Leute zu verstärken. Das verlange soziale Kontrolle in einem erträglichen Maß. Der Umgang mit dem Müll in der Stadt der Freiheit setzt eine gewisse Reife voraus. Rebekka Gerlach sagt: „Ich mag die Vorstellung, dass Menschen auch über Normen verfügen, die von innen kommen.“

Das dürfte sie mit vielen Bürgern in Berlin verbinden. Doch findet dieses Gefühl nicht den Weg in die Politik. Dazu gehört, dass man dem prekär situierten Teil der Gesellschaft viele Regelverstöße durchgehen lässt. Besonders dreckig, das wissen die Qualitätsmanager der BSR, ist Berlin in den Problemkiezen, in Neukölln-Nord zum Beispiel. Die BSR-Fachleute bestätigen den Augenschein: Wo die Stadt heruntergekommen ist, verwahrlost und vermüllt sie rasch. Christian Laue hält dennoch nicht viel davon, in freier Übersetzung der „Zero Tolerance“-Strategie aus New York mit dem Problem umzugehen. Der Kriminologe von der Universität Heidelberg hat in einer Studie untersucht, warum das Konzept, das aus der „Broken Windows“-Theorie abgeleitet wurde, im New York der frühen 90er Jahre funktionierte – und wo die Unterschiede liegen.

In New York hatten Bürgermeister Rudy Giuliani und sein Polizeichef William Bratton Erfolg, weil sie die „Revitalisierung der Stadt“ möglich machten. Straßen, U-Bahnen, die Parks wurden wieder sicher, sagt Laue. Aber: „New York ist überhaupt nicht vergleichbar mit einer deutschen Stadt.“ Das beginnt mit der Personalausstattung der Polizei. Schon das war ein Milliarden-Dollar-Programm, schreibt Laue in seiner Studie „Broken Windows und das New Yorker Modell – Vorbilder für die Kriminalprävention in deutschen Großstädten?“. Erst nach einer kräftigen personellen Aufrüstung des New York Police Departments hatte dieses so viele Polizisten wie Berlin im Jahr 2002 – bei halb so großer Bevölkerung.

Laue sagt als Theoretiker, was auch die Stadträte Beckers und Kirchner sagen: „Verwahrlosung hat mit Polizei wenig zu tun. Da geht es primär darum, dass Leute sich für ihren eigenen Stadtteil verantwortlich fühlen. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit – das ist das Entscheidende. Die Zufriedenheit im eigenen Stadtteil ist das Wichtigste – und die ist von der Polizei unabhängig.“ Sinnvolle Prävention gegen Verwahrlosung beginne mit einer Umfrage, so der Heidelberger Kriminalitätsforscher. Das hätten Untersuchungen über Kriminalprävention gezeigt. Die Leute würden gefragt: Welche sind die wichtigsten Probleme in Ihrem Stadtteil? Das habe den Effekt, dass die Leute sich sagten: Die kümmern sich um uns. Und die Verwaltung weiß genau, wie sie ihre knappen Ressourcen am besten einsetzt.

Die Berliner Politik verfährt andersherum: Aus Diskussionen und Beschwerden werden neue Vorschriften und Gesetze. Um deren Einhaltung soll sich das Ordnungsamt kümmern. Eine endlose Vorschriftenserie von oben. So wird der Umgang mit Hunden und Kampfhunden neu geregelt und der Umgang mit Rauchern. Aber die Methode funktioniert nicht – das zeigen die immer neuen Verwahrlosungsdiskussionen. Anders als vor zwanzig Jahren in New York macht sich niemand im Senat an das Problem „Verwahrlosung“ – nicht im Sinne von: Ich will das ändern. Dabei ähneln sich Probleme in den Bezirken – das schreit nach einer übergeordneten, vom Senat organisierten Lösung. Doch weil sich keiner zuständig macht, verwahrlost Berlin: in Freiheit und kiezweise.

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