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Brustkrebs bei jungen Frauen: Mitten ins Leben

„Krebs, Chemo, Tod. So läuft es doch“, sagt sich eine Berlinerin nach ihrer Diagnose. Aber ist sie dafür mit 28 nicht viel zu jung? Über ein Jahr voller Schmerzen und Ängste.

Von Katrin Schulze

Sandra Klimke* legt sich auf den Boden, wenn es zu schlimm wird. Ganz fest drückt sie ihren dünnen Körper dann auf den Holzboden ihrer Schöneberger Wohnung. Um sich zu spüren. Um zu spüren, dass sie noch da ist.

Celine Siebert* geht ins Fitnessstudio. Sie trainiert und rackert und schwitzt so lange, bis die Muskeln nicht mehr mitmachen. Bis sie die Schmerzen fühlt.

Emma Bergener* tastet. Sie kontrolliert sich. Viel öfter als früher. Legt ihre Hände auf die Stellen ihres Körpers, die gerade pieken und zwicken. Oder auf die, von denen sie denkt, dass sie das gerade tun.

Drei Frauen, drei Leben, die auch hätten vorbei sein können. Die auf jeden Fall aber zu jung sind für das hier, in einem Wilmersdorfer Krankenhaus im Kreis zu sitzen mit fünf weiteren Frauen und darauf zu warten, eine Plüscheule in die Hand gedrückt zu bekommen. Die wandert im Kreis von einer zur anderen, wer sie in den Händen hält, ist an der Reihe, zu erzählen. Von den Problemen und den Ängsten.

Es sind Sätze, die davon erzählen, nicht wieder verlieren zu wollen, was sie schon einmal verloren haben. Das Gefühl für den eigenen Körper, für die Haut, in der sie stecken, für das, was auf einmal nicht mehr mit ihnen arbeitete, wie sie es gewohnt waren mit ihren 28 und 30 Jahren, sondern gegen sie. Ihre Jugend und dieses Gefühl, das passte nicht zusammen.

Alle Frauen in diesem kleinen Raum des Krankenhauses kennen das. Sie tragen Kurzhaarfrisuren, Tücher oder Perücken und eben für ein paar Momente diese abgegriffene Plüscheule, die im Kreis herumgeht. Keine von ihnen hat damit gerechnet, dass es ausgerechnet sie trifft. Brustkrebs ist etwas, das die anderen haben. Meistens Ältere.

Statistisch gesehen ist eine Frau im Durchschnitt 64 Jahre alt in Deutschland, wenn sie Brustkrebs bekommt – was immerhin jeder achten im Laufe ihres Lebens passiert. Die Frauen, die jetzt in Berlin-Wilmersdorf den Kreis bilden, reißen den Durchschnitt nach unten. Und wie. An Wahrscheinlichkeiten oder Statistiken glauben sie ohnehin nicht mehr, seit sie die Diagnose hörten, die plötzlich alles infrage gestellt hat. „Sie haben Krebs.“

Die Frauen sind eine Abweichung von der Norm, eine Ausnahme. Nur hier, im ersten Stock des Wilmersdorfer Sankt-Gertrauden-Krankenhauses, wo sich die einzige Gesprächsrunde für junge Brustkrebspatientinnen im Berliner Raum einmal im Monat trifft, sind sie die Regel. Die Tür des kleinen Raums ist geschlossen, es ist stickig, aber wenigstens riecht es nicht nach Krankenhaus. Wasser und Saft stehen auf den Tischen um den Stuhlkreis herum, es hilft wenig gegen die Hitze, so dass eine nach der anderen etwas zum Fächern aus der Tasche kramt und sich Luft macht. Es sieht aus, als schlügen ihre Gedanken mit den Flügeln.

Emma Bergener knetet die Plüscheule mit ihren Händen, während sie den anderen von ihrem neuen Leben erzählt. „Es läuft super.“ Die neuen Kollegen seien nett und passten auf, dass sie nicht zu viel arbeite. Was eine Gefahr bei ihr ist. Frech sieht Emma Bergener inzwischen wieder aus mit ihren kurzen, dunklen wilden Haaren, durch die sich ein paar blonde Strähnen ziehen. Ihr zweites Gesicht.

Vor gut einem Jahr trägt sie noch einen kinnlangen Bob. Ihre Haut hat keine Falten, lange Wimpern umrahmen blaugrüne Augen. Sie sitzt in ihrer schlicht eingerichteten Zweizimmerwohnung am Südrand der Stadt auf dem Sofa, nippt am Kaffee, den sie schwarz trinkt, und blickt auf ein Leben, in dem alles seinen Platz hat. Nichts liegt hier nur herum. Dass sie krank ist, hätte ihr niemand geglaubt. Nicht mal die Gynäkologin meint, dass es etwas Ernstes sein könnte, als Emma Bergener in der Sprechstunde von einem Knoten erzählt. Harmlos, sagt die Ärztin – und schickt sie wieder nach Hause.

"Sie haben Krebs. Noch Fragen?“

Als sie dann doch ins Krankenhaus geht, will sie deshalb eigentlich nur abklären, dass alles in Ordnung ist. So wie es ihr alle vorher gesagt haben: der Freund, die Familie, die Ärzte – und sie sich selbst. Geh hin, lass es nachgucken, es wird nichts sein. Das Wartezimmer, in dem sie auf die Ergebnisse ihrer Untersuchung wartet, liegt nur ein paar Meter entfernt von dem anderen Zimmer, in dem damals einige Frauen auf roten Lederstühlen ebenfalls zu warten scheinen. Um sie ranken sich Schläuche, tröpfchenweise, ganz langsam nur fließen Flüssigkeiten aus Beuteln über ihren Köpfen ins Blut. Blubb, blubb, blubb. Chemotherapie. Und Emma Bergener weiß noch, wie sie denkt, dass sie niemals selbst dort auf den roten Stühlen sitzen wird.

„Ein bösartiger Tumor.

Emma Bergener reagiert nicht. Sie starrt bewegungslos ins Nichts. So erzählt sie es auf ihrer Couch. Im nun folgenden Jahr wird es viele solcher Momente der Mitteilsamkeit geben. Aber die Frau, deren Welt in jenem Arztzimmer zum Stillstand kommt, sie wird sich auch verschließen. Wie schon jetzt die Worte der Ärztin lange brauchen, bevor sie sie erreichen. Dann bricht sie in Tränen aus. Ihr Freund und ihre Eltern verstehen sie am Telefon kaum, als sie mit bebender Stimme sagt, was los ist. „Ich habe Krebs.“

Drei so kleine, große Worte, die alles verändern. Emma Bergeners sortiertes Leben. Sie war eine quirlige, selbstbewusste Frau mit einem eigenen Kopf, hatte viele Freunde und endlich eine glückliche Beziehung. Ihr Job versprach gute Aussichten auf eine ganz ordentliche Karriere.

„Sie haben Krebs.“ War es das jetzt? Was wird übrig bleiben? Können sich die Ärzte geirrt haben? Und hätte das auch verhindert werden können? „Wenn einer 75 Jahre alt ist, kann er nicht fehlen, dass er mitunter an den Tod denke“, hat Johann Wolfgang von Goethe einst geschrieben. Mit 75. Aber doch nicht mit 28! „Krebs, Chemo, Tod. So läuft es doch“, denkt sich Emma Bergener und sucht nach den drei kleinen, großen Worten als erstes Zuflucht bei ihrer Mutter.

Tatsächlich ist Brustkrebs in der westlichen Welt die häufigste Todesursache bei Frauen zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr, knapp 60 000 erkranken in Deutschland jährlich, 17 500 sterben pro Jahr an den Folgen dieser Erkrankung. Das zu verhindern, ist die Aufgabe von Menschen wie Jens-Uwe Blohmer. Ein paar Akten liegen auf dem Schreibtisch seines aufgeräumten Zimmers im Sankt-Gertrauden-Krankenhaus, ein Bild vom alten Berlin hängt an der hellen Wand. Die jüngste Patientin, die der Arzt hier wegen Brustkrebs behandelte, war 23.

In letzter Zeit kamen immer mal wieder Frauen um die 30, nicht nur er meint, dass es mehr geworden sind. Warum, darüber ist sich die Wissenschaft nicht einig. Genetische Faktoren spielen eine Rolle, die Lebensführung eventuell auch – Übergewicht, Nikotin. Die Heilungschancen sind inzwischen relativ gut. Aber was bleibt, ist dieses Gefühl. „Die psychologische Verarbeitung ist bei jungen Frauen sicherlich schwieriger“, erzählt Blohmer. „Sie stehen mitten im Leben und haben wenig Erfahrung mit der Verarbeitung von Schicksalsschlägen. Dann kommen noch der Beruf, die Familie, die Kinder oder der Wunsch nach Kindern hinzu.“ Das Brustzentrum, das Jens-Uwe Blohmer leitet, hat sich auf junge Krebspatientinnen spezialisiert. Oft leiden sie an aggressiven Formen des Tumors, bei denen sich die Zellen schneller teilen. Die meisten müssen die schlimmste aller Chemotherapien über sich ergehen lassen.

Emma Bergener ist eine pragmatische Frau. Statt Frauenzeitschriften liest sie jetzt Broschüren und Bücher über Krebs. Sie erfährt, was auf sie zukommen wird: Dass man ihr nicht nur den Knoten in der Brust, sondern auch Lymphknoten entnehmen wird, dass man sie auf etwaige Metastasen untersuchen wird, in den Knochen und in den Organen – und was eine Chemotherapie im Körper anrichtet. Manchmal, nicht oft, schafft es Emma Bergener, an etwas anderes zu denken. Immer mal wieder weint sie. Nachts, wenn es keiner mitbekommt.

Sie erkennt sich manchmal selbst nicht

Und dann sitzt sie doch auf dem roten Stuhl der Chemoambulanz. Sechsmal, alle drei Wochen, muss sie für vier Stunden dort hin. Meistens liest sie dabei, hört Musik, lenkt sich ab, denn hinsehen, wie die verschiedenen Flüssigkeiten – eine davon so rot wie Blut – aus den Beuteln langsam in ihre Venen dringen, will sie nicht. Es ist schon schlimm genug, die Konsequenzen zu ertragen.

„Die Therapie macht mich zu einem anderen Menschen“, sagt sie. „Zu einem kleinen ekelhaften Teufel.“ Langsam, tröpfchenweise. Blubb – blubb – blubb.

Diejenigen, die sich jetzt um sie kümmern, bekommen einen garstigen Menschen zu spüren, der sie anherrscht. Warum? Sie weiß es nicht. Und dann gibt es noch diejenigen, die Bescheid wissen, aber einfach nicht damit umgehen können. Sie meiden das Thema Krebs – und sie meiden Emma Bergener.

In der ersten Woche nach jeder Chemotherapie fühlt sie sich wie eine gebrechliche 80-Jährige. Uralt. An einigen Tagen kann sie kaum aufstehen, liegt einfach nur da und krümmt sich vor Schmerzen auf der Couch oder im Bett ihres einstigen Kinderzimmers in dem großen Haus der Eltern. Oben unter der Dachschräge.

Das andere sind ihr Gesicht, das ein bisschen breiter geworden ist, und die Klamotten, die sie weiter trägt. Die engen Jeans und die schmalen Tops, die sie einmal favorisierte, sind Schlabbersachen gewichen. Obwohl sie keinen Hunger hat und alles nach Blut und Eisen schmeckt, fühlt sich Emma Bergener aufgeschwemmt, das Kortison, das die Nebenwirkungen der Chemotherapie lindern soll, hinterlässt seine Spuren. Sie fühlt sich kein bisschen mehr weiblich. Gut zwei Wochen nach der ersten Chemotherapie fährt sie sich durch die Haare, an ihren Händen bleiben ganze Büschel hängen. Vorbei, auch der schöne dunkle Bob.

Sie sitzt im Wohnzimmer der Eltern, als ihr die Mutter die verbliebenen Haare abschneidet – am Ende mit dem Nassrasierer. Sie weiß, dass es nun wirklich jeder sehen wird. Wer ist diese Person? Wenn sie in den Spiegel schaut, erkennt sie sich selbst nicht mehr. „Du hast Krebs“, sagt sie zu dem Mädchen im Spiegel. Sie weint.

Von jungen Frauen mit Krebs hat man zuletzt vermehrt gehört, weil Prominente wie Kylie Minogue, Janine Pietsch, Sylvie van der Vaart oder Miriam Pielhau ihr Schicksal öffentlich gemacht haben. Die Möglichkeiten sind bei ihnen durch Geld und Status vielleicht auch andere als bei Frauen wie Emma Bergener, aber das Problem, ein grundsätzliches, ist bei ihnen dasselbe, und Jens-Uwe Blohmer benennt es: „Die jungen Frauen sind noch nicht im Mammografiescreening“, sagt der Spezialist, „und sie werden auch sonst nicht medizinisch überwacht. Bei den unter 30-Jährigen wird ja nicht mal eine regelmäßige gynäkologische Vorsorgeuntersuchung der Brust empfohlen. Diese Frauen haben praktisch gar keine andere Chance, als den Brustkrebs selbst zu ertasten.“

Menschen, die Emma Bergener lange nicht gesehen haben und sich über ihr verändertes Aussehen wundern, erzählt sie von einem Neuanfang. Ihre Krankheit spart sie aus. Dafür erzählt sie davon, dass sie ihren alten Job gekündigt hat, von Berlin nach Hamburg gezogen ist, um mal etwas ganz anderes zu probieren. Um ihre Erfahrung weitergeben zu können, ergänzt sie still in Gedanken. Emma Bergener arbeitet jetzt als Produktmanagerin bei einer Firma, die einen Artikel auf den Markt bringen wird, der den Haarausfall bei Chemotherapien vermeiden soll.

Sie arbeitet jetzt nicht mehr gegen die Krankheit, sie lebt mit ihr.

*Namen geändert

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