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Berlin: Brutal im Trend

Immer mehr Jugendliche beteiligen sich am „Happy Slapping“: Prügelorgien, die mit Handy gefilmt werden Die Polizei ist darauf angewiesen, dass Lehrer, Eltern und Opfer Anzeige erstatten, damit sie ermitteln kann

Ein Jugendlicher sitzt auf der Parkbank, ein anderer tritt ihm ohne Vorwarnung ins Gesicht. Einer steht mit dem Rücken zur Wand, vier schlagen gleichzeitig auf ihn ein. Ein Jugendlicher liegt am Boden, ein anderer lässt aus zwei Metern Höhe eine Mülltonne auf ihn fallen.

Je brutaler die kurzen Filme, desto beliebter sind sie: So genannte „Happy Slapping“-Videos (in etwa: „Fröhliches Schlagen“) machen auf Berlins Schulhöfen die Runde. Der makabre Trend begann vor etwa drei Jahren in England. Jugendliche greifen, meist in Überzahl, willkürlich Passanten an und nehmen ihre Gewalttaten mit dem Foto-Handy auf. Die Filme gelten als Trophäen und werden im Freundeskreis von Handy zu Handy weiter kopiert.

Ein aktueller Fall von „Happy Slapping“ ereignete sich nach Tagesspiegel-Informationen am Dienstag an der Dag-Hammarskjöld-Oberschule in Tempelhof: Ein Mädchen beschuldigte ihre 15-jährige Klassenkameradin, im Unterricht über sie gelacht zu haben. Nach Schulschluss lauerte sie ihr mit 14 weiteren Jungen und Mädchen auf dem Heimweg auf. Die Gruppe schlug das Mädchen brutal zusammen. Aus der Menge heraus filmte jemand die Prügelszene per Handy. Wie ein Ermittler erzählte, habe die Mutter des Opfers Anzeige erstattet. „Sonst hätten wir wahrscheinlich nie davon erfahren.“

Bereits am vergangenen Wochenende hatte eine Prügelserie in Friedrichshain der Polizei Rätsel aufgegeben. Wahllos und ohne Vorwarnung hatte eine Gruppe von 15 Jugendlichen Passanten angegriffen. Fünf Opfer wurden mit Bierflaschen und Schlagstöcken verletzt. Ob die Prügelei ebenfalls mit dem Handy aufgezeichnet worden ist, blieb allerdings unklar.

„Wer herumzeigen kann, was für ein brutaler Kerl er ist, versucht so, Eindruck zu schinden bei anderen“, sagt Christian Zorn, Jugendbeauftragter der Polizeidirektion 3, unter anderem zuständig für Wedding. Beim „Happy Slapping“ gehe es aber nicht nur um das eigene Selbstwertgefühl, sondern auch um die „nochmalige Demütigung des Opfers“. Denn dadurch, dass der Film unter den Mitschülern die Runde macht, wird das Opfer immer wieder mit der Tat konfrontiert.

Bislang sind die Ermittler darauf angewiesen, dass sich Lehrer, Mitschüler oder Eltern an die Polizei wenden und Anzeige erstatten. Denn ohne einen konkreten Anfangsverdacht dürfen Polizisten auf Schulhöfen keine Handys kontrollieren „Es gibt Opfer, die sich bei uns melden. Aber viele von ihnen sind zu sehr eingeschüchtert.“

Zahlen darüber, wie viele Fälle von „Happy Slapping“ bekannt sind, gibt es noch nicht. „Wir haben keine Statistik. Die Taten werden derzeit unter anderem noch unter gefährlicher Körperverletzung im Polizeisystem eingeordnet“, sagt Susanne Bauer, die Leiterin der Präventionsstelle im Landeskriminalamt (LKA).

Im Polizeipräsidium will man noch nicht von einem „Trend“ sprechen. Trotzdem reagiert die Behörde: Die Präventionsstelle beim LKA hat einen Flyer entwickelt, der demnächst an Eltern verteilt wird.

Vor allem auf eines weist die Polizei hin: Wer die Filme auf seinem Handy hat und sie herumzeigt oder weiter verschickt, macht sich strafbar. Denn die Bilder zeigen gewaltverherrlichende Szenen. Auch Eltern können nach Paragraf 15 des Jugendschutzgesetzes belangt werden, schließlich haben sie darauf zu achten, dass ihre Kinder keinen Zugang zu jugendgefährdenden Medien haben. Einer der Tipps im Info-Blatt: Wer die so genannte „Bluetooth“-Funktion am Handy seines Kindes sperrt, stellt sicher, dass die Gewaltfilme nicht kostenlos von einem Handy auf das andere übertragen werden können.

Die Jugendlichen kennen aber auch andere Wege, ihre Videos zu tauschen. „Ich verschicke die als Mail“, sagt ein Schüler der Kreuzberger Carl-Friedrich-Zelter-Oberschule, der nach eigener Aussage selbst regelmäßig beim Dreh von Happy-Slapping-Videos dabei ist. Er ist 16 Jahre, geht in die neunte Klasse und nennt sich „Big Rabbit“. Auf seinem Handy hat er mehrere Gewaltfilme gespeichert, unter anderem das so genannte „Hasenheide-Video“, das auf Berlins Schulhöfen besonders stark verbreitet wurde. Es zeigt eine Massenschlägerei von Kreuzberger und Neuköllner Jugendlichen im Park.

Angeblich kursiert in Berlin auch ein Video, auf dem ein Mann erst gequält und dann mit der Pistole erschossen werde. Das hat er allerdings nicht bei sich. „Big Rabbit“ sagt, er habe schon an mehr als 20 aufgezeichneten Übergriffen teilgenommen. „Wer die sieht, legt sich nicht mit mir an.“ Auf einem sichergestellten Video habe ihn allerdings die Polizei erkannt. Jetzt laufe ein Verfahren.

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