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Berlin: Bruno Preisendörfer über Schiffsuntergänge und andere Katastrophen frisch aus dem Berliner Kulturangebot

Die Leute stehen auf dem Trottoir und auf der Straße herum und gucken in die Luft. Der Mann da zum Beispiel, weißes Hemd, Anzug und Hut, die linke Hand leger in der Jackettasche, mit der rechten hält er ein kleines Fernglas.

Die Leute stehen auf dem Trottoir und auf der Straße herum und gucken in die Luft. Der Mann da zum Beispiel, weißes Hemd, Anzug und Hut, die linke Hand leger in der Jackettasche, mit der rechten hält er ein kleines Fernglas. Auf der anderen Straßenseite ein Mann auf dem Rücksitz eines offenen Wagens. Auch er schaut nach oben; und die Frauen, die herumstehen mit weiten Röcken und tellergroßen Hüten, schauen nach oben. Nur die Soldaten im Hintergrund nicht, die behelmt und mit aufgepflanzten Bajonetten in Zweierreihen ihrem Offizier hinterhertrotten.

Die friedliche Szene, noch ist der Krieg nicht ausgebrochen, wird von einem Prachtbau überragt, auf dessen Frontgiebel Großbuchstaben das Palast-Hotel annoncieren. Das alles geschah am 17. April, am 17. April 1912, und es ist zu sehen auf einem Foto von Zille, und das Foto ist untertitelt "Potsdamer Platz, Passanten beobachten. . ." - raten Sie mal - ". . .beobachten eine. . .", ganz recht, ". . .eine. . .", na Sie wissen schon. Und die ist heute mein erster Veranstaltungstip. Für nähere Angaben verweise ich Sie an die Tagespresse, und die halten Sie ja zum Gllück schon in der Hand, und wenn es ihnen jetzt schwarz vor den Augen wird, dann müssen Sie halt das Licht anmachen. Denn heute wird es noch finsterer als in der Apokalypse: "Und der vierte Engel stieß in die Posaune. Da wurde der dritte Teil der Sonne und der dritte Teil des Mondes und der dritte Teil der Sterne geschlagen, auf daß der dritte Teil davon finster würde."

Apokalypse heißt eigentlich soviel wie "Enthüllung", "Offenbarung"; aber weil das von Johannes Enthüllte und Offenbarte ein mordsmäßiger Weltuntergang im Star Wars-Stil ist, wird das Wort "Apokalypse" auch gleichbedeutend mit "Untergang" gebraucht, was mir sehr recht ist: Es hilft mir weiter zur "Titanic", über die Hans Magnus Enzensberger einen Gesang geschrieben hat. Das war 1978; außerdem ist, glaube ich, mit Enzensbergers "Untergang" eine Anekdote verbunden, die verdächtig genau zur ganzen Geschichte paßt. Das Manuskript des Textes nämlich ging irgendwie verloren und Enzensberger müsste alles noch einmal neu machen, was er dann auch geschafft hat, wie man sich am Samstag um 21 Uhr im Probenhaus am Antonplatz von Peter Straßberger vor Augen, genauer gesagt vor Ohren führen lassen kann. HME wird in diesem Jahr 70, am 11.11., aber nicht um Elf Uhr elf, um über ein Witzlein zu stolpern, das so vorhersehbar ist wie der alljährliche Fasching. Natürlich wird es Würdigungen geben, "der beste seiner Generation" und so, wie Habermas es mal ausgedrückt hat, der dann höchstens der zweitbeste sein kann, weil er ja auch 70 geworden ist in diesem Jahr.

Das Schlußlicht will ich diesmal dem Apokalyptiker Karl Kraus in die Hand drücken. Es beleuchtet auch den "friedlichen" Soldatentrupp am Tag der Sonnenfinsternis: "Die heimkehrenden Krieger werden in das Hinterland einbrechen und dort den Krieg erst beginnen." Das trifft jedoch mehr auf die "modernen" Bürgerkriege zu als auf den Ersten Weltkrieg. An der pazifistischen Fackel aber kann man sich auch heute noch die Finger verbrennen.Hans Stern spricht über die "Fackel" am kommenden Sonntag um 16 Uhr im Jüdischen Kulturverein

Hans Stern spricht über die \"Fackel\" am komme

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