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Berlin: Buchvorstellung: Ein Kämpfer mit vielen Gefühlen

Mit so einem überwältigenden Andrang hatten die Veranstalter gar nicht gerechnet: Bis unter die S-Bahnbrücke reichte die Schlange vorm Jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße. Zum ersten Mal hatte die Volkshochschule Johannes Mario Simmel zu einer Buchvorstellung eingeladen.

Mit so einem überwältigenden Andrang hatten die Veranstalter gar nicht gerechnet: Bis unter die S-Bahnbrücke reichte die Schlange vorm Jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße. Zum ersten Mal hatte die Volkshochschule Johannes Mario Simmel zu einer Buchvorstellung eingeladen. Auch Stefan Heym und der neue israelische Botschafer Shimon Stein waren gekommen. "Die Bienen sind verrückt geworden" lautet der Titel des neuesten Buches mit "Reden und Aufsätzen über eine wahnsinnige Welt". Statt der erwarteten 500 Zuhörer mussten schließlich rund 700 untergebracht werden. Die Schauspielerin Iris Berben hatte Aufsätze aus dem Buch bereits in München vorgelesen, wo das Interesse ebenfalls riesengroß war. Sehr eindringlich trug sie den Text "Ganz kleine Kinderschuhe" vor, eine gleichzeitig beklemmende und berührende Begebenheit aus dem Jahr 1954; mit wirkungsvoller Nüchternheit präsentierte sie den Text "Deutsche Leitkultur. Exemplarisch vorgestellt am Beispiel eines gütigen Richters."

Johannes Mario Simmels Romane erreichten eine Gesamtauflage von 72 Millionen und wurden in 33 Sprachen übersetzt. Die Kluft zwischen Welterfolg und der Skepsis deutschsprachiger Literaturkritik gegenüber allem, was trivial anmutet, kennzeichnete seinen Werdegang. In dem von Giovanni di Lorenzo moderierten anschließenden Gespräch ging es also auch um den typisch deutschen Unterschied zwischen E- und U-Literatur, aber die Hauptrolle spielte das Leitmotiv in Simmels Leben: die Wut auf die Nazis, die alten und die neuen. Diese Wut markiere auch den Schnittpunkt seiner langjährigen Freundschaft mit Iris Berben. "Diese Frau, die landauf landab Lesungen hält, setzt ihr Leben aufs Spiel", sagte der 76-Jährige, der 1960 mit seinem Roman "Es muss nicht immer Kaviar sein" vom Reporter zum Bestsellerautor avancierte. Dass sein Vater Jude war, wussten die Veranstalter ursprünglich gar nicht. Aber nicht deshalb zieht der Autor gegen Nazis zu Felde. "Ich habe den Untergang einer ganzen Welt miterlebt, und ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ein halbes Jahrhundert später wieder Leute durch die Straßen laufen, die Juden verfluchen und andere Menschen totschlagen", sagte er. "Das ist am Rande eines Zustands, der mich umbringt."

Eine Frage zu den Resozialisierungschancen von rechten Jugendlichen, brachte den Befragten rasch auf die Diskussion um den Außenminister: "Die Demokratie, mit der wir angefangen haben, begann mit Leuten, gegen die die Vergehen von Herrn Fischer..."., an dieser Stelle sah man den Schriftsteller nach Worten ringen... "Peanuts sind". Zwischenbeifall aus dem Publikum.

Gefühlvolle Bekenntnisse gab es nicht nur für Iris Berben, Stefan Heym ("Lieber Stefan, ich liebe dich") und dessen Frau Inge. Eine betont behutsame Überleitung nützte Simmel, um an seine über alles geliebte Frau Lulu zu erinnern, die 1985 starb. Seine letzten vier Bücher hat er ihr gewidmet, und so will er es auch mit allen künftigen halten: "Niemand ist tot, solange noch jemand an ihn denkt."

Mit seinen teilweise emotionalen Statements hat Simmel das Publikum offensichtlich berührt. Am Ende formierte sich eine lange Signier-Schlange. Iris Berbens Voraussage, dass nun alle das Buch kaufen wollten, schien einzutreffen. Die Schauspielerin selbst litt schon unter leichtem Lampenfieber vor einer Fernsehdiskussion am heutigen Montag in Israel: "Es ist so wichtig, dass man immer genau die richtigen Worte findet."

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