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Berlin: Bude an Beton

Der Streit um das Holocaust-Mahnmal hat eine kulinarische Facette. Darf man Bratwurst an Ort und Stele verkaufen? Pro & Contra

Seit das Holocaust-Mahnmal im Mai eröffnet wurde, sind ziemlich viele Leute dorthin gekommen – und das Mahnmal hat viele neue Streitigkeiten ausgelöst. Zuerst darüber, ob man dem Stelenwald zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz ehrfürchtig zu begegnen habe oder ob man dort auch herumtoben dürfe. Nun geht es darum, ob und wie man am Rand des Feldes Bratwürste, Bücher und Postkarten verkaufen kann. Der jüngste Streit verlängert die jahrelangen Auseinandersetzungen um den Sinn des Ortes um eine kulinarische Facette.

Am 25. Juni 1999 stimmt der Deutsche Bundestag für das Mahnmal in der von Eisenman konzipierten Variante „Eisenman II“, plus „Ort der Information“. Erschöpftes Aufatmen geht durch die Republik. Eine zehnjährige Debatte scheint beendet – mehrere Kolloquien, Wettbewerbe und Änderungen am Konzept inklusive –, da gibt es den nächsten Krach. Dieses Mal geht es um die Kosten. Inzwischen hat der Bund statt der ursprünglich veranschlagten 7,5 Millionen Euro fast das Vierfache – nämlich 27,5 Millionen Euro – ausgegeben. Dann kam die Eröffnung und der Praxistest zeigte sehr bald, dass keineswegs alle Besucher willens waren, das Mahnmal als einen Ort der Stille zu erfahren. Kinder wie Erwachsene turnten auf den Stelen herum, hüpften von einer zur nächsten oder spielten laut juchzend Verstecken.

Einige Besucher wie Politiker fanden das unangemessen, sie sahen das Mahnmal entwürdigt. Doch die Hausordnung für das Mahnmal hatte derlei Besucherbetragen nicht vorgesehen. Ebenso wenig, dass auf den niedrigen Stelen am Rand des Feldes gepicknickt wird oder Paare zwischen den Betonsäulen hemmungslos knutschen. Doch Peter Eisenmann, der Architekt aus den USA, war begeistert. Er sah es gerne, dass sich das Volk seine Beton-Installation zu Eigen machte. Und der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin, ohnehin kein großer Fan der Stelen, zeigte sich ebenfalls nachsichtig. Immerhin sei der Ort nicht jene „Kranzabwurfstelle“, die viele Kritiker befürchtet hatten. Israels Außenminister Silvan Shalom besuchte das Mahnmal Gleis 17 am Bahnhof Grunewald und gedachte dort der Ermordung von Millionen europäischen Juden. Der israelische Staatspräsident Moshe Katsav legte am Denkmal in der Großen Hamburger Straße in Mitte einen Kranz ab.

Jetzt die Wurstfrage. Machen Buden am Stelenrand aus dem Holocaust-Mahnmal ein volkstümliches Event? Die Frage ist noch nicht ausdiskutiert. Die Berliner Politik wünscht sich Respekt am Rand des Feldes. „Weg mit den Rummelbuden!“, fordert Mittes Baustadträtin Dorothee Dubrau (Grüne). Bis in drei Jahren – vielleicht – die geplanten Achtgeschosser an der Cora-Berliner-Straße gebaut werden, sollen Snacks und Bücher in einem schlichten Pavillon verkauft werden. Und nur dort.

Marc Neller

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